# taz.de -- Untersuchung des Cum-Ex-Skandals: Verräterisches Tagebuch | |
> In Hamburg nimmt der Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal seine | |
> Arbeit auf. Im Fokus der Opposition steht SPD-Kanzlerkandidat Olaf | |
> Scholz. | |
Bild: Finanzsenator Tschentscher und Olaf Scholz, 2018 scheidender Bürgermeist… | |
HAMBURG taz | Die Jagd hat begonnen. 2021 soll das Jahr des im November | |
konstituierten Untersuchungsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft zu | |
den Cum-Ex-Geschäften der Warburg-Bank und deren Verbindungen zum Hamburger | |
Senat werden. | |
Im Fadenkreuz der Opposition, die den Ausschuss eingerichtet hat, steht | |
neben [1][Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD)] vor allem | |
Bundesfinanzminister und [2][SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz]. Ihn während | |
des Bundestagswahlkampfs zu beschädigen, ist das inoffizielle Hauptziel von | |
CDU, der Linken und der FDP-Abgeordneten Anna Treuenfels von Frowein, die | |
den Ausschuss ins Leben gerufen haben. | |
Offizielle Aufgabe des Ausschusses, der am 12. März seine inhaltliche | |
Arbeit aufnehmen soll, ist die „Klärung der Frage, warum der Hamburger | |
Senat und die Hamburger Steuerverwaltung bereit waren, Steuern in | |
Millionenhöhe mit Blick auf Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen und | |
inwieweit es dabei zur Einflussnahme zugunsten der steuerpflichtigen Bank | |
und zum Nachteil der Hamburgerinnen und Hamburger kam“. | |
Die Causa Warburg beginnt Anfang 2016, als die Staatsanwaltschaft die | |
Geschäftsräume der Bankzentrale durchsuchen lässt, aufgrund des Verdachts | |
der schweren Steuerhinterziehung. Kurz darauf informieren die Ermittler und | |
das Bundesfinanzministerium die damals von Tschentscher geleitete | |
Finanzbehörde darüber, dass sich Warburg durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte | |
rechtswidrig um 47 Millionen Euro bereichert hatte – eine Forderung, die | |
Ende 2016 zu verjähren droht. | |
## „An den Dienstweg verwiesen“ | |
Doch die Finanzbehörde bleibt untätig und verzichtet – nach monatelanger | |
interner Prüfung – auf die Rückforderung der Millionen, angeblich weil sie | |
das Risiko eines Rechtsstreits fürchtet. Eine weitere Tranche über 43 | |
Millionen Euro wird später erst nach Anordnung des Bundesfinanzministeriums | |
eingefordert. | |
Der Hintergrund des Vorwurfs, Scholz habe sich zugunsten der Bank | |
verwendet, sind zwei Treffen des damaligen Bürgermeisters mit dem | |
Warburg-Miteigentümer Christian Olearius – gegen den zu diesem Zeitpunkt | |
bereits Ermittlungen wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung | |
im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften laufen – im Herbst 2016. | |
Während Tagebücher im politischen Geschäft meist eine eher untergeordnete | |
Rolle spielen, ist es hier anders. Das Treffen, in dem Olearius Scholz | |
informiert haben will, dass eine Rückzahlung der 47 Millionen Euro die Bank | |
existentiell gefährde, wird erst durch die Einträge von Olearius in sein | |
später beschlagnahmtes Tagebuch publik. | |
Es findet am 26. Oktober 2016 statt, drei Wochen vor der Entscheidung der | |
Finanzbehörde, auf die Millionenforderung dann doch zu verzichten. Scholz | |
fordert Olearius – nach dessen Notizen – auf, die existenzielle Gefährdung | |
Warburgs der Finanzbehörde mitzuteilen. | |
Scholz konnte sich an diese Treffen erst gar nicht erinnern, räumte später | |
aber die beiden Treffen im Herbst 2016 ein, an die er aber keine konkrete | |
Erinnerung mehr habe. Außer der einen: „Ich habe gemacht, was in solchen | |
Fällen immer empfehlenswert ist: Ich habe ihn an den Dienstweg verwiesen.“ | |
So sagte es Scholz vor dem Finanzausschuss des Bundestags und zuletzt auch | |
vor Millionenpublikum bei Markus Lanz. Er selber habe somit keinen Einfluss | |
auf die spätere Entscheidung des Finanzamtes genommen, die 47 Millionen | |
Euro nicht einzufordern. „Nur weil einer zu mir kommt, mache ich doch nicht | |
gleich, was der will.“ | |
Aus Scholz' engstem Umfeld heißt es dazu: „Aus der Perspektive von Scholz | |
waren diese Treffen vermutlich überhaupt nicht wichtig, da er sich nur die | |
Darstellung von Warburg angehört und nicht in das Verfahren eingegriffen | |
hat. Er hat sich dazu von der Verwaltung keine Vorbereitungsunterlagen | |
kommen lassen, kennt – wegen des Steuergeheimnisses – die Akten und den | |
Sachverhalt nicht und hat auf die nötige und übliche strikte Brandmauer | |
geachtet.“ | |
Nicht auf Anweisung – direkte oder indirekte – von Scholz oder Tschentscher | |
gehandelt zu haben, das haben auch die zuständigen Finanzbeamten mehrfach | |
nachdrücklich bestätigt. Zuletzt am 19. Februar vergangenen Jahres meldete | |
sich die Steuerverwaltung in Person des Senatsdirektors Ernst Stoll mit | |
einer „Erklärung der Hamburger Steuerverwaltung“ zu Wort. | |
## Warum verzichtete die Steuerverwaltung? | |
Dort heißt es: „Es hat in Hamburg weder bezüglich Cum-Ex-Gestaltungen noch | |
sonst Versuche gegeben, politisch auf Entscheidungen der Steuerverwaltung | |
Einfluss zu nehmen.“ Dabei bleibt unklar, warum die Steuerverwaltung im | |
November 2016 geglaubt haben will, keine rechtliche Grundlage zu haben, die | |
47 Millionen von Warburg einzufordern. | |
Denn nur wenige Wochen vor der entscheidenden Sitzung, an der auch | |
Vertreter*innen der von Tschentscher geleiteten Finanzbehörde | |
teilnahmen, hatte eine für die Warburg-Bank zuständige | |
Finanzamts-Mitarbeiterin in einer 28-seitigen Expertise kenntnisreich | |
dargelegt, warum die Stadt den Millionenbetrag sehr wohl von Warburg | |
einfordern konnte und auch sollte. | |
Sie konnte sich dabei auf einen Präzedenzfall berufen: Im Frühjahr 2016 war | |
vor dem Finanzgericht Hessen der Versuch der Dekabank gescheitert, 50 | |
Millionen Euro aus Cum-Ex-Geschäften gegen das hessische Finanzamt zu | |
erstreiten. Am 11. April 2016 schließlich kapitulierte die Dekabank und gab | |
den juristischen Kampf um Steuererstattungen aus Cum-Ex-„Geschäften“ auf. | |
Sie akzeptierte das Urteil und zog nicht vor den Bundesfinanzhof. | |
Die Branche nahm die Niederlage der Bank niedergeschlagen, das Hamburger | |
Finanzamt hingegen sehr wohlwollend zur Kenntnis und die zuständige | |
Finanzbeamtin baute darauf das 28-Seiten-Gutachten auf, das besagte, | |
Warburg müsse zahlen. Trotzdem fiel in der Finanzbehörde in einer Sitzung, | |
an der auch die Verfasserin der Expertise teilnahm, am 17. November 2016 | |
der exakt gegenteilige Beschluss: Hamburg verzichtet auf die | |
Warburg-Millionen. | |
Wie genau es zu dem amtlichen Stimmungsumschwung kam, will nun der | |
Ausschuss aufklären. Eine zentrale Rolle dürfte dabei das von Olearius | |
verfasste Positionspapier spielen, welches der Bankchef erst Scholz bei | |
deren Oktober-Treffen andiente und das nur wenige Tage vor der | |
Millionen-Entscheidung auch Peter Tschentscher erreichte. | |
In dem Papier bestreitet Olearius nicht nur die Rechtmäßigkeit der | |
Steuerforderung, er droht auch unverhohlen mit der Pleite der Bank, sollte | |
das Finanzamt auf seinen Forderungen bestehen. | |
## Zwei Fragen bleiben offen | |
Die Opposition im Rathaus glaubt, dass Scholz und Tschentscher unter | |
diesen Vorzeichen doch Einfluss auf den Steuererlass nahmen – doch sie hat | |
bislang keinen einzigen Ansatzpunkt, das zu beweisen. Damit ist der Drops | |
eigentlich schon vor der ersten Ausschussanhörung gelutscht. | |
Passiert nichts Spektakuläres, wird es den Parlamentariern kaum gelingen, | |
neue Fakten ans Licht der Öffentlichkeit zu befördern, sondern nur die | |
alten unbewiesenen Behauptungen aufzuwärmen. Irgendwas wird an Scholz schon | |
hängen bleiben und damit die SPD im Wahlkampf beschädigen. | |
Übrig bleiben zwei Fragen. Warum konnte sich Scholz, dem zu Recht der Ruf | |
vorauseilt, sich wirklich jede Kleinigkeit zu merken, ausgerechnet an die | |
Treffen mit Olearius zunächst gar nicht erinnern? Die Opposition hält diese | |
Erinnerungslücke nicht für glaubwürdig, wird aber Scholz auch hier nicht | |
beweisen können, dass er die Unwahrheit gesagt hat. | |
Die zweite Frage ist eine politische: Hätte Scholz, nachdem ihm die Fakten | |
bekannt waren, als Bürgermeister nicht sogar aktiv handeln müssen – nicht | |
zugunsten von Warburg, sondern zugunsten der Staatskasse, der so 47 | |
Millionen Euro flöten gingen? Ist ihm nicht genau sein jetziges Beharren | |
darauf, sich überhaupt nicht eingemischt zu haben, vorzuwerfen – als | |
Unterlassungssünde zulasten Hamburgs? Doch diese Frage – die vielleicht | |
relevanteste überhaupt – wird bislang nur selten gestellt. | |
Zum Vergleich: Nach dem Dekabank-Urteil tönte Hessens Finanzminister Thomas | |
Schäfer (CDU) im Handelsblatt, „ich will die Verbrecher alle kriegen“, und | |
meinte damit diejenigen, die mit Cum-Ex ihre „Geschäfte“ gemacht hatten. | |
Von Scholz und seinem Finanzsenator Tschentscher hat man solche Worte nie | |
vernommen. | |
Bekommen hat Hamburg das Geld trotzdem: Im April 2020 und zu Jahresanfang | |
beglich die Bank ihre Steuerschulden von insgesamt 155 Millionen Euro – | |
darunter auch die 47 Cum-Ex-Millionen – unter Vorbehalt. Denn zeitgleich | |
lässt Warburg die Rechtmäßigkeit der von ihr nun beglichenen | |
Steuerforderungen vor Gericht überprüfen. | |
10 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /CumEx-Skandal-weitet-sich-aus/!5750935 | |
[2] /SPD-Entwurf-zum-Wahlprogramm/!5749498 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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