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# taz.de -- Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge: Moralischer Leuchtturm
> Was die Diskussion um den Neubau der großen Hamburger Synagoge mit der
> Abwehr von Antisemitismus zu tun hat.
Bild: Wo einst die Synagoge stand: Gedenken zur Pogromnacht am Joseph-Carlebach…
Seit einiger Zeit wird nicht nur in Hamburg, sondern landesweit über das
Vorhaben gestritten, in Hamburg die von den Nazis zerstörte Synagoge am
früheren Bornplatz zu rekonstruieren. Eine große Koalition von SPD, Grünen
und CDU hat dafür überraschend kurzfristig 65 Millionen Euro beschafft.
Unterstützt durch eine PR-Offensive „Nein zu Antisemitismus – JA zur
Bornplatzsynagoge“, eine Abstimmung, eine Plakataktion und die Bild soll
der Wiederaufbau durchgesetzt werden.
Doch inzwischen haben sich Holocaust-Überlebende wie Esther Bejarano und
Peggy Parnass, jüdische Wissenschaftler*innen wie Moshe Zimmerman und
Miriam Rürup und zahlreiche nichtjüdische Stimmen kritisch und ablehnend
gegen die Pläne geäußert und fordern einen offenen und öffentlichen Dialog.
Der aber wird zunehmend aggressiv verweigert. So lässt Bild den
konservativen Rabbi der Gemeinde schimpfen: „Wir lassen uns den
Wiederaufbau nicht verbieten!“ Und für den Hamburger CDU-Politiker Carsten
Ovens sind die Kritiker*innen nichts als eine Gruppe von
„Intellektuellen“, die „nicht ganz koscher sind“.
Gegen diese Klima-Vergiftung und eine fast schon populistische Kampagne
sollen im Folgenden sechs Gründe für einen kritischen Blick auf die
Initiative zur Diskussion gestellt werden.
## 1. Ja zum Neubau einer Synagoge und eines jüdischen Kulturzentrums und
dessen Mitfinanzierung durch den Staat
Dass die jüdische Einheitsgemeinde in Hamburg eine neue Synagoge (auch die
geplante Rekonstruktion wäre ein Neubau) bauen will, ist nicht nur
einsichtig, sondern erfreulich, zeigt es doch die Hoffnung auf eine
unangefochtene Zukunft in dieser Stadt. Dass dieses Vorhaben von
staatlicher Seite zu großen Teilen mitfinanziert wird, sollte aus zwei
Gründen selbstverständlich sein. Zum einen schulden die Hamburger ihren
jüdischen Bürger*innen nach den Zerstörungen in der Nazizeit den Neu-
oder Wiederaufbau ihrer religiösen und kulturellen Zentren.
Zum anderen ist die finanzielle Beteiligung am Erhalt kulturell und
architektonisch bedeutsamer Gebäude eine öffentliche Aufgabe und muss
staatlich abgesichert werden. So wurde und wird auch der Erhalt
christlicher Kirchengebäude mit erheblichen staatlichen Zuwendungen
unterstützt, allein für die Renovierung der Hauptkirche St. Jakobi in der
Hamburger Innenstadt stehen [1][40,8 Millionen Euro bereit]. Und es stehen
auch Entscheidungen darüber an, wie islamische Glaubensgemeinschaften, die
sich von finanzieller und damit auch ideologischer Abhängigkeit vom Iran
und von der Türkei freihalten und darum in Garagen oder Lagerhallen, also
weitgehender Unsichtbarkeit beheimatet sind, darin unterstützt werden
können, würdige Orte ihrer Religionsausübung zu erhalten.
Aus diesen beiden Gründen steht die Stadt Hamburg in der Mitverantwortung
für den Bau oder den Erhalt von jüdischen Zentren in Hamburg, und es ist zu
begrüßen, dass sie diese Verantwortung wahrnehmen möchte.
## 2. Ja zum Fortbestand und zur Weiterentwicklung des Erinnerungsortes am
Joseph-Carlebach-Platz
Die Argumente für den Neubau der Synagoge am Platz der alten, von den
Hamburger Nazis zerstörten Synagoge sind bekannt und nicht von der Hand zu
weisen. Es soll demonstrativ gezeigt werden, dass es wieder jüdische
Traditionen und jüdisches Leben in Hamburg gibt. Doch genau da wird es
problematisch: Die Bedeutung und Wirksamkeit des religiösen Lebens in einer
Synagoge (einer Kirche, einer Moschee) hängt nicht von deren Lage ab. Es
geht bei der Entscheidung für den Joseph-Carlebach-Platz also vor allem um
eine symbolische Demonstration. Doch dieses Symbol hätte einen hohen
erinnerungskulturellen Preis.
1988, zum 50. Jahrestag der Zerstörung der Bornplatzsynagoge, wurde deren
ehemalige Fläche mit einem Kunstwerk von Margrit Kahl als Erinnerungsort
gestaltet und wird seitdem auf unterschiedliche Weise auch von der
Jüdischen Gemeinde und anderen Initiativen dafür genutzt. Ein Jahr später
wurde die Fläche in Erinnerung an den letzten Rabbiner der Synagoge [2][in
Joseph-Carlebach-Platz umbenannt]. Zum Erinnerungsort gehört auch der von
den Nazis erbaute Bunker, der aber noch von der Universität genutzt wird.
Der Carlebach-Platz ist der einzige Ort in Hamburg, der auf sichtbare Weise
an die Pogromnacht und den mit ihr vorbereiteten Zivilisationsbruch des
Holocaust erinnert. Seine Herstellung verdankt sich – typisch für Hamburgs
Erinnerungskultur – nicht den oder einigen Parteien der Bürgerschaft, also
staatlicher Initiative, sondern dem Engagement vor allem studentischer
Gruppen.
Die Gestaltung und Bedeutung dieses Erinnerungsortes am
Joseph-Carlebach-Platz ist ausführlich und sorgfältig dargestellt in einem
Votum mehrerer Hamburger Bürger*innen, darunter Ursula Büttner, Gert Kähler
und Moshe Zimmermann. Die Tatsache, dass das Mahnmal im Alltag oft
übersehen wird, spricht nicht für dessen Verschwinden, sondern ganz im
Gegenteil für seine seit Langem versäumte Weiterentwicklung.
Zu diskutieren wäre in diesem Zusammenhang, ob nicht der Bunker zu einem
Dokumentationsort für die Pogromnacht 1938 gestaltet werden könnte, wobei
auch die verantwortlichen und beteiligten Hamburger Täter*innen nam- und
sichtbar gemacht werden müssten. Noch immer erscheinen die Verantwortlichen
für Pogrom und Holocaust als eine fremde böse Macht, die über das gute
Hamburg hergefallen wäre.
Dass dem nicht so war, sondern dass und wie sich die „gutbürgerlichen“
Nachbarn am Pogrom und den späteren Deportationen im Grindelviertel und in
der Universität bereicherten und beteiligten, könnte eindrucksvoll im
Bunker dokumentiert werden. Ebenso die wenigen, aber darum wichtigen
Beispiele gelebter Solidarität mit den verfolgten jüdischen
Nachbar*innen und Kolleg*innen. Die Frage, warum sich die gute
Nachbarschaft mit den Menschen anderer Religionen und Kulturen als brüchig
erwiesen hat, verstört und ist gerade darum aktuell.
Die mögliche Zerstörung des Gedenkortes am Joseph-Carlebach-Platz – und
nichts anderes würde seine Überbauung bedeuten – wäre ein alarmierender
Rückschritt. Denn dann bliebe im Zentrum der Stadt als sichtbarer
Dokumentationsort für Judenverfolgung, Schoah und Krieg nur noch das
Mahnmal St. Nikolai. Das allerdings erinnert monumental und eindrücklich
vor allem an die im Feuersturm getöteten Hamburger und Hamburgerinnen und
die Zerstörungen großer Teile der Stadt.
Hier hat man sinnvollerweise nach dem Krieg auf eine Rekonstruktion der
durch die britischen Bombenangriffe fast völlig zerstörten Kirche
verzichtet und stattdessen die Reste und vor allem den weithin sichtbaren
Turm als Mahnmal gestaltet mit einer inzwischen historisch aufgeklärten
Dokumentation. Das Mahnmal wurde übrigens auch mit Millionensummen
restauriert. Soll es zukünftig für die deportierten und ermordeten
Hamburger Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma und anderer von den Nazis
verfolgter Gruppen nur noch die kleinen Stolpersteine geben?
## 3. Eine Rekonstruktion der Synagoge am alten Platz macht Eindruck – und
täuscht doch
Der Neuaufbau der großen Synagoge von 1906 am alten Platz würde das
Grindelviertel wieder im alten Glanz erstrahlen lassen, also so, als ob es
die Zerstörung jüdischen Lebens nicht gegeben hätte. Alles soll so schön
sein wie früher. Darum wird auch in den jüdischen Gemeinschaften und unter
den nicht religiös verorteten jüdischen Bürgerinnen und Bürgern in Hamburg
über die Absichten und die Wirkung einer Rekonstruktion gestritten. Auf
denkwürdige Weise einhellig haben sich dagegen die Regierungsparteien SPD
und Grüne festgelegt.
Unabhängig von der Debatte um die Bornplatzsynagoge gibt es schon seit
Längerem deutschlandweit heftige Kontroversen um die Rekonstruktionen
bedeutender historischer Gebäude wie des Stadtschlosses in Berlin und der
Garnisonskirche in Potsdam. Auch wenn sie im Hintergrund eine Rolle
spielen, sollten sie die Hamburger Debatte nicht belasten. Doch Daniel
Sheffer, Initiator und Sprecher der Hamburger Initiative für die
Bornplatzsynagoge, hat sich hier [3][festgelegt]: „Was die Dresdner
Frauenkirche für Deutschland wurde, dass kann auch die Bornplatzsynagoge
für dieses Land sein. Ein Ort, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
vereint.“
Diese Referenz ist bedenklich. Denn die Dresdener Frauenkirche war in der
Nazizeit nach Vertreibung des Nazi-kritischen Pastors und Superintendenten
Hugo Hahn seit 1937 Ort faschistischer und antisemitischer „Verkündigung“,
während in der Pogromnacht 1939 die nahe gelegene Synagoge zerstört wurde.
Die Erinnerung an diese antijüdische Bedeutung der Kirche im Zentrum
Dresdens wurde mit der 2005 abgeschlossenen [4][Rekonstruktion] einfach
überbaut und findet sich rudimentär nur im Kellergewölbe.
Diese Täuschung, als habe es die Nazi-Herrschaft nicht gegeben und als
könne man wieder an die Zeiten davor anknüpfen, macht verständlich, dass
die neue alte Frauenkirche nicht nur als Ort für Friedensgebete dient,
sondern auch den Pegidas und anderen Nazi-affinen Gruppen als Hintergrund
für ihre Aufmärsche. Was also macht die Dresdner Rekonstruktion zum Vorbild
für die Hamburger Synagogen-Rekonstruktion? Warum orientiert sich die
Bornplatz-Initiative nicht eher an der Entscheidung der jüdischen Gemeinde
in Dresden, statt einer Rekonstruktion ihrer zerstörten Synagoge eine neue
zu errichten, so wie es unter anderem auch in Mainz und Konstanz
entschieden wurde?
In diesem Zusammenhang könnte auch die evangelische Kirche in Hamburg sehr
praktisch unterstützend tätig werden, indem sie in ihre Überlegungen über
die Zukunft ihres eigenen Immobilienbestands die Suche nach einem
repräsentativen Standort für eine Synagoge verbindlich einbezieht. Eine
solche Umwandlung wäre zwar außergewöhnlich, aber nicht ungewöhnlich. Es
gibt schon beachtliche [5][Beispiele] in Speyer, Köln, Bielefeld und
Cottbus.
## 4. „Wir brauchen euch“– die Motive der Unterstützer für die
Bornplatzsynagoge sind fragwürdig
Selten war es so einfach, seine Unterstützung für jüdische Gemeinschaften
und jüdisches Leben zum Ausdruck zu bringen. Auf der Website der
[6][Kampagne] genügt ein Klick bei „Drück hier für die Bornplatzsynagoge�…
Einige Dutzend Politiker*innen, vor allem der Grünen und der SPD,
Unternehmer*innen, Repräsentant*innen von Sport, Kirchen und
öffentlichen Einrichtungen werben für diesen Klick. Die Begründungen sind
kurz und allgemein und könnten für jedes Projekt stehen, dass irgendwie mit
jüdischem Leben zu tun hat.
Zu den prominenten Unterzeichnern gehört auch der Musiker Campino,
Frontmann der „Toten Hosen“: „Jüdisches Leben ist ein wichtiger Bestandt…
unserer Gesellschaft. Ohne die jüdischen Gemeinden wäre Deutschland nicht
komplett. Wir brauchen euch!“ Dieses Argument offenbart ein wesentliches
Motiv der gut gemeinten Unterstützung der Kampagne. Wir (?) brauchen euch,
damit Deutschland wieder „komplett“ ist. Die jüdischen Gemeinschaften, die
Jüdinnen und Juden werden gebraucht und benutzt für das deutsche
Integrations- und Gedächtnistheater, wie es unter anderem von dem jüdischen
Dichter und Autor Max Czollek [7][analysiert und attackiert wird].
Noch direkter als Campino begründet die grüne Bürgerschaftsabgeordnete
Filiz Demirel – ausgerechnet am 9. November 2020 – [8][ihr Eintreten für
die Bornplatzsynagoge]: „Seit Jahrhunderten gehört das jüdische Leben
untrennbar zu unserer Gesellschaft. Es ist wichtig, dass wir darüber nicht
nur im Kontext von antisemitischen Anschlägen oder Vorfällen sprechen,
sondern auch endlich in einem ausschließlich positiven Kontext.“
Untrennbar seit Jahrhunderten? Die grüne Abgeordnete weiß natürlich um
Auschwitz und den Versuch, das jüdische Leben vollkommen aus der deutschen
Gesellschaft herauszutrennen und in ganz Europa zu vernichten. Muss sie das
verdrängen, um über jüdisches Leben „endlich (!) in einem ausschließlich(…
positiven Kontext“ sprechen zu können? Schluss mit dem Schuldkomplex, dazu
soll der Wiederaufbau der alten Synagoge am alten Platz den
versöhnungsbedürftigen Hamburgern helfen.
Ganz in diesem Sinn äußerte sich auch der Hamburger
CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries mit einer Attacke gegen die
Kritikerinnen und Kritiker der Bornplatzsynagogen-Planung. Er unterstellt
diesen, „der Jüdischen Gemeinde öffentlich Vorgaben zu machen … und die
Deutungshoheit über die Wirkung eines historisierenden Bauwerks für sich in
Anspruch zu nehmen“, und rät laut [9][Hamburger Abendblatt] „dringend zu
etwas mehr Sensibilität und Zurückhaltung“.
De Vries, der auch als „Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für
jüdisches Leben“ fungiert, offenbart damit nicht nur seine Verachtung für
und kontroverse öffentliche Debatten, sondern auch für die jüdischen
Kritikerinnen des Bornplatz-Vorhabens wie Esther Bejarano, Miriam Rürup,
Peggy Parnass und Moshe Zimmermann. Auf deren Argumente geht der
CDU-Repräsentant nicht ein, denn ihm geht es um Größeres: Er sieht in der
neuen alten Synagoge „so etwas wie eine moralische Elbphilharmonie … für
Hamburg“, also so etwas wie einen weithin sichtbaren Leuchtturm für
Hamburgs großartige moralische Leistung. Die sichtbare Erinnerung an
Pogromnacht und Hamburgs moralisches Versagen würde bei dieser
Selbstinszenierung nur stören.
Ob die Jüdische Einheitsgemeinde sich von einem solchen Politiker gut
unterstützt sieht, wird sie selbst entscheiden. Aber die jüdischen
Bürgerinnen und Bürger, und ebenso die nichtjüdischen, werden sich noch
daran erinnern, dass sich gegen ihren Widerspruch die CDU wortstark daran
beteiligte, dem Judenhasser Martin Luther und seiner Reformation mit dem
31. Oktober einen eigenen Feiertag zu widmen.
Diese und weitere Voten für die Wiederherstellung eines Zustands, als habe
es die Pogromnacht nicht gegeben, zeigen, dass für viele Unterstützer mit
dem handfesten Bau auch eine seelentröstende „Normalität“ erzeugt werden
soll. Das dürfte vermutlich nicht im Interesse der Bornplatz-Initiative und
der jüdischen Gemeinschaften liegen, die tagtäglich damit leben müssen,
dass es hinter dem Schutz von Zäunen und Polizei und der zunehmenden
Bedrohung durch antisemitische Attacken keine Normalität für jüdisches
Leben gibt.
## 5. „Findige Haushälter“? Nicht die Höhe, aber die Quelle der
Finanzierung sollte geändert werden
Noch einmal: Die staatliche Mitfinanzierung einer Synagoge und eines
Gemeindezentrums sollte selbstverständlich sein und aus solchen Berliner
oder Hamburger Etats gefördert werden, die auch für die Sanierung von
Kirchen und anderen kulturellen Einrichtungen vorgesehen sind. Doch eben
das geschieht nicht. Stattdessen werden die 65 Millionen Euro
Bundeszuschuss für die Bornplatzsynagoge aus einem Sonderfonds zur
„Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sowie zur Stärkung des
interreligiösen Dialogs“ [10][bereitgestellt].
Diese Lösung haben, wie das Abendblatt fast nebenbei berichtete, „findige
Haushälter und das parteiübergreifende Netzwerk Hamburger Politiker in
Berlin … gefunden und möglich gemacht“. Neben Rüdiger Kruse (CDU) war vor
allem Johannes Kahrs (SPD) beteiligt, der auch gleich das Ziel vorgegeben
hat: „Mir ist wichtig, dass, wenn die Synagoge wiederaufgebaut wird, die
Außenhülle originalgetreu rekonstruiert wird.“ Auch Olaf Scholz hat nach
Informationen des Abendblatts als Finanzminister dazu [11][beigetragen].
Doch wenn von 150 Millionen Euro Sondermitteln gleich 65 Millionen für den
Synagogenbau festgelegt werden, fehlen diese Gelder all den Initiativen und
Organisationen, die zur „Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“
dringend darauf angewiesen sind. Dazu gehört ganz aktuell ein
Bildungsprojekt gegen Antisemitismus in Niedersachsen, dessen Förderung
[12][nicht verlängert wurde]. Auch viele andere Projekte in diesem Bereich
haben damit zu kämpfen, dass sie nur über kurze Zeiträume finanziert werden
– als ob alle drei Jahre geprüft werden müsste, ob die Bekämpfung von
Rassismus und Antisemitismus noch notwendig ist. Dass die Finanzierung zu
Lasten der kompetenten und schweren Arbeit antirassistischer Initiativen
stillschweigend akzeptiert wurde, belastet beides, den Bau einer neuen
Synagoge ebenso wie den davon zu unterscheidenden Kampf gegen
Antisemitismus. Hamburgs „findige Haushälter“ und ihr Netzwerk in Berlin
sollten baldmöglichst andere und dafür geeignete Etats für den
Synagogen-Neubau finden.
## 6. Antisemitismus bleibt eine eigene Herausforderung
Eine ebenso bittere wie nüchterne Feststellung: Der Neubau einer Synagoge,
wo und wie auch immer, wird den Antisemitismus nicht reduzieren. Trotz des
seit 1990 durch die Einbürgerung von zahlreichen jüdischen Menschen aus der
ehemaligen Sowjetunion erstarkenden jüdischen Lebens haben die
antisemitischen Einstellungen auch in Hamburg nicht abgenommen. So denken,
wie die Zeit berichtete, 56 Prozent der Hamburger, in der Stadt werde
bereits genug für Juden getan.
Und war es nicht schon einmal so? Gerade im Grindelviertel existierte eine
große und (scheinbar?) anerkannte jüdische Gemeinschaft mit vielen
Geschäften, Arztpraxen, Bildungseinrichtungen und der Synagoge als Zentrum.
Die Nachbarschaft war freundlich bis freundschaftlich – und wurde doch
innerhalb kürzester Zeit aufgekündigt.
Viele Nachbarn duldeten oder unterstützten die Ausgrenzung der jüdischen
Bürger, schwiegen zu den Zerstörungen in der Pogromnacht und bereicherten
sich dann direkt nach deren Deportation am Eigentum der Menschen, mit denen
sie kurz zuvor noch Kaffee getrunken hatten. Diese Bereicherung, von der
auch die Kinder und Enkel profitierten, hält bis heute an: Die aus der
Synagoge geraubte Thorakrone, die kürzlich von Daniel Sheffer der Gemeinde
zurückgegeben wurde, musste offenbar käuflich erworben werden.
Es ist eine Illusion zu glauben, „dass mit konkreten Bauvorhaben dem
Antisemitismus und der politischen Geschichtsvergessenheit getrotzt wird“,
wie Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung [13][schrieb]. Antisemiten
lassen sich weder durch konkrete Anschauung, Nachbarschaft oder gar Fakten
von ihrer Obsession abbringen. Auch nicht dadurch, dass die Jüdische
Gemeinde zeigt, „wie Juden heute leben, durch Gespräche, oder auch durch
Tage der offenen Tür in den Gemeinden“, wie ihr Vorsitzender in der Zeit
sagte.
Die Bekämpfung von Antisemitismus ist eine Aufgabe weniger der jüdischen
Gemeinden als vor allem der Gesamtgesellschaft. Denn antijüdische
Ressentiments sind fest verankert in der sogenannten Mitte der Gesellschaft
und werden zunehmend aggressiver ins öffentliche Leben eingebracht.
In der AfD und ihrem publizistischen Umfeld wird der Holocaust nicht
geleugnet, aber zu einer historischen Bagatelle verharmlost. Gedenkstätten
berichten von Provokationen jüngerer und älterer Besucher, die den
Holocaust leugnen. Dem Staat Israel wird seine Legitimation abgesprochen,
„Israel-Kritik“ wird zum Anliegen breiter Kreise im kulturellen und
intellektuellen Milieu. Walser, Sarrazin, Höcke finden breite Zustimmung.
Der aktuell prosperierende Verschwörungsglaube: „Hinter allem stecken
fremde, uns knechtende Mächte“ entspricht der mächtigsten antisemitischen
Wahnvorstellung.
Wie aber kann man dem Ganzen begegnen? Für Hamburg und seine Politik wäre
dazu einiges zu sagen. Denn es sieht derzeit nicht so aus, dass die
Bekämpfung des Antisemitismus und die dafür notwendige historische
Aufklärung auf der Agenda der Bürgerschaft stünde. Schon im Oktober 2019
hatte Anjes Tjarks, der damalige Vorsitzende der grünen Fraktion, in einer
Bürgerschaftsdebatte vorgeschlagen, „an prominenter Stelle in der Stadt
eine neue Synagoge zu errichten“, so berichtete das Abendblatt. „Das wäre
ein Zeichen, das viel stärker ist als der Kampf gegen Antisemitismus“,
fügte Tjarks unter starkem Beifall hinzu.
So wird nachvollziehbar, warum es ganz still geworden ist um das
Versprechen der rot-grünen Koalition, noch vor der Bürgerschaftswahl am 23.
Februar 2020 die Stelle eines Beauftragten zur Bekämpfung von
Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens [14][einzurichten]. Das ist
fast ein Jahr her. Seitdem gibt es Gerüchte, aber keine Informationen. So
wichtig scheint der Regierungskoalition dieser praktische Beitrag zum Kampf
gegen Antisemitismus offenkundig nicht mehr zu sein.
Schwerwiegender ist aber eine andere Hamburger Leerstelle im Kampf gegen
Antisemitismus: Die historische Aufklärung über die Verantwortlichen und
Beteiligten an der Verfolgung der jüdischen Bürger findet kaum einen
sichtbaren Ort. Weder in der Innenstadt noch im Grindelviertel finden sich
Hinweistafeln auf Geschäfte und Unternehmen, die den jüdischen Bürgern
geraubt oder nach 1938 geplündert wurden. Im Stadthaus, der Hamburger
Polizei- und Gestapo-Zentrale für Gewalt, Folter und Mord, begnügt man sich
mit einer kioskgroßen Ausstellung. In welchen kleinen und großen Hamburger
Unternehmen, die schon vor 1945 bestanden, findet Aufklärung über deren
Nazifizierung statt?
Es ist an der Zeit, dass die sorgfältige und eindrucksvolle Dokumentation
der Landeszentrale für politische Bildung über „Die Dabeigewesenen“ nicht
nur [15][virtuell], sondern auch im öffentlichen Raum präsentiert wird. Bei
diesen und anderen Projekten hätten Hamburgs findige Haushalter in der
Bürgerschaft die Möglichkeit, ihr „Nein zu Antisemitismus“ durch konkrete
Förderungen praktisch werden zu lassen.
6 Feb 2021
## LINKS
[1] https://www.kirche-hamburg.de/nachrichten/details/40-millionen-euro-fuer-st…
[2] https://www.hamburg.de/oeffentliche-plaetze/4258336/joseph-carlebach-platz/
[3] https://www.mopo.de/hamburg/synagoge-in-hamburg-finanzhilfe-vom-bund--so-ge…
[4] https://www.frauenkirche-dresden.de/geschichte/
[5] https://www.kirchenzeitung.de/content/kirche-wird-zur-synagoge
[6] https://www.bornplatzsynagoge.org/
[7] https://www.deutschlandfunkkultur.de/max-czollek-desintegriert-euch-die-uto…
[8] https://www.gruene-hamburg.de/presse/initiative-fuer-die-bornplatzsynagoge-…
[9] https://www.abendblatt.de/hamburg/article231296952/Bornplatzsynagoge-Wieder…
[10] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/wiederaufbau-der-bornplatzsyna…
[11] https://www.abendblatt.de/hamburg/article231014608/Bornplatz-Synagoge-Hamb…
[12] /Bildungsprojekt-gegen-Antisemitismus/!5728666
[13] https://www.sueddeutsche.de/kultur/synagoge-hamburg-buergerschaft-neubau-1…
[14] https://www.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article227474739/Hamburg-soll…
[15] https://www.hamburg.de/ns-dabeigewesene/
## AUTOREN
Ulrich Hentschel
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