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# taz.de -- Nawalny-Proteste in Moskau: Schnee gegen Schlagstöcke
> Trotz Polizeigewalt gehen Zehntausende Menschen in Russland auf die
> Straße. Sie fordern die Freiheit für Alexei Nawalny – und das Ende des
> Systems Putin.
Bild: Festnahmen und Ausschreitungen bei den Protesten gegen die Inhaftierung v…
Moskau taz | Stas Iwanow kennt diese Bilder, er hat sie oft auf seinem
Tablet gesehen, hat sie mit seinem Smartphone kommentiert. Bilder von
Protestierenden, die von ihrer Regierung ein Leben nach Gesetz fordern;
Bilder von Polizisten in Vollmontur, die auf friedlich herumstehende
Menschen einhauen; Bilder von Verletzten, die sich vor Schmerzen krümmen
und „Freiheit“ rufen.
Er kennt solche Bilder aus der Ukraine, aus Belarus, auch aus Chabarowsk in
Russlands Fernem Osten. „Es ist das Eine, solche Bilder auf seinem bequemen
Sofa anzuschauen, das Andere aber, sich plötzlich mittendrin zu befinden.
Das Mittendrin-Sein hatte ich bislang immer vermieden, jetzt aber reicht
es“, sagt der 28-Jährige auf dem Puschkin-Platz in Moskau. Hierher, mitten
ins Zentrum der russischen Hauptstadt, hatte das Team um den inhaftierten
russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny die Menschen zum Protest
aufgerufen. Sie sollten zeigen, dass sie mit der Willkür-Justiz des Staates
nicht mehr leben wollen. Sie sollten die [1][Freiheit für Nawalny] fordern.
Und die Menschen kommen, sie kommen in Massen. In Moskau, in Sankt
Petersburg, in Juschno-Sachalinsk, in Jakutsk, in Jekaterinburg und in
Barnaul. In knapp 100 Städten versammeln sich an diesem Samstag
Zehntausende Unzufriedene auf den Straßen, teilweise bei Temperaturen von
minus 40 Grad. Sie kommen, [2][obwohl der Staat im Vorfeld eine starke
Drohkulisse aufgebaut hatte], offenbar überzeugt davon, dass die
[3][Einschüchterungstaktik greifen würde]. Sie kommen als Familie und mit
Freunden, egal, ob sie 60, 40 oder 20 Jahre alt sind. Allein in Moskau
sollen es mehr als 40.000 Protestierende gewesen sein.
Auch Stas Iwanow hat den Weg aus dem Moskauer Umland mit zwei Freunden
unternommen, es ist ihre erste nicht genehmigte Demonstration, bei der sie
dabei sind. „Irgendetwas in meinem Kopf hat Klick gemacht, und ich dachte:
Heute oder nie. Trotz großer Angst.“
Der Schlosser schaut sich um, der Platz ist von OMON-Spezialpolizisten
umstellt. Einer ruft immer wieder: „Geehrte Bürger und Bürgerinnen, achten
Sie auf die Hygienemaßnahmen, die wegen der epidemiologischen Situation
getroffen wurden. Beachten Sie die erforderliche Distanz, setzen Sie Masken
und Handschuhe auf.“
Andere „Omonowzy“ gehen in die Menge und greifen wahllos nach Menschen,
führen sie ab, manche wehren sich, andere lassen es wortlos geschehen. Der
Puschkin-Platz ist unpassierbar, in den umliegenden Straßen stellen sich
die Menschen entlang der Bordsteine, sie klatschen, sie winken, sie rufen:
„Freiheit“ oder „Russland ohne Schlamm“ – und gehen damit auf den neu…
Enthüllungsfilm Nawalnys ein. Der Antikorruptionskämpfer hat in seinem
[4][fast zweistündigen Video „Putins Palast“] die mutmaßlichen Reichtümer
des Präsidenten gezeigt und ihn damit direkt angegriffen. Auch ein
Schlammbad kommt darin vor. Doch hier, auf den Straßen nur unweit des
Kremls geht es den Menschen um weit mehr als um Nawalnys Enthüllungen und
die Haft des Politikers nach einer mehr als fragwürdiger
Gerichtsverhandlung.
## „Nawalny ist lediglich ein Katalysator“
„Ich stehe nicht wegen Nawalny hier, ich stehe für mich und meine Kinder
hier, die eine Zukunft in Russland haben sollen, eine, vor der man keine
Angst haben muss“, sagt die 42-jährige Anna Jaryschewa. „Nawalny ist
lediglich ein Katalysator für all unsere Unzufriedenheit.“
Nawalny selbst – wie auch seine engsten Mitarbeiter*innen – sitzen in
Haft und haben kaum Zugang zur Außenwelt. Seine Frau Julia aber kommt zum
Puschkin-Platz – und wird sogleich in einen Mannschaftswagen der Polizei
abgeführt. So geht es allen, die direkt mit der Arbeit für Nawalny in
Verbindung gebracht werden, quer durchs Land.
In manchen russischen Städten reagiert die Polizei jedoch zurückhaltend,
lässt die Protestierenden gewähren. Ein Polizist aus Kursk, der ein Video
zur Unterstützung Nawalnys aufgenommen hatte, wird derweil gefeuert. Auch
außerhalb Russlands kommt es zu Demonstrationen. „Die Welt sieht diese
Willkür, sie sieht, [5][wie Putin durchdreht]. Über kurz oder lang wird
sich hier etwas ändern, zumal es die Jüngeren sind, die etwas bewegen
wollen. Sie lassen sich nicht mit ein wenig besseren Renten kaufen“, meint
Anna Jaryschewa und verschwindet, in ihre knallgrüne Jacke gehüllt, wieder
in der Menge.
Die Fahrer*innen in vorbeifahrenden Autos hupen, auch sie winken und
machen das Victory-Zeichen. Die Menschen freuen sich übereinander – und
wissen: Die Gefahr ist nah. „Aber nicht hierherzukommen, macht noch mehr
Angst, als hier zu sein“, meint die 25-jährige Alexandra, die mit ihrer
Mutter Julia bereits bei Dutzenden Protestaktionen dabei war. „Diese aber
hat einen ernsteren Charakter.“
Bereits eine Stunde später stürmen Dutzende Spezialpolizisten in die
Menschenmenge, sie schlagen mit den Schlagstöcken auf sie ein, treten sie,
drängen sie in die Metrostationen ab. Die Protestierenden laufen in
Richtung Kreml, in Richtung der Geheimdienstzentrale an der Lubjanka. Sie
bewerfen die Polizisten mit Schnee. Die Polizisten jagen die Männer und
Frauen durch die Straßen. Am Ende des Tages sind in Russland mehr als 1.600
Menschen festgenommen. Das Ermittlerkomitee kündigt an, wegen „Gewalt gegen
Staatsbedienstete“ zu ermitteln.
23 Jan 2021
## LINKS
[1] /Festnahme-von-Alexej-Nawalny/!5741776
[2] /Soziologe-ueber-Kundgebung-fuer-Nawalny/!5745966
[3] /Opposition-in-Russland/!5745921
[4] /Korruptionsvideo-ueber-Wladimir-Putin/!5742047
[5] /Fall-Alexei-Nawalny/!5741722
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Alexei Nawalny
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2.
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