# taz.de -- SPD-Fraktionsschef und seine Kritiker: Spiel mir das Lied von Raed … | |
> Vor drei Jahren kritisierten 14 Mitglieder der Berliner SPD-Fraktion | |
> ihren Chef. Das bekommen jene zu spüren, die sich nicht mit ihm | |
> arrangiert haben. | |
Bild: Raed Saleh alias Clint Eastwood in seiner Paraderolle | |
Berlin taz | Daniel Buchholz weiß, wie es sich anfühlt, wenn einen die | |
Vergangenheit einholt. Im November 2017 hatte der umweltpolitische Sprecher | |
der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus gemeinsam mit 13 anderen | |
SPD-Fraktionsmitgliedern einen [1][fünfseitigen Brief verfasst]. Jetzt hat | |
er die Quittung dafür bekommen. | |
Gerichtet war das Schreiben an Raed Saleh, den Vorsitzenden der | |
SPD-Fraktion. Unter anderem kritisierten Buchholz und die anderen | |
Autorinnen und Autoren den Führungsstil ihres Chefs: Wenn man als Fraktion | |
das Profil schärfen wolle, gehe das „nicht ohne inhaltliche Debatten und | |
demokratische Willensbildung“. | |
Die Liste der Versäumnisse, die die 14 Abgeordneten ihrem Vorsitzenden | |
unter die Nase rieben, war lang. Sie reichte vom Vorwurf, dass Saleh | |
inhaltliche Debatten in der Fraktion unterdrücke, bis hin zur Feststellung, | |
dass die Pressestelle zwar personell verstärkt worden sei, Social | |
Media-Aktivitäten aber nicht stattfänden. | |
Stattdessen, heißt es an Saleh gerichtet, „hast Du viele Namensbeiträge | |
veröffentlicht, mit Deinem Pressesprecher ein Buch zur deutschen Leitkultur | |
geschrieben und Dich auf Lesereise in alle Teile Deutschlands begeben.“ Und | |
noch ein Vorwurf war dabei, man könnte ihn nennen: „Spandau First“. So | |
schrieben Salehs Kritiker, dass er sich intensiv nur um seinen Wahlkreis | |
und seinen Heimatbezirk Spandau kümmere. | |
Raed Saleh, 43 Jahre alt, seit 2011 Fraktionsvorsitzender, seit Ende | |
November neben Franziska Giffey Landeschef der Berliner SPD, ist auch | |
Kreisvorsitzender in Spandau. In jenem Bezirk also, in dem Buchholz 2016 im | |
Wahlkreis 3 ein Direktmandat geholt hat. Gerne wäre der 52-Jährige wieder | |
dort angetreten. | |
Doch dann musste er zusehen, wie ein Vertrauter von Saleh ebenfalls seinen | |
Hut in den Ring warf. Für Buchholz gibt es dafür nur eine Erklärung: „Das | |
ist die Rache für den Brief von 2017“, sagte er der taz. Schon damals habe | |
Saleh seinen Kritikern zu bedeuten gegeben: „Ihr seid tot.“ | |
## Abgeordnete wurde stummgeschaltet | |
Auch Bettina Domer, die 2016 in Spandau-Hakenfelde ein Direktmandat für die | |
SPD holte, hatte den Brandbrief an Saleh unterzeichnet. In dieser Woche hat | |
sie [2][in ihrem Newsletter] die Ereignisse, die danach folgten, noch | |
einmal Revue passieren lassen: So sei ihr Name aus Pressemitteilungen | |
gestrichen worden, bei Infoständen glänzten die Spandauer Genossinnen und | |
Genossen durch Abwesenheit. „Ich wurde systematisch von der SPD Spandau | |
ausgegrenzt“, sagt Domer heute zur taz. Man kann es auch so sagen: Wegen | |
ihrer Kritik wurde Domer von Raed Saleh stummgeschaltet. | |
Denn der Fraktionschef duldet keine Kritiker in seinen Reihen, zumindest | |
nicht dort, wohin sein langer Arm reicht. Bettina Domer nennt es so: | |
„Salehkritische Personen werden ausgegrenzt und eine eigene Fangruppe für | |
Saleh beschafft Mehrheiten, um KritikerInnen loszuwerden“. | |
Für Domer ist Saleh „eine Person, die einen gesamten Kreis beherrscht und | |
fragwürdige Methoden anwendet“. Das halte sie für den falschen politischen | |
Weg. „Absolute Macht führt nicht in die Demokratie. Absolute Macht | |
vernichtet Demokratie.“ Andere sagen zu Saleh und seinem Vertrauten, dem | |
Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider: „Geballte toxische | |
Männlicheit“. | |
Anders als Daniel Buchholz hat Bettina Domer sich dafür entschieden, nicht | |
zu kämpfen. Im September 2020 hatte sie bekannt gegeben, nicht mehr für das | |
Abgeordnetenhaus kandidieren zu wollen. „Der Grund dafür ist, dass ich seit | |
Unterzeichnung des kritischen Schreibens an Raed Saleh in der Spandauer SPD | |
dafür, nach meiner Wahrnehmung, ‚abgestraft‘ wurde.“ | |
Ein weiteres Fraktionsmitglied, das nicht namentlich genannt werden will, | |
spricht von einem „Belohnungssystem“: Wer nach Salehs Pfeife tanze, werde | |
protegiert; alle anderen dagegen müssten sehen, wo sie bleiben. Dieses | |
„System Saleh“ gilt längst nicht mehr nur in Spandau, sondern in der | |
gesamten 38-köpfigen SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhauses. | |
Und nicht nur Bettina Domer hat deswegen Konsequenzen gezogen. Auch Clara | |
West von der Pankower SPD hat bereits angekündigt, nicht mehr für eine | |
weitere Legislaturperiode kandidieren zu wollen. „Ich wollte nicht den | |
Moment abwarten, wo ich morgens aufwache und feststelle, dass es nicht mehr | |
weitergeht“, [3][sagte West der taz], als ihr Entschluss feststand. „Ich | |
wollte lieber vorher von mir aus die Entscheidung treffen und sagen: Nichts | |
kann ewig so bleiben, also ist es endlich.“ | |
Auch Clara West hatte den Brief an Raed Saleh unterschrieben und erlebt, | |
was danach folgte – eine Fraktionssitzung, auf der Saleh Besserung gelobte. | |
Für West war das Ergebnis ernüchternd: „Alles in allem würde ich sagen, | |
dass sich nicht viel geändert hat.“ Doch das schade der SPD. „Wir müssen | |
uns wieder Ziele setzen. Das entsteht aber nicht durch schweigenden | |
Konsens, sondern durch inhaltliche Debatten.“ | |
Von den 14 Kritikerinnen und Kritikern, die erhofft hatten, dass ihr Brief | |
Gehör findet, werden fünf nicht mehr für das neue Landesparlament, das im | |
September gewählt wird, kandidieren. Neben West und Domer sind das Susanne | |
Kitschun, Bruni Wildenhein-Lauterbach und Frank Zimmermann. | |
## Manche haben sich arrangiert | |
Für den Innenexperten Zimmermann hat das allerdings nichts mit Saleh zu | |
tun. „Das ist eine freie Entscheidung“, sagte er der taz. „20 Jahre | |
reichen. Jetzt ist es Zeit, das Feld für jüngere freizumachen.“ Den Brief | |
vom November 2017 nennt Zimmermann „Schnee von gestern“: „Wir arbeiten in | |
der Fraktion gut zusammen“, betont er, „die alten Fronten haben sich | |
aufgelöst.“ | |
Damit liegt Zimmermann ganz auf Linie mit seinem Fraktionschef. Auf die | |
Frage, warum er einen Teil der Kritiker nicht überzegen konnte, ließ Saleh | |
über seinen Sprecher eine schmallippige Antwort mitteilen: „Ich bin stolz | |
auf meine Fraktion, die professionell und geschlossen arbeitet.“ | |
Tatsächlich haben sich einige der KritikerInnen von damals mit Saleh | |
arrangiert. Dazu gehört der Verkehrspolitiker Tino Schopf. „Jeder von uns | |
hatte damals seine Gründe, den Brief zu unterschreiben“, sagt Schopf der | |
taz. „Ich habe danach zweimal das Gespräch mit Raed Saleh gesucht, und ich | |
muss sagen, er hat die Kritik verstanden.“ Heute fühlt sich Schopf als | |
Verkehrspolitiker nicht behindert von der Fraktionsführung, sondern | |
unterstützt. Das gleiche gilt für die Bildungspolitikerin Maja Lasic. | |
Andere blieben auf Distanz, weil sie wussten, dass Saleh auf ihre | |
Wahlkreise keinen Einfluss hat – zum Beispiel in Tempelhof-Schöneberg, | |
Charlottenburg-Wilmersdorf oder Steglitz-Zehlendorf. | |
Und in Spandau? Daniel Buchholz hat sich entschlossen, nicht aufzugeben. In | |
einer geheimen Abstimmung wurde er von der SPD-Basisversammlung | |
Südpark-Tiefwerder am vergangenen Samstag mit 16:5 Stimmen nominiert. „Von | |
den drei für meinen Wahlkreis zuständigen Mitgliedersammlungen haben mich | |
damit zwei nominiert“, freut er sich. „Die dritte hat wegen der fehlenden | |
Möglichkeit zur geheimen Abstimmung nicht votiert.“ | |
Noch setzt Raed Saleh laut Buchholz auf sein altbewährtes System. So habe | |
er seit zwei Wochen nicht auf Mails der SPD-Basis zum Thema | |
Kandidatenaufstellung reagiert. „Und seit über einer Woche werden meine | |
Pressemitteilungen vom SPD-Kreisbüro nicht mehr versendet“, klagt Buchholz. | |
Dennoch könnte er bei der entscheidenden Sitzung der | |
Kreisdelegiertenversammlung an diesem Samstag die Oberhand gegen seinen | |
Konkurrenten Stephan Machulik behalten. Vorausgesetzt, die Spandauer SPD | |
hält sich an die Gepflogenheit der anderen Kreisverbände. Dort ist es | |
üblich, dass die Kreisdelegiertenversammlung dem Votum der Basis in den | |
Ortsverbänden folgt. | |
In Spandau steht also High Noon an. Es geht dabei auch um die politische | |
Kultur und die Frage, was mehr zählt: innerparteilicher Pluralismus oder | |
ein „System der Belohnung“. | |
12 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/downloads/20558286/1/brief-an-raed-saleh.pdf | |
[2] https://mailchi.mp/2f67eaadfb19/zum-zustand-der-spd-spandau-1-million-euro-… | |
[3] /SPD-Abgeordnete-steigt-aus/!5694719 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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