# taz.de -- Surrealistischer Spielfilm auf DVD: Widerwärtigen die Spitze nehmen | |
> Der Film „Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden“ fabuliert mit | |
> schwarzem Humor. Inszeniert ist er virtuos und mit viel Effekt. | |
Bild: Der Psychiater Ángel Sanagustin (Ernesto Alterio) steht ungerührt vor M… | |
„Vorteile des Reisens mit der Bahn“ heißt der Film im Original – und das | |
ist ein böser Witz. Denn Helga (Pilar Castro), die weibliche Heldin, hat | |
sich bei ihrer Zugfahrt gerade gesetzt, da quatscht sie ein seriös | |
wirkender Mann mit weißem Bart direkt an. Arzt sei er, in der Psychiatrie, | |
in der Helga gerade ihren eigenen Mann abgeliefert hat. Letzteres haben wir | |
vom Erzähler aus dem Off eingangs erfahren, die Vorgeschichte kennen wir da | |
noch nicht, wir erfahren sie später, der Erzähler aus dem Off meldet sich | |
aber erst mal nicht wieder. | |
Denn jetzt erzählt der Arzt eine Geschichte, die so wild wie „obskur“ ist. | |
Letzteres verspricht der deutsche Titel, der wohl auf [1][Buñuels | |
Klassiker] „Dieses obskure Objekt der Begierde“ anzuspielen versucht. Das | |
ist okay und legt der Film von Aritz Morena selbst nahe, nicht nur, aber | |
auch, weil er wie der von Buñuel mit einer Zugfahrt beginnt. | |
Der Arzt erzählt, es ist die erste Geschichte, es werden weitere folgen, | |
nicht weniger wild und obskur, er erzählt also von einem Brief, den er | |
erhielt. Darin berichtet die Verfasserin von ihrem Bruder, der im | |
Jugoslawienkrieg die Leiterin einer Kinderklinik kennenlernt, die sich, um | |
die Klinik zu finanzieren, erst prostituiert, dann, weil das nicht reicht, | |
einzelne Kinder an düstere Hintermänner verkauft. | |
Fast unmerklich haben die Erzählinstanzen dabei gewechselt. Erst erzählt | |
die Autorin des Briefs, dann übergibt sie an ihren Bruder, der reicht den | |
Stab an die Ärztin, die an den wichtigsten der Hintermänner übergibt. Der | |
Ton wird immer düsterer, was geschieht, wird immer abstruser, | |
widerwärtiger und surrealer zugleich. Inszeniert ist es hoch virtuos, mit | |
sehr viel Effekt, mit Filtern und Kamerafahrten, mit präzisen Kadragen, | |
schießt mit Lust auch auf der Ebene der Präsentation über alle Realismen | |
hinaus. | |
Der Humor, so finster er ist, nimmt dem Widerwärtigen die Spitze. Der Ekel | |
bleibt: Weder der Likör noch die Wurst, die der Arzt aus dem Zug bei der | |
Schwester des Manns aus dem Krieg einige Erzählschritte später verspeist, | |
sind, was sie scheinen. Auch die Schwester ist ein anderer, als man denkt. | |
Der Arzt im Übrigen auch. | |
## Die Nase in sehr übelriechende Dinge tunken | |
Diese Matroschka-puppenhaft verschachtelte Geschichte ist nur der erste | |
Streich. Zwei weitere folgen, die eine davon die Vorgeschichte von Helga, | |
der Heldin im Zug, die Geschichte einer hündischen Liebe oder auch der | |
Hundwerdung in einer mehr als toxischen Beziehung. | |
Noch einmal und noch einmal tunkt einem Regisseur Morena die Nase in sehr | |
übelriechende Dinge, wieder tut er es auf verschachtelte Weise, sehr | |
bewusst und als Setzung, denn im Grunde geht es so sehr um die Lust am Ekel | |
und Komik erregenden Detail wie um die viel grundsätzlichere Lust am | |
Erzählen und der Fabulation. Der Film schreckt dabei vor wenig zurück, um | |
am Ende den Bogen auf eine Weise zu schließen, die nicht alles, aber doch | |
manches erklärt, das Erklären aber als nicht minder willkürliche Setzung | |
gleichzeitig ad absurdum führt. | |
Im Absurden ist Aritz Moreno offensichtlich zu Hause. Ein Meister seiner | |
Mittel in diesem Spielfilmdebüt, daran besteht kein Zweifel, selbst wenn | |
man Sinn und Zweck der Veranstaltung etwas skeptischer sieht. Es handelt | |
sich um die Verfilmung eines Romans von Antonio Orejudo, dessen | |
Komplexitäten Moreno sebstbewusst und entschlossen in sehr eigenwillige | |
Bildwelten und erzählerische Reflexionsfiguren überführt. | |
Für vier Goyas, die spanischen Filmpreise, und für den europäischen | |
Filmpreis (als beste Komödie) war der Film nominiert. Es wird nicht das | |
letzte Mal sein, dass man von diesem Regisseur etwas hört. | |
21 Jan 2021 | |
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[1] /Buuel-Retrospektive-auf-der-Berlinale/!5187114 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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