# taz.de -- Buch über Philosophie und Populärkultur: Gott ist eigentlich scho… | |
> Das Ringen des Menschen mit der Religion hat in der gesamten Kultur und | |
> im Alltag Spuren hinterlassen. Der Philosoph Ger Groot hat ihnen | |
> nachgespürt. | |
Bild: „Philosophie ist überall“, lautet das Credo von Ger Groot, auch hint… | |
„Beam me up, Scotty“. Der Satz, den Enterprise-Commander James Kirk seinem | |
Chefingenieur Montgomery Scott zuruft, um ihn von einem fremden Planeten | |
zurück an Bord des Raumschiffs zu teleportieren, ist zu der Metapher für | |
die US-amerikanische TV-Serie „Star Trek“ geworden. Und längst als Synonym | |
für den Wunsch, sich aus einer unliebsamen Situation zu befreien, in die | |
Alltagssprache diffundiert. | |
Die wenigsten dürften freilich realisieren, welchen Subtext der coole | |
Spruch in sich bergen könnte. Der niederländische Philosoph Ger Groot will | |
darin ein spätes Echo des materialistischen Weltbildes des französischen | |
Arztes und Philosophen Julien Offray de La Mettrie erkennen. | |
Eine unsterbliche Seele gab es für den 1751 gestorbenen Denker nicht. | |
Ebenso verwarf er René Descartes’ Idee eines Dualismus von Geist und | |
Materie. Denken und Bewusstsein sah er als Funktion der Materie. Karl Marx | |
verspottete dieses Enfant Terrible der Aufklärung deswegen als | |
„mechanistischen Materialisten“. | |
Der „Star Trek“-Clou, dass Körper und Geist eines Menschen in ein Paket von | |
Informationen aufgesplittet und an einen anderem Ort wieder „downgeloaded“ | |
werden können, ist für Groot ein modernes Revival von Mettries kühner | |
These, „dass der Mensch eine Maschine ist, die selbst ihre Triebfedern | |
aufzieht“. | |
## Ein andauernder Kampf | |
Die wunderbare Szene ist eines der vielen hundert Beispiele, mit denen der | |
niederländische Philosoph sein Buch „Und überall Philosophie“ gespickt ha… | |
Der 1954 geborene Kulturphilosoph und Anthropologe, der in Nijmegen und | |
Rotterdam Philosophie lehrt, sieht sie in einem langen, bis heute | |
andauernden Kampf mit dem Erbe der Religion. | |
Die „Spuren dieses Ringens“ fänden sich in den Produkten von Alltagskultur | |
und Unterhaltungsindustrie ebenso wie in den Künsten. „Philosophie ist | |
überall“, so sein Credo, „in allen Winkeln der Gesellschaft.“ Groot hat | |
seinen historischen Aufriss nicht streng systematisch angelegt, so wie etwa | |
der deutsche Philosoph Ernst von Aster in seinem legendären, 1932 zuerst | |
edierten und seither in 18 Ausgaben nachgedruckten Bändchen. | |
Nicht nur, weil es so verständlich geschrieben ist, ist das Buch seines | |
niederländischen Wiedergängers eher eine, im positiven Sinne verführerisch | |
populäre Historie des Fachs. | |
Sie beginnt bei Descartes und endet bei ausgesprochen zeitgenössischen | |
Philosophen wie Groots Landsmann René ten Bos oder dem Franzosen Bernard | |
Stiegler. Diese Historie hat kleine Schönheitsfehler. Karl Marx, von dem | |
sogar die Online-Enzyklopädie Wikipedia weiß, dass er in erster Linie ein | |
„deutscher Philosoph“ war. Und der bekanntlich den reichlich zitierten | |
Hegel „vom Kopf auf die Füße stellen“ wollte, wird in Nebensätzen als | |
Ökonom abgehandelt, verantwortlich für einen „messianischen Marxismus“. | |
## Platon in Photoshop | |
Dennoch schafft es Groot mit seiner Parallelführung von ikonischem, | |
verschwenderisch ausgebreitetem Bildmaterial aus Film, TV oder Malerei und | |
zentralen philosophischen Lehren, die Philosophie aus der akademischen | |
Nische hinauszumanövrieren. Und sie an das bildgesteuerte Massenbewusstsein | |
anzudocken. Eine Spezialität des Autors, die er schon in seinem 2014 | |
erschienen Buch „Platon in Zeiten von Photoshop“ bewiesen hat. | |
Manche seiner Beispiele in seinem neuen Werk kommen als fruchtbare | |
Spekulationen daher. Alain Resnais’ und Alain Robbe-Grillets legendärer | |
Film „L’année dernière à Marienbad“ von 1962 etwa als Beleg für die | |
philosophische Annahme zu nehmen, dass die Welt kein Zentrum hat und sich | |
alles wie in einem Karussell dreht, in dem selbst die Wahrheit zweifelhaft | |
wird. | |
Andere sind sehr kursorisch angedeutet: In dem Kapitel über das | |
mechanistische Weltbild der frühen Moderne platziert er kommentarlos ein | |
Bild des britischen Schauspielers Benedikt Cumberbatch, der in Morton | |
Tyldums Film „The Imitation Game“ 2014 den Erfinder Alan Turing spielt, der | |
den Code der deutschen Chiffriermaschine Enigma entschlüsselte und das | |
erste künstliche Gehirn erbaute. | |
Wenn er an der rätselhaften Anordnung der Figuren in Diego Velázques’ Bild | |
„Las Meninas“ von 1656 das Prinzip des „souveränen Blicks“ demonstrier… | |
trifft er dann wieder haarscharf den Punkt. | |
## Lust, zu dechiffrieren | |
Auf jeden Fall öffnet Groot mit dieser Methode einen weiteren | |
Assoziationsraum für die unterschwellige Präsenz philosophischer | |
Grundfragen im kulturellen Alltag und den Werken der Künste. Nur beiläufig | |
Wahrgenommenes, Banales erscheint plötzlich bedeutungsvoll. Groot weckt die | |
Lust, es zu dechiffrieren. Stringenter kreist der Philosoph um den | |
archimedischen Punkt seines philosophischen Panoramas: nämlich die Frage, | |
was der Verlust des transzendentalen Orientierungspunktes, der gemeinhin | |
unter dem Tarnnamen Gott firmiert, für den Menschen bedeutet. | |
Was die Aufklärung gegen die Religion erkämpfte, erscheint heute als | |
Bedrohung. Nicht nur wegen der metaphysischen Unsicherheit, die die | |
Leerstelle Gott mit sich brachte. Sondern auch, weil der Mensch, der sich | |
an seine Stelle gesetzt hat, im Anthropozän zum „Monstrum“ (Peter | |
Sloterdijk) geworden ist, das seine eigenen (Lebens-)Grundlagen zerstört. | |
Groot mag kein genuin linker Denker sein. So wie er die Philosophie als | |
Versuch sieht, die Frage: Was ist der Mensch. Welchen Platz hat er in der | |
Welt? zu beantworten, geht er eher als Humanist durch. Dem es gelingt, | |
Zerrbilder zu korrigieren. | |
Etwa wenn er Nietzsches berüchtigten „Übermenschen“ weniger als Vorschein | |
der NS-Ideologie, sondern als einen Versuch interpretiert, mit dem Verlust | |
der göttlichen Sicherheit umzugehen. Mit seinem Fazit „Wir erwarten für uns | |
selbst eine Zukunft, der die Desillusionierung von vorneherein | |
eingeschrieben ist“ liefert dieser liberale Geist aber eine für die | |
Rekonstruktion progressiven Denkens im Angesicht der sich zuspitzenden | |
Gattungsfragen unhintergehbare philosophische Maxime. | |
## Der Mensch ist tot | |
Der „Tod des Menschen“ den Ger Groot beschwört, klingt wie eine | |
populistische Replik auf Friedrich Nietzsches „Gott ist tot“. Was er meint, | |
ist, dass sich der Homo sapiens neu erfinden muss – jenseits der Idee einer | |
hegemonialen, quasi göttlichen Zentralinstanz. Angesichts dieses | |
übermenschlichen Desiderats klingt der Titel von Woody Allens romantischer | |
Filmkomödie aus dem Jahr 1972 gleich ganz anders: „Mach’s noch einmal, | |
Sam“. | |
1 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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