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# taz.de -- Die Wahrheit: Spazierwahn
> Tagebuch einer Pandemistin: Selbst die Bäume bekommen Namen, wenn die
> Gefangenen des Lockdowns durch die Käfigzelle des Seins flanieren.
Bild: Zerstreuungsprogramm als Hilfsmittel gegen die Tristesse des Lockdowns
Nichts habe ich in meiner Kindheit mehr gehasst, als spazieren zu gehen,
lieber hätte ich stundenlang Reißzwecken gekaut, als sinnlos durch mein
ödes Provinzkaff zu schlurfen. Und jetzt? Bin ich eine von Millionen, die
sich Blasen an den Füßen latschen.
Montags mit A, dienstags mit B, mittwochs, donnerstags und freitags mit X,
Y und Z. Gemeinsam entdecken wir Kleinode der Nachbarschaft, die wir bisher
aus gutem Grund jahrelang übersehen haben, so zum Beispiel das aus den
Siebzigern übrig gebliebene Geschäft für Barbedarf mit Schaufenstern voller
alkoholischer und kristallener Geschmacksverbrechen oder den düsteren
Hundefriseursalon oder den abgerockten Puff mit Depressionsgarantie.
Außerdem wissen wir jetzt, dass im Umkreis von zwei Kilometern zwölf
Apotheken, sechs Dromärkte, sehr, sehr viele Bäcker und vierzehn Optiker
für Abwechslung beim Einkauf sorgen. Sollte die Pandemie also noch ein paar
Jahre dauern, weiß ich schon mal, wo ich neue Brillengläser kriege, die
letzten sind ja erst ein paar Monate alt. Bei „Pandemie“ habe ich in
letzter Zeit übrigens immer Visionen von kuscheligen Pandas, vermutlich
eine Folge von zu viel Social Distancing.
Um nicht nur unsere Körper, sondern auch den Geist fit zu halten, haben
meine Co-Spaziergänger und ich den zweiundzwanzig Bäumen in meiner Straße
Namen gegeben, die wir bei jedem Gang fehlerlos in der Reihenfolge ihres
Auftritts rezitieren müssen: Willi, Theo, Dagmar, Bigi … Verlierer drehen
zwei Strafrunden, die sie nur abbrechen dürfen, wenn sie schnell nach Hause
aufs Klo müssen. Besonders Theo und Bigi – Ahorn und Linde – haben im
Sommer sehr unter der Dürre gelitten, weshalb wir den Schnee feiern und
alles, was nass ist. Außer Hundepipi.
Seit Langem registrieren wir einen Anstieg an Hundehaufen. Der gemeine
Berliner Hundehalter ignorierte im ersten Jahr der Panda … äh, Pandemie
komplett seine Entsorgungspflicht; jetzt, im zweiten, könnte er langsam mal
wieder mit dem Aufheben anfangen. Aber Herr- und Frauchen sind mittlerweile
sogar noch ist-mir-doch-scheißegaler drauf als Radwegparker.
Blöderweise ist es deutlich schwieriger, einen Hundehaufenliegenlasser als
ein gesetzwidrig abgestelltes Auto abzuschleppen, weshalb wir eine Idee
entwickelt haben, deren technische Umsetzung wir hiermit, finanziert durch
Crowdfunding, ausschreiben: leistungsstarke Drohnen, die ignorante
Hundebesitzer mithilfe von Fangnetzen vom Trottoir pflücken und sie nach
kurzem Flug auf einem weitläufigen Gelände abwerfen, wo sie bis zum
Erreichen eines in Gewicht gemessenen Mindestsolls tierische
Hinterlassenschaften sammeln und entsorgen müssen. Erst danach wird der
Delinquent wieder mit seinem Liebling, der inzwischen mit seinen Kumpels in
einer „Happy Dog“-Kommune Party machen durfte, vereint.
Wir bitten um baldige Produktentwicklung, die Schneeschmelze kommt!
11 Feb 2021
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Lockdown
Flaneurin
Straßen
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