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# taz.de -- Finanzexperte über Greensill Bank: „Das erinnert an die Finanzkr…
> Rudolf Hickel ist einer der profiliertesten deutschen Volkswirte. Ein
> Gespräch zum Fall Greensill, der für viele Kommunen zum Debakel wird.
Bild: In arger Schieflage: Filiale der Greensill-Bank in Bremen
taz: Herr Hickel, wird in der Zentrale der Greensill Bank in Bremen gerade
ein Reality-„Tatort“ abgedreht?
Rudolf Hickel: Nein. Die auch optisch unscheinbare Bank in der Bremer
Martinistraße dient der dahinterstehenden britisch-australischen
Greensill-Kapitalgesellschaft, benannt nach dem Eigentümer Lex Greensill
aus Australien. Sie sammelt Geld ein, um es zum Teil umstrittenen
Großinvestoren zur Verfügung zu stellen. Dazu zählt der indisch-britische
Stahlmagnat Sanjeev Gupta, einer der vielen Kumpel von Greensill-Gründer
Lex Greensill.
Gupta verhandelte mit Thyssen-Krupp.
Guptas Deal, sich über seine Gruppe Liberty Steel die Stahlsparte von
Thyssen-Krupp einzuverleiben und dies über die Bremer Tochterbank von
Greensill zu finanzieren, ist erfreulicherweise auch über den Widerstand
der Beschäftigten nicht zustande gekommen. Der Absturz mit der Greensill
Bank ist erspart geblieben.
Bei dem Übernahmeversuch könnte auch die Bankenaufsicht Bafin eine Rolle
gespielt haben.
Immerhin hatte die [1][Bafin] bereits bei der Übernahme der Bremer
Nordfinanz Bank durch Greensill im Jahre 2014 wegen dieses Großinvestors
mit der Konzentration auf wenige Megainvestoren ein gefährliches
„Klumpenrisiko“ befürchtet.
Die Kritik an der Bafin halten Sie für überzogen?
Seit Sommer 2019 ist die Bank bei der Bafin als Verdachtsfall im Visier,
und es ist eine Sonderprüfung veranlasst worden. Einige sagen, das sei zu
spät. Immerhin steht nicht wie bei Wirecard nur die Bank, sondern das
gesamte Finanzkonglomerat im Zentrum. Erst am 3. März hat die Bank die
Annahme von Einlagen sowie die Kreditvergabe gestoppt. Eine Klage wegen
Bilanzfälschung wurde bei der Staatsanwaltschaft eingereicht. Eine wichtige
Lehre: Die deutschen und europäischen Aufseher*innen sollten zukünftig
viel stärker die globalen Netzwerke ins Auge fassen – hier müssen aber
Parlamente und Regierungen erst einmal die gesetzlichen Bedingungen
schaffen.
Bürger*innen sollen eine Milliarde Euro bei Greensill angespart haben.
Fintech-Firmen haben das Anlage suchende Geld mit nur leicht über Null
liegenden Zinsen im großen Stil in Richtung Greensill-Bank gelenkt. Vor
allem ging es um die Vermeidung von Minuszinsen auf Einlagen bei anderen
Banken. Durch Angebote unter dem Motto „faire Finanzen“ wurden mit seriös
klingenden Namen wie „Weltsparen“ der Firma Raisin Bank AG oder „Zinspilo…
über Plattformen Festgelder bei Sparer*innen eingeworben. Das
Geschäftsmodell dieser Plattformen basiert letztlich auf der öffentlichen
Einlagensicherung in der EU bis 100.000 Euro pro Person.
Die Einlagen der Sparer*innen sind durch die Einlagensicherung 100
Prozent geschützt. Was ist denn da so gefährlich an Greensill?
Deren globales Geschäftsmodell löst große Schäden aus. So übernimmt
Greensill Forderungen aus Lieferungen an Unternehmen. Diese erworbenen
Forderungen werden dann zu weltweit handelbaren Investmentpapieren
verpackt. Solche Lieferketten-Finanzierungs-Fonds sind toxisch. Und sie
erinnern an die Finanzkrise, die im Jahr 2007 durch ähnliche Wertpapiere
auf Immobilien ausgelöst worden war. Offenbar haben viele Banken und
Versicherungen in aller Welt in Greensill-Lieferketten-Fonds investiert. So
meldete die Schweizer Großbank Credit Suisse, dass sie nun vier
Investmentfonds von Greensill schließt und verantwortliche Manager
entlässt. Es geht allein hier um etwa 10 Milliarden Euro.
Gießen, Monheim, Osnabrück, Nordenham: Die Liste der Kommunen, die bei
Greensill Geld versenkt haben, wird immer länger.
Die Liste der öffentlichen Anleger ist spannend. Auch öffentlich-rechtliche
Anstalten der ARD wie der NDR und der SR sind dabei. Über 50 Kommunen
sollen betroffen sein. Allein die Stadt [2][Osnabrück] ist nach Angaben
ihres Stadtkämmerers mit 14 Millionen Euro im Insolvenzrisiko. Da haben die
Stadtkämmer*innen ihre vorübergehenden Liquiditätsüberschüsse der
Greensill Bank anvertraut. Und für diese Gelder wollten sie ein wenig
Zinsen kassieren beziehungsweise Minuszinsen bei anderen Banken vermeiden.
Im Gegensatz zu privaten Sparguthaben sind Einlagen von
Gebietskörperschaften seit 2017 nicht durch die Einlagensicherung
geschützt. Ein Google-Klick hätte gereicht, diese Risiken in Erfahrung zu
bringen.
Gießens Bürgermeister verteidigt seine gescheiterte Anlagestrategie mit dem
Hinweis auf gute Ratingnoten. Beispielsweise hat die Ratingagentur Moody's
Greensill-Produkte mit dem Investment-Grad geadelt, also mit einer geringen
Ausfallwahrscheinlichkeit.
Auch dies erinnert an die Finanzkrise, als Ratingagenturen Schrottpapiere
mit ihren Noten weltweit aufhübschten. Der langjährige Aufsichtsratschef
von Greensill Capital gehört nach meinen Informationen übrigens dem
Beraterkreis der europäischen Ratingagentur Scope an. Auch in Sachen
Ratingagenturen scheinen mir Bundesfinanzminister Olaf Scholz und seine
europäischen Amtskolleg*innen weiterhin gefordert.
12 Mar 2021
## LINKS
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[2] /Osnabrueck-verliert-14-Millionen/!5752718
## AUTOREN
Hermannus Pfeiffer
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Banken
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