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# taz.de -- Minderheitenwitze im TV: Deutscher Humor
> Das Unterhaltungsfernsehen macht gern Witze auf Kosten von Minderheiten.
> Denn Deutsche können nicht über sich selbst lachen.
Bild: Humor in Deutschland: Witze über Minderheiten, weil Deutsche über sich …
Ein Witz über Deutsche könnte so lauten: Fragt ein Deutscher andere
Deutsche: „Habt ihr schon einmal einen Rassisten gesehen?“ – „Nein.“ …
auch nicht.“ Im Land der Nazis und Henker tun aus Prinzip viele so, als
wäre Rassismus schwer zu verstehen.
Auch Promis sind nie wirklich rassistisch, sie reden ja nur über ihre
Empfindungen. Warum haben Leute überhaupt Empfindungen wegen des Namens
einer Soße? Ach so, weil es gar nicht um die Soße geht, sondern darum, wer
bestimmen darf, wie sie heißt. Vor allem, wenn diese Soße zufällig nach
einer Minderheit benannt wurde. Zugegeben, das verspeisen von Minderheiten
hat in der deutschen Sprache eine gewisse Tradition, aber wie kann man
ernsthaft an Namen hängen, die Nazis für ihre Morde missbrauchten?
Es ist immer dasselbe: Am Montag noch wird feierlich der
Holocaust-Gedenktag begangen. Zwei Tage später folgt die nächste ignorante
Diskussion. Ich halte das inzwischen für Rache: Auf das demütige Gedenken
muss was folgen. Leider wird bei dem, was folgt, die Dummheit meist noch
transparenter als der Rassismus.
Wie ein fettes Walross hat die Dummheit Platz genommen in den
öffentlich-rechtlichen Sofas. Selbst der Zentralrat Deutscher Sinti und
Roma schreibt über die misslungene [1][WDR-Sendung „Die letzte Instanz“]:
„Diese Sendung erweckt den Eindruck, sie wolle mit Antiziganismus und
dümmlichen Auftritten Quote machen.“ Stell dir vor, deine Menschenwürde
wird verletzt, aber du stehst als Betroffener gleichsam fassungslos vor der
Dummheit, die schamlos zur Schau getragen wird.
Warum geht das deutsche Unterhaltungsfernsehen so oft davon aus, von allen
deutschen Tugenden wäre ausgerechnet die Dummheit bei den Zuschauenden
beliebt? Ich würde allen Teilnehmenden dieser Sendung unterstellen, gewusst
zu haben, dass sie rassistischen Müll von sich geben. Aber mit solchen
dümmlichen Fragen macht man hierzulande eben „dumme deutsche Unterhaltung“.
Ein eigenes Genre hierzulande. Schon Harald Schmidt wusste das. Aber er hat
die flachen Witze gegen Minderheiten so schelmisch vorgetragen, dass da
noch die Möglichkeit des Spiels mit dem Ressentiment aufblitzte.
## Wir bestimmen, wer hier Witze macht
Warum muss der deutsche Humor heute ständig Witze über Minderheiten machen?
Ach ja, weil Deutsche über sich selbst nicht lachen können. Schon gar nicht
seit Loriot tot ist. Was offenbart uns die Art, wie in den deutschen Medien
Witze über Minderheiten gemacht werden? Für weite Teile der Medien gehören
Minderheiten noch nicht dazu. Nicht zum Club der Etablierten. Also macht
man seine dummen Witze über jene, die noch nicht in den Chefetagen
angekommen sind. Das Ganze ist wie Altkanzler Kohls Lieblingssatz als
Comedy getarnt: „Deutschland ist kein Einwanderungsland.“ Will sagen: Wir
bestimmen, was hier Gesetz ist. Oder eben Witz.
Inzwischen rufen Nachfahren von Einwanderern „Mit uns nicht!“ Schon
beschimpfen sie einige als Sprachpolizei. Doch es geht nicht um Sprache,
sondern um den alten Machtanspruch der Mehrheitsgesellschaft: „Wir lassen
uns nicht vorschreiben, wie wir über Minderheiten sprechen.“ Eine äußerst
demokratische Haltung, ja. In einer Demokratie lässt man sich aber auch
nicht vorschreiben, wem man wann widerspricht und wie heftig.
## Einmal Deutschenbraten mit Soße!
Die Nachfahren der einstigen Minderheiten wehren sich dagegen, ständig über
rassistische Klischees repräsentiert zu werden. Der Versuch, kritische
Minderheiten mit Vorwürfen des Totalitären beizukommen, ist selbst
totalitär. Man will beleidigen dürfen, wen und wie man will. In einem
öffentlich-rechtlichen Sender, der den Auftrag hat, Diversität angemessen
zu repräsentieren, geht das aber nicht.
In Deutschland gilt „[2][Oma ist ’ne echte Umweltsau]“ aus Kindermund sch…
als ehrverletzend, aber Deutsche, deren Vorfahren eingewandert sind, sollen
sich die Verächtlichmachung ihrer Herkunft gefallen lassen. Wie lange soll
sie sich sich Worte anhören, die missbraucht wurden, um ihre Eltern oder
Großeltern zu versklaven oder zu vernichten?
Aber das N*Wort oder das Z*Wort, das hätte doch Geschichte, wir seien das
gewohnt, sagen manche. Schämt euch, dass ihr diese Worte noch gewohnt seid.
Ihr könntet wissen, dass einer wie [3][Gianni Jovanovic], Sohn einer
Roma-Familie, ebenfalls im WDR davon erzählte, wie das Z*Wort seiner
Familie von 1939–45 eintätowiert wurde und sie vergast wurde. Warum ist das
Z*Wort überhaupt noch in Gebrauch, als wäre das alles nie geschehen? Ach
ja, weil Deutschlands Entnazifizierung ja vorneherum ein mühevoller Prozess
war, in weiten Teilen aber ein Trauerspiel, bei dem wichtige Rollen des
öffentlichen Lebens mit Ex-Nazis als Bürgerlichen besetzt wurden.
## Warum ich mich nicht mehr empöre
Es gibt nur einen Grund, warum ich mich nicht empöre oder einklinken will:
Ich werde Rassisten erniedrigende Erlebnisse nicht als Dessert zu ihren
Rassismus-Verharmlosungen servieren. Ich bewundere alle Betroffenen, die es
schaffen, von ihren Schmerzen, Wunden und Tragödien zu erzählen, weil sie
einen Beitrag zur Demokratie leisten wollen, weil sie an Empathie glauben
und gegen das Vergessen ankämpfen.
Ich habe aber derzeit ein Problem mit dieser Rolle, weil das Reden über
Rassismus in Deutschland zu einem Schauspiel verkommen ist, das nach
kalkulierbaren Gesetzmäßigkeiten verläuft: Ja, das Empören schafft zwar
Öffentlichkeit, doch diese Öffentlichkeit besetzen immer mehr
Rechtsdeutsche, um Opfer zu Tätern zu machen.
Während Betroffene unermüdlich das Einfachste erklären, das auch der
Dümmste verstehen kann, rückt die Gesellschaft, in der alle endlich gleich
sein könnten, ein Stück ferner in die Zukunft. Im Kampf gegen Klischees
etablieren sich so Klischees. Man hält Minderheiten in der Rolle gefangen,
Rassismus zu erklären. Man verzichtet auf ihre Talente. Ach, schmort doch
in eurer Paprikasoße und serviert eure hasserfüllen Ergebnisse dann als
Deutschenbraten. Ich habe Besseres zu tun.
4 Feb 2021
## LINKS
[1] https://www1.wdr.de/nachrichten/kritik-die-letzte-instanz-100.html
[2] https://www.lz.de/owl/22650956_Oma-ist-ne-Umweltsau-WDR-loescht-satirisches…
[3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/wdr-sendung-die-letzte-instanz-es-fehl…
## AUTOREN
Jagoda Marinić
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