# taz.de -- Grüne Debatte über U-Bahn-Bau: Fatales Signal zum Buddeln | |
> An der grünen Basis kommt die Vorentscheidung der Verkehrsverwaltung für | |
> mehr U-Bahn nicht gut an. Manche vermuten eine fehlgeleitete | |
> Wahlkampftaktik. | |
Bild: Kommt 'ne U-Bahn geflogen … | |
Berlin taz | Vor 14 Tagen machte Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) | |
eine Ankündigung, die weit in die Zukunft weist. Sie präsentierte mehrere | |
Machbarkeitsstudien für den Ausbau von U-Bahn-Linien und gab eine | |
Vorentscheidung bekannt: Ihr Haus werde detaillierte | |
Nutzen-Kosten-Rechnungen für die Verlängerung der U7 beauftragen – zum BER | |
in Schönefeld und zur Heerstraße in Spandau. Das Problem: Innerhalb der | |
Grünen und in deren Umfeld gibt es enorme Vorbehalte gegenüber einem | |
solchen Projekt. Keine günstige Gemengelage, so kurz vor dem Wahlkampf. | |
Lange hatte die Verkehrsverwaltung bei Netzerweiterungen vor allem auf die | |
Tram gesetzt. Dass sie nun mit wehenden Fahnen zum U-Bahn-Ausbau schreitet, | |
wäre auch ein falsches Bild. Dieser sei „eine kostenintensive und | |
langfristige Maßnahme“, so Günther, daher verfolge man einen | |
„pragmatischen, verkehrlich begründeten Ansatz“, der exakte und langwierige | |
Berechnungen erfordere: „U-Bahnen sind ein wichtiger Bestandteil der | |
Verkehrsinfrastruktur einer Großstadt – aber nur, wenn der Nutzen höher ist | |
als die Kosten.“ | |
Etwas verklemmt liest sich auch die [1][Legitimierung dieser | |
Weichenstellung durch den grünen Landesvorstand]: „Das ist noch keine | |
Entscheidung für oder gegen einen Bau, sondern ein Aufbringen von Fakten | |
und Daten“, heißt es auf der Webseite. Die „differenzierte Position“ der | |
grün geführten Senatsverwaltung stehe „nicht im Widerspruch zum | |
Koalitionsvertrag“. | |
„Im Gegensatz zur SPD“, die „gefühlt jeden Tag eine neue U-Bahn-Linie“ | |
fordere, stehe für die Grünen im Mittelpunkt, dass neue U-Bahn-Kilometer | |
einen „überdurchschnittlichen Zuwachs an Fahrgästen oder die Erschließung | |
neuer Wohngebiete“ bedeuteten, so die Landesspitze. Wo es | |
„verkehrspolitisch, ökonomisch und ökologisch Sinn macht, versperren wir | |
uns keinem Ausbau“. Wichtig sei, dass andere Projekte der Verkehrswende | |
nicht unter dem zusätzlichen Geld- und Personalbedarf für U-Bahn-Planungen | |
litten. | |
Formulierungen wie „versperren uns nicht“ machen deutlich, dass der teure | |
U-Bahn-Neubau vielleicht auch kein grünes Herzensthema ist, man ihn nach | |
Günthers Entscheidung aber nicht ignorieren, geschweige denn infrage | |
stellen kann. Das tun denn auch schon andere. | |
Eine Erwiderung der grünen Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mobilität, die | |
der taz vorliegt, hält mit Kritik nicht hinterm Berg. Die | |
Machbarkeitsstudien und die geplanten Nutzen-Kosten-Rechnungen verstießen | |
gegen den Geist des Koalitionsvertrags, heißt es da: „Der gemeinsame Wille | |
war zu Beginn der Regierungsarbeit, die Tram-Erweiterungen in den Fokus der | |
Arbeit des Senats zu stellen.“ Genau da habe man aber nicht geliefert: | |
Nicht vier neue Linien würden bis Ende der Legislaturperiode eröffnet – wie | |
angekündigt –, sondern voraussichtlich keine einzige. Dieselbe Bilanz gelte | |
für sechs Linien, deren Planfeststellung starten sollte. | |
## Bislang auf die Tram gesetzt | |
Dabei habe die grüne Verkehrspolitik die Tram bislang aus gutem Grund | |
gegenüber der U-Bahn priorisiert: „Weil sie nur ein Zehntel kostet, in der | |
Hälfte der Zeit umzusetzen und klimapolitisch sinnvoller ist“. Die LAG | |
verweist auf ihre mit mehreren Verbänden im Dezember herausgegebene | |
[2][Studie, die den CO2-Ausstoß von U-Bahn-Bauten – insbesondere durch den | |
Einsatz großer Mengen Zement – dem Klimanutzen gegenüberstellt, der durchs | |
Umsteigen vom Auto entsteht]. Im Falle der U7 amortisiere sich der Bau | |
klimatechnisch „in ca. 114 Jahren“. | |
Den Klimaaspekt habe die Verkehrsverwaltung nicht einmal erwähnt, so die | |
LAG. Sie geht davon aus, dass die aufwendigen Nutzen-Kosten-Rechnungen eine | |
Entscheidung quasi schon vorwegnehmen. Sollte der Bund erst einmal eine | |
Förderung im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) | |
bewilligen, sei das Ganze „kaum noch zurückzuholen“. | |
An der grünen Basis vermuten viele, dass Günther und die Parteispitze eine | |
fatale Strategie verfolgen: Sie wollten der SPD im Wahlkampf den Wind aus | |
den Segeln nehmen, die schon lange auf mehr U-Bahn drängt. Während sich nun | |
ausgerechnet deren Chefs Franziska Giffey (Neukölln) und Raed Saleh | |
(Spandau) über die Verlängerungspläne in ihren Bezirken freuen könnten, | |
werde die SPD die Grünen nach Belieben weitertreiben. | |
Mahnende Worte kommen auch vom Grünen-Urgestein Michael Cramer. Der | |
Verkehrspolitiker und langjährige Berliner sowie EU-Abgeordnete verweist | |
gegenüber der taz auf die bescheidene Tram-Bilanz 30 Jahre nach der Wende: | |
„Von acht an der Mauer endenden Strecken sind nur drei weitergebaut oder in | |
Angriff genommen worden.“ Bevor hier die Teilung nicht überwunden sei, gebe | |
es keinen Grund, viel Geld und noch mehr Zeit in unterirdische Bauten zu | |
stecken. | |
## Es muss schnell gehen | |
„Wir müssen ab sofort bei all unseren Entscheidungen die | |
Klimaverträglichkeit beleuchten und werden daher zu anderen Ergebnissen | |
kommen als bisher“, sagt auch Cramer. „In dieser Zeitenwende leben wir.“ | |
Wichtig bei der Verkehrswende sei, dass sie schnell komme. Was gerade die | |
U-Bahn nicht leiste. | |
Auch im Parlament beobachtet man die Entwicklung mit gesunder Skepsis. „Wir | |
haben einen Klima-Check für alle Senatsmaßnahmen beschlossen“, so der | |
klimaschutzpolitische Sprecher der Grünenfraktion Georg Kössler zur taz. | |
„Folglich werden auch die CO2-Emissionen beim U-Bahn-Bau im weiteren | |
Verfahren genau beleuchtet. Wir wollen eine schnelle Verkehrswende, aber | |
mit einem langfristig tragfähigen Netz.“ | |
Noch deutlicher positioniert sich das Bündnis Klimaneustart Berlin, das | |
gerade ein Volksbegehren für ein klimaneutrales Berlin bis 2030 | |
vorbereitet: Unter Bezugnahme auf die bereits erwähnte Studie zu U-Bahn und | |
Klima teilt die Initiative mit, neue U-Bahnlinien seien „für uns keine | |
Option im Rahmen der Verkehrswende“. Diese müsse schnell gehen, „da unser | |
CO2-Budget weltweit bereits in sechs Jahren und zehn Monaten aufgebraucht | |
ist“. | |
Der Bau neuer U-Bahnstrecken verursache aber zunächst enorme Mengen an | |
Kohlendioxid, so „Klimaneustart Berlin“. Fazit: „Die Alternativen | |
Straßenbahn, Radverkehrsstrecken und Busse sind Verkehrsträger, die | |
wesentlich schneller zu einer Emissionsreduzierung führen werden.“ | |
2 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://gruene.berlin/nachrichten/aktuelle-lage-machbarkeitsuntersuchungen-… | |
[2] /Studie-zur-Klimabilanz-der-U-Bahn/!5729091 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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