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# taz.de -- Buch von Philosoph Peter Sloterdijk: Was machst du hier, Elia?
> Mit ironischer Gelassenheit: Peter Sloterdijk entlässt in seinem Buch
> „Den Himmel zum Sprechen bringen“ die Religion in eine neu verstandene
> Freiheit.
Bild: In der Bibel spricht Gott meist nicht selbst
Warum schweigt Gott? Viele Gläubige verzweifeln an dieser Frage. Ob nun
jungen Menschen die Idee einer stummen Allmacht skurril vorkommt. Oder ob
Erwachsene in einer existenziellen Notlage auf ein erlösendes Wort warten.
Kommunikationsprobleme gehören zum Alltag des Glaubens.
Nun ist es zwar nicht so, dass Gott überhaupt nicht spricht. „Was machst du
hier, Elia?“, fragte jenes höhere Wesen, das immer noch so viele verehren,
in einem dieser seltenen Momente des Sprechens in der Überlieferung des
Alten Testaments den Propheten, der sich vor König Ahab in eine Höhle des
Bergs Horeb im Süden Judäas geflüchtet hatte.
Doch das ist die Ausnahme. Als Gott am nämlichen Berg Moses den Auftrag
gibt, sein Volk aus der Gefangenschaft in Ägypten zu führen, spricht er
nicht selbst zu dem verdutzten Mann. Sondern er kommuniziert durch einen
Engel in einem brennenden Busch. In der Regel bedarf es also einer
intermedialen Schaltstelle, um Gottes Ratschlüsse unters Volk zu bringen.
Um diese Medien der Vermittlung zwischen den Menschen und der
„Divinosphäre“, also der Sphäre des Göttlichen, geht es Peter Sloterdijk…
seinem jüngsten Buch. Selbst wenn der Titel erst mal so klingt, als breite
der Autor darin Methoden aus, Mario Puzos Paten die Zunge zu lockern. Auch
dieser „Godfather“, so der Roman im englischen Original, gefiel sich
bekanntlich gern im Schweigen.
Zu diesen „mediumistischen Prozeduren“ zählt Sloterdijk nicht nur das
„theologeion“, ein Kran mit einer Plattform, auf der im antiken Theater ein
Schauspieler mit Maske als problemlösende Instanz in das Drama einschwebte.
Und der sich der abgenutzte Ausdruck des „deus ex machina“ verdankt.
Dazu zählt er auch die altisraelitische Bundeslade mit den von Gottes
Hand beschriebenen Gesetzestafeln, allerlei Orakelmedien, Zeichenlesekünste
und überhaupt jede Art „ethisierender Dichtung, die nach dem gesamten Leben
greift“. Vor allem von dieser schönen Formel, mit der Sloterdijk die
diversen heiligen Schriften der Weltgeschichte charakterisiert, rührt der
Untertitel „Theopoesien“.
„Den Himmel zum Sprechen bringen“ ist, wie man es von dem Kritiker der
Zynischen Vernunft erwarten kann, keine scholastische Übung auf dem
philologischen Trockendock geworden. Die polemische Religionskritik seiner
vor drei Jahren erschienenen Aufsatzsammlung „Nach Gott“ [1][(taz vom 13.
7. 2017)] ist in dieser extended version des Bandes freilich nachsichtiger
Ironie gewichen.
Etwa, wenn Sloterdijk Jesus, die Kultfigur des Christentums, mit einigem
Recht als „kinderlosen, unverheirateten Mann Anfang dreißig ohne feste
Adresse und ohne konkrete irdische Perspektiven“, einen
„Bindungsverweigerer“, nennt – eine eher zweifelhafte Referenz für
familienfreundliche Politik.
Der jüngste Wälzer des 73-jährigen Sloterdijk ist keines der Bücher, mit
denen kluge, alte, ehemals agnostische Männer der Religion kurz vor
Toresschluss einen späten Tribut zollen. Was den Band so spannend und
lesenswert macht, ist, wie souverän und quellensatt der Philosoph diese
seltsame Sache aus der kulturgeschichtlichen Evolution herleitet.
Die jeweiligen Evangelien sieht er aus der „Gärung primärer Fabeln und
ihrer Symbole“ wachsen. In diesem Prozess trennt sich die Lektüre langsam
vom Ritual, aus der devoten Legende wird schließlich die Novelle.
Boccaccios „Decamerone“ interpretiert Sloterdijk als „Brückenkopf einer
Wahrheitssuche“ gegen die fromme Lüge wie die politische Lobrede
gleichermaßen.
Und das „Verlangen nach Erlösung“ am Anfang jeder Religion säkularisiere
sich darin langsam, aber sicher zu dem „Streben nach Erleichterung“ –
notfalls auch mit Hilfe chemischer Substitute der göttlichen Gnade.
## Manche Abschweifung
Mit Wendungen wie dieser schließt Sloterdijk immer wieder die abgesunkene
Überlieferung mit dem postmodernen Hier und Heute kurz. Auf diesem Kreuzweg
des Intellekts müssen Lesende freilich manche Abschweifung in Kauf nehmen –
von Platons „Neustart des Wahrheitsgeschehens“ bis zu Karls Barths
„Religion als Unglaube“.
Diese langsame Erhebung und Verwandlung der Religion aus dem Urschlamm der
Mythen heißt für Sloterdijk nun nicht, dass sie – abseits des
wiedererwachten Interesses an „bizarren Ritualen“ und „vernunftfernen
Verzauberungen“ – harmlos geworden wäre.
Er sieht Christentum und Islam gleichermaßen als „gewaltentschlossene
Elitebewegung“ mit der „Lizenz zur Eindringlichkeit“. Wer nur mit dem
Finger auf den Dschihad zeigt, hat die „militia christia“ der Kreuzritter
vergessen. Mögen derlei Fundamentalismen auch immer wieder aufkeimen: auf
lange kulturgeschichtliche Sicht ist Sloterdijks These, dass sich die
„Disziplinen und Instanzen rationaler Praxis“ von Göttermythos, Ritus und
Opferhandlung so entkoppelt hätten, dass Religion(en) ihre soziale
Zentralstellung verloren hätte(n), schwer widerlegbar.
## Wahrheitspotential der Religion
In seiner Wende zur „postsäkularen Philosophie“ nach 9/11 empfahl Jürgen
Habermas seinerzeit den säkularen Liberalen das „Wahrheitspotential“ der
Religion. Für seinen Kollegen Sloterdijk ist Religion nur mehr der „Rest“
des Prozesses der Säkularisierung mit seinen vielen Produkten von der
Ökonomie bis zur Unterhaltungsliteratur.
Gebunden sei das immer an die Schriftlichkeit. Folgt man dieser Logik,
wären Religionskritiker besser beraten, eine gesellschaftliche
Generalinitiative in Sachen öffentliche Bibliotheken zu starten, als sich
die Stimme mit Blasphemie zu ruinieren.
Mit seiner Argumentation verpasst Sloterdijk jedenfalls dem Begriff
„Religionsfreiheit“ einen interessanten entlastenden Dreh. Die soziale
Sinnstiftung liefern die „vom Bürgergeist getragenen Ersatzbildungen“. Mit
der Kunst und der Philosophie müsse Religion nun um das konkurrieren, was
ihr letzter Grund ist: die Deutung der Existenz. Vom Rest, so darf man
folgern, kann sie ruhig auch mal schweigen.
12 Jan 2021
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## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Religion
Philosophie
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