# taz.de -- Umstrittene Kunstausstellung in Madrid: Der Teufel und der Papst | |
> Eine Retrospektive des argentinischen Künstlers León Ferrari (1920–2013) | |
> im Madrider Nationalmuseum Reina Sofía sorgt für Proteste. | |
Bild: Hui, da hängt Jesus am Starfighter: León Ferraris berühmt-berüchtigte… | |
„Kunst ist nicht schön und neu, sie ist effektiv und verstörend“, lautete | |
das Motto des wichtigsten bildenden Künstlers Lateinamerikas der letzten | |
Jahrzehnte, León Ferrari aus Argentinien. Eine Retrospektive seines | |
Schaffens ist anlässlich seines 100. Geburtstags im Madrider Nationalmuseum | |
für Moderne Kunst, Reina Sofía, gestartet. | |
Die Reaktionen auf die Werke des 2013 verstorbenen Künstlers geben seinem | |
Motto recht. Die erzkatholische Gruppe HazteOir.org (Verschaff dir Gehör) | |
läuft Sturm. Sie hat 22.000 Unterschriften für die sofortige Schließung der | |
Ausstellung gesammelt, die noch bis Mitte April in Madrid zu sehen ist, | |
bevor sie dann ins Van Abbemuseum nach Eindhoven und später ins Centre | |
Pompidou in Paris wandert. | |
Die Schau beleidige Jesus und mache sich über das Evangelium lustig, | |
behaupten die Aktivist:innen. Das Museum habe als Termin für die | |
Eröffnung absichtlich die Zeit um „Weihnachten ausgesucht, denn es versucht | |
so viel Schaden wie möglich anzurichten“. | |
## Jesus auf dem Kampfjet | |
Die Vereinigung Christlicher Anwälte geht noch einen Schritt weiter. Sie | |
hat den Museumsdirektor des Reina Sofía, Manuel Borja-Villel, wegen | |
„Verletzung religiöser Gefühle“ angezeigt. Ob Gemälde, Zeichnungen, | |
Installationen, Skulpturen oder Gedichte, Ferrari provoziert. Eines der | |
wichtigsten Objekte der Ausstellung zeigt einen Jesus, der auf einem | |
US-Kampfjet gekreuzigt wurde. Die Skulptur mit dem Namen „Die westliche und | |
christliche Zivilisation“, die jetzt Spaniens Erzkatholen in Rage bringt, | |
stammt aus dem Jahr 1965 und war Ferraris Beitrag zu den Protesten gegen | |
den Vietnamkrieg. Religion bedeutete für Ferrari, dessen Vater Kirchenmaler | |
war, nicht zuletzt ein Mittel, um Machtwillkür, Gewalt gegen Andersdenkende | |
und Kriege zu rechtfertigen. | |
So verwundert es auch nicht, dass Ferrari, der 2007 mit dem Goldenen Löwen | |
bei der Biennale in Venedig ausgezeichnet wurde, das Thema Religion immer | |
wieder aufgegriffen hat. In der Ausstellung sind [1][Jesusfiguren] in einer | |
Bratpfanne, auf einer Zitronenpresse oder einem Reibeisen zu sehen. Mehrere | |
Collagen mischen [2][religiöse und sexuelle Symboliken]. | |
Eines der wichtigsten Gemälde ist eine Kopie des Bildes „Das jüngste | |
Gericht“ aus der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo, bedeckt mit | |
Vogelscheiße. „Die wahre Hölle ist, mental mit der Idee der ewigen Strafe | |
zu leben“, schrieb Ferrari einst. Der Teufel verstecke sich hinter | |
Intoleranz und dem blinden Glauben. Am Eingang der Ausstellungsräume weist | |
ein Schild darauf hin, dass das Gezeigte die Gefühle von Betrachter:innen | |
verletzen könne. | |
## Für den Fundus | |
Der Name der Madrider Retrospektive – „Die freundliche Grausamkeit“ – | |
erinnert an einen Gedichtband Ferraris, mit dem dieser [3][seines während | |
der argentinischen Militärdiktatur verschwundenen Sohns gedachte]. Ein | |
Großteil der in Madrid gezeigten Objekte und Dokumente wurde von der | |
Stiftung der Familie Ferrari dem Kunstmuseum Reina Sofía, dessen | |
wichtigstes Gemälde „Guernica“ von Pablo Picasso ist, überlassen, um sie … | |
den Fundus aufzunehmen. Ziel der Stiftung ist es, Ferraris Werk in Europa | |
bekannter zu machen. Neben dem Reina Sofía erhielt auch das Centre Pompidou | |
in Paris eine Gabe. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass eine Ferrari-Ausstellung für religiös | |
motivierte Proteste sorgt. Als seine Werke im Jahr 2004 im | |
Recoleta-Kulturzentrum in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires zu sehen | |
waren, schrieb der damalige Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Bergoglio, | |
der heutige Papst Franziskus, einen Brief: Darin schimpfte er den Künstler | |
als „Gotteslästerer“ und rief zu „einem Tag des Fastens und des Gebets“ | |
auf, damit „der Herr unsere Sünden und die der Stadt vergibt“. | |
Der amtierende Papst unterstützte damit die Proteste vor dem Kulturzentrum. | |
Täglich kamen Dutzende Katholiken zum Gebet vor dem Eingang zusammen. Sie | |
beklagten „51 Beleidigungen von Jesus Christus, 24 der Jungfrau Maria, 27 | |
der Engel und Heiligen, 3 direkt von Gott und 7 des Papstes“. Ein Mann | |
drang damals in die Ausstellung ein und beschädigte eines der Werke schwer. | |
Ferrari reparierte die Installation nie. Stattdessen gab er ihr einen neuen | |
Namen. „Danke, Bergoglio“ heißt das Ensemble, das seither unter anderem ein | |
Foto von Papst Johannes Paul II. zeigt. | |
11 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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