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# taz.de -- Französisch-Deutsche Experimentalmusik: Weiter an der Seele feilen
> „Jours de Grève“ heißt das Album des Produzenten Detlef Weinrich und der
> Folkkünstlerin Emmanuelle Parrenin. Es besticht durch Willen zum
> Experiment.
Bild: Folksängerin Emmanuelle Parrenin hat ein überzeitliches Werk vorgelegt
Die Idee, Experimentalist:innen verschiedener Generationen und Stile
zusammenzubringen, ist nicht neu, aber selten hat sich eine Kollaboration
dieser Art so selbstverständlich angefühlt wie beim Album „Jours de grève�…
So heißt das Gemeinschaftswerk der Pariser Folksängerin Emmanuelle
Parrenin, geboren 1949, und des Düsseldorfer Produzenten [1][Detlef
Weinrich] alias Tolouse Low Trax, Jahrgang 1966, der inzwischen in Paris
lebt.
Ihre Musik verbindet Parrenins ätherischen Gesang und das Summen ihrer
Drehleier mit den kunstvollen Dubproduktionstechniken von Weinrich, immer
wieder überraschen der helle, euphorische Sound und die impulsiven
emotionalen Ausbrüche.
Im Auftaktsong „Le couple coupable“ wird Parrenins choral-ähnlicher Gesang
durch taumelnde elektronische Echoeffekte beschleunigt. Weinrich, der
eigentlich für energische Elektronikmusik steht, wie man sie von seiner
Band Kreidler und dem Projekt Toresch kennt, lässt sich – musikalischer und
spontaner als sonst – auf das Zusammenspiel mit einer exaltierten Solistin
und ihrem traditionellen Instrument ein.
## Starke Reibung
Auf „White Layers Over Black Papers“ bereitet Weinrich mit einer
kopfstarken Bassspur den Boden für das Gastspiel des fulminanten Pariser
Sängers Ghédalia Tazartès, der Psalme mit kehligem Gemurmel mischt.
Parrenins feiner Gesang wiederum prägt das Stück „Hephaisto’s Breeze“,
während der französische Saxofonist Quentin Rollet in dem Track „Gelbe
Schlange“ den dröhnenden Kontrapunkt zu den elektronischen Grooves setzt.
Dass Parrenin und Weinrich für ihr Album Rollet und Tazartès eingeladen
haben, kommt ihrer Musik zupass, weil mit den Gästen noch stärkere Reibung
im Klangbild erzeugt wird.
Weinrich erklärt, die Entstehung des Albums gehe auf den Musiker und
Labelchef von [2][Versatile Records, Gilbert Cohen], zurück, der ein
gemeinsames Album mit Emmanuelle Parrenin anregte. „Ich kannte ‚Maison
rose‘, Parrenins Solodebütalbum von 1977, tatsächlich. Schon lange hatte
ich darüber nachgedacht, ein Album mit dieser großen französischen
Folk-Muse zu machen, die nie aufgehört hat, an ihrer Seele zu feilen.“
Parrenin, die beeindruckende Vokalistin, ahmt manchmal das Gezwitscher von
Vögeln nach, sie hat auch die kostbare Gabe, zugleich die Drehleier zum
Sprechen zu bringen, eine Vorfahrin des heutigen Dronesounds. Es ist ein
mittelalterliches Saiten- beziehungsweise Lauteninstrument, das wie
eine gedrungene Geige mit einer Handkurbel aussieht und diverse Summ- und
Brummtöne ausstoßen kann.
## Archaische Musiktraditionen
Ende der 1960er, inmitten von Beatniks und Happenings im Pariser Quartier
Latin, nahm Parrenin bei einem Konzert eine Drehleier wahr und ist seither
tief berührt von diesem archaischen Instrument, das sie später auch mit
Spinett- und Harfenspiel kombiniert. Ende der 1960er beginnt Parrenin ihre
Karriere als Folkmusikerin und wird in den 1970ern zur renommierten
Künstlerin, die sich für die Wiederbelebung traditioneller französischer
Volksmusik starkmacht.
Parrenins Meisterinwerk [3][„Maison rose“] stellt eine Verbindung her
zwischen klugem Songwriting, folkloristischem Gesang und instrumentaler
Psychedelik. In den Nullerjahren verliebt sich Parrenin in Paris in die
neue Generation von elektronischer Musik, und nun endlich, 2021, legt sie
zusammen mit Detlef Weinrich ein überzeitliches Werk vor.
Es trägt nicht zufällig den Titel „Jours de grève“, die Musik ist währe…
der Zeit des Generalstreiks in der französischen Hauptstadt 2019/20
entstanden, der das öffentliche Leben bestimmte. Der äußere Ausnahmezustand
der Entstehung ist den acht Kompositionen durchaus anzuhören, sie lassen
eine angespannte Atmosphäre erahnen.
Ob Schellengerassel, pointierte Saxofon-Einsätze, besondere Lautpoesie oder
expressive Vocals, die manchmal an Laurie Anderson erinnert: Es liegt bei
allen Tracks eine nervöse, aufrührerische Stimmung in der Luft. Man
wundert sich ganze 38 Minuten lang, dass dieses merkwürdige Gemisch und
Miteinander so gut funktioniert. Harmonisch geradezu.
17 Feb 2021
## LINKS
[1] /Album-Jumping-Dead-Leafs-von-Tolouse-Low-Trax/!5737578
[2] /Debuetalbum-von-Acid-Arab/!5350360
[3] https://www.youtube.com/watch?v=7gmOyYhfoyM
## AUTOREN
Heinrich Thüer
## TAGS
Generalstreik
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Folk
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Folk Music
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