# taz.de -- Kinoempfehlung für Berlin: Jenseits des Sagbaren | |
> Eine Retrospektive im Zeughauskino ist derzeit Elías Querejeta gewidmet, | |
> dem 2013 verstorbenen und vielleicht wichtigsten Filmproduzenten | |
> Spaniens. | |
Bild: „Vierzig Jahre nach Granada – A un dios desconocido“ (1977) | |
Die Geschichte des spanischen Kinos ist weit mehr als seine bekanntesten | |
Regisseure Luis Buñuel und Pedro Almodóvar. Einen auf den ersten Blick | |
ungewöhnlichen Fokus richtet derzeit eine Retrospektive im Berliner | |
Zeughauskino auf Elías Querejeta, den 2013 verstorbenen und vielleicht | |
wichtigsten Filmproduzenten des Landes. | |
Das Kino war die große Leidenschaft des 1934 geborenen Basken, mehr noch | |
als der Fußball, den er als Profispieler seines Heimatklubs Real Sociedad | |
in San Sebastián betrieb, bevor er mit 24 Jahren seine Fußballerlaufbahn | |
beendete, nach Madrid ging und noch während des Franco-Regimes beschloss, | |
unabhängige Filme zu produzieren. | |
Bereits ab Mitte der 1960er Jahre ermöglichte er eigenwilligen Regisseuren | |
Stoffe zu realisieren, die immer wieder subversiv Gesellschaftskritik übten | |
und als Kommentar auf Militär und Kirche, die Vergangenheit des | |
unbewältigten Bürgerkriegs und seine Auswirkungen auf die Gegenwart | |
verstanden wurden. In einem halben Jahrhundert produzierte er so mehr als | |
50 Filme, darunter einige Meisterwerke des spanischen Kinos. | |
Prägend war er dabei nicht nur, weil er einige der später bedeutendsten | |
Regisseure des Landes förderte, allen voran Carlos Saura, mit dem er | |
insgesamt 13 Filme drehte, darunter „Züchte Raben“ („Cría cuervos“, 1… | |
und „Cousine Angélica“ („La prima Angélica“, 1973). | |
## Eine Art Gütesiegel | |
Vor allem aber, weil er seinen Produzentenberuf als weit mehr verstand als | |
bloßes Budgetbeschaffen, Koordinieren und Distribution eines Films. Er | |
mischte inhaltlich mit, oft streitbar, schrieb an zahlreichen Drehbüchern | |
mit und stellte so das Prinzip der Autorenschaft eines Films grundsätzlich | |
infrage. | |
Mit dieser dezidierten, kreativen Einflussnahme überwarf er sich zwar mit | |
einigen Regisseuren, Jaime Chávarri bei „El desencanto“ (1976) etwa oder | |
Víctor Erice („Der Süden“, 1983), mit dem es nach einem Streit jahrelang | |
keinen Kontakt gab. Doch Querejetas Name erwies sich bald als eine Art | |
Gütesiegel, die von ihm verantworteten Produktionen wurden zu | |
internationalen Filmfestivals eingeladen und nicht selten ausgezeichnet. | |
Er versammelte eine feste Filmfamilie um sich, zu der Kameramann Luis | |
Cuadrado, Komponist Luis de Pablo und nicht zuletzt die Kostümbildnerin | |
(und Querejetas Ehefrau) Maiki Marín gehörten und etablierte so eine | |
unabhängige Filmfabrik, die das Neue Spanische Kino maßgeblich geprägt hat | |
und sich als „La Factoría Querejeta“ nun auch im Titel der von Petra Palmer | |
kundig kuratierten Filmreihe findet. | |
So unterschiedlich die noch bis Ende März zu sehenden Werke sind, lassen | |
sich doch immer wieder stilistische Ähnlichkeiten entdecken, die sich von | |
den Genrekonventionen der Komödien, Melodramen und Historienfilmen | |
absetzen, die das populäre Erzählkino Spaniens lange dominierten. | |
Querejetas Filme nutzen dagegen eine oft elliptische, bewusst offene | |
Narration und finden filmische und musikalische Ausdrucksmittel jenseits | |
des verbal Sagbaren. | |
Mit diesem indirekten Stil und der subtilen Anspielung auf politische | |
Themen widersetzten sich die Produktionen geschickt der offiziellen Zensur. | |
Carlos Sauras „Die Jagd“ („La caza“) von 1966 beginnt etwa mit zwei in | |
einem Käfig eingesperrten Frettchen, die ungeduldig darauf warten, befreit | |
zu werden. | |
## Die Grausamkeiten des Bürgerkriegs | |
Vier befreundete Männer, die gemeinsam im kargen Hinterland von Toledo auf | |
die Jagd gehen, hetzen die Tiere später in die Kaninchenbauten, um so die | |
Beute aufzuschrecken, die ans Tageslicht flieht und dort kaltblütig | |
abgeknallt wird. Die ritualisierte Gewalt steht dabei sinnbildlich für die | |
Grausamkeiten des Bürgerkriegs, ohne dies explizit auszusprechen. | |
Kriegstraumata verhandelt auch einer der schillerndsten Beiträge der Reihe. | |
Im hierzulande wenig beachteten Meisterwerk „Der Geist des Bienenstocks“ | |
(„El espíritu de la colmena“) aus dem Jahr 1973 spiegelt Víctor Erice die | |
Erfahrungen eines jungen Mädchens in einem Dorf kurz nach Kriegsende, ihre | |
Begegnung mit einem republikanischen Geflüchteten und dem Verhältnis zum | |
Vater, der an seiner inneren Emigration leidet, mit Bildern aus James | |
Whales Horrorklassiker „Frankenstein“, den das Kind in einem Wanderkino | |
gesehen hat. | |
Daneben lassen sich weitere lohnenswerte Entdeckungen machen, etwa Ricardo | |
Francos historisches Drama „Pascual Duarte“ (1976) nach dem Romanklassiker | |
des Literaturnobelpreisträgers Camilo José Cela oder Jaime Chávarris | |
„Vierzig Jahre nach Granada“ („A un dios desconocido“, 1977), über die | |
Erinnerungen des Zauberers José an eine unerfüllte Liebe zu einem jungen | |
Mann und an seinen von Faschisten erschossenen Vater. | |
So wie dieser als einer der ersten Spielfilme offen Homosexualität | |
thematisierte, wurden Querejetas Produktionen nach Francos Tod und der | |
anschließenden Übergangsphase zur Demokratie allgemein deutlicher. Nur dem | |
Massengeschmack hat sich der linke Autodidakt verweigert, blieb politisch | |
und gesellschaftskritisch. Im baskischen San Sebastián ist man längst stolz | |
auf den unbequemen Sohn. Vier Jahre nach seinem Tod wurde 2017 die neue | |
Filmhochschule nach ihm benannt. | |
12 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Thomas Abeltshauser | |
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