Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Amtseinführung von US-Präsident Biden: Ungewöhnlicher erster Tag
> Joe Bidens Amtseinführung verläuft ohne gewalttätige Zwischenfälle. Von
> einer ganz normalen Zeremonie kann trotzdem keine Rede sein.
Bild: Joe Biden und die First Lady auf dem Weg ins Weiße Haus
Washington taz | 46“ steht auf dem Kennschild des schwarzen Cadillac mit
Panzertüren und kugelsicheren Fenstern. Drei Männer stehen auf jeder Seite
mit dem Rücken zu dem Wagen. Mit ihren Blicken scannen sie den Asphalt, den
Straßenrand mit den dicht geschlossenen Reihen von Soldaten in Uniform und
die Kurve, in der ein paar Dutzend Journalisten warten.
Schließlich öffnen sie behutsam die beiden hinteren Türen der Limousine.
Joe Biden und seine Frau Jill Biden steigen aus. Die letzten Schritte zum
Weißen Haus dürfen sie zu Fuß zurücklegen. Ihre Kinder und Enkel, die
weiter hinten in der Kolonne angerollt sind, folgen. Minuten später
wiederholt sich die Szene mit einer zweiten Limousine, in der
Vizepräsidentin Kamala Harris und ihr Mann Doug Emhoff vor dem Weißen Haus
vorfahren. Auch sie werden von Angehörigen begleitet. Auch für sie fällt
das Bad in der Menge aus.
Die Washingtoner können all das nur am Bildschirm verfolgen, doch es
mangelt ihnen nicht an Begeisterung. Sie sind mehrheitlich Demokraten. Und
die beiden neuen Familien an der Spitze der USA bringen alles Mögliche mit,
[1][wonach sie sich in den zurückliegenden Jahren verzehrt haben]. Nicht
nur ihre Politik. Sondern auch ihre zeitgenössischen Lebensentwürfe. Und
ihre Empathie. Bei Biden ist auf Anhieb spürbar, dass die First Lady nicht
nur daneben steht, sondern mitredet. Mit Harris kommt eine
Patchwork-Familie nach Washington, zu der sowohl weiße als auch schwarze
Angehörige gehören. Und sie ist in Personalunion die erste Frau, die erste
Schwarze und die erste Südostasiatische Person im Amt. Dazu bringt sie den
ersten „Second Gentleman“ der US-Geschichte mit nach Washington.
An dem Tag, als Biden und Harris ihre Ämter antreten, erstrahlt Washington
in dem üblichen Glanz der präsidentiellen Amtsantritte. Wie alle vier Jahre
hat die Stadt ihre Regierungsgebäude, ihre Parks und ihre Avenuen im
Zentrum auf Hochglanz geputzt und renoviert. Aber das Leben fehlt. Die
komplette Innenstadt ist mit Zäunen und Barrieren abgeriegelt. Der Luftraum
ist gesperrt, die Brücken sind geschlossen. Auf dem Potomac, dem Anacostia
Fluss und dem Kanal Washington Channel patrouillieren Polizeiboote. Auf den
Dächern stehen Scharfschützen. Und auf der Mall, jener drei Kilometer
langen Wiese zwischen Kongress und Lincoln Memorial, wo sich gewöhnlich die
Anhänger des neuen Präsidenten versammeln, flattern stattdessen 200.000
Fahnen.
## Abendkleider und T-Shirts bei Zoom-Bällen
In den Kulissen der Stadt sind 25.000 Soldaten in Kampfuniformen
stationiert – mehr Soldaten, als die USA in Afghanistan und dem Irak
zusammen im Einsatz haben. Zwei Wochen nach dem gewalttätigen Sturm auf das
Kapitol, bei dem die Polizei das Gebäude fast kampflos den Eindringlingen
überlassen hat, sollen am 20. Januar Soldaten für den friedlichen und
demokratischen Wechsel von einem Präsidenten zum nächsten sorgen. Auf das
Versagen im Kapitol folgt eine militärische Machtdemonstration. Bloß
bleiben dieses Mal die Feinde fern. Am Tag von Biden's und Harris'
Amtsantritt lassen sich die bewaffneten weißen Nationalisten,
Rechtsradikalen und Milizionäre weder in Washington noch in den
Hauptstädten der Bundesstaaten sehen.
In der überwiegend demokratischen Hauptstadt fürchten viele nicht nur die
Anhänger von Trump. Sie misstrauen auch den Soldaten und Polizisten, in
deren Reihen viele Rechte dienen. Die Warnung vor einem „Insider Job“ macht
die Runde. Sowie die Erinnerung an den ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat,
der 1981 bei einer Militärparade von Islamisten in Uniform ermordet worden
ist. In den Tagen vor der Amtseinführung durchkämmen FBI und Militärführung
die Social Medias von Soldaten, die längst in der Hauptstadt sind. Wenige
Stunden vor dem großen Einsatz ziehen sie zwölf zurück. Zwei sollen
rechtsradikale Kontakte, zehn weitere anderes „fragwürdiges“ Benehmen
gehabt haben.
Die Washingtoner Journalistin Myra McPherson fühlt sich an die frühen 60er
Jahre erinnert. An eine Zeit von politischen Morden und starker
Polizeipräsenz. Aber am Abend des Amtsantritts von Biden ist sie angenehm
überrascht: „Er hat alle wichtigen Dinge gesagt. Ich spüre jetzt wieder
Hoffnung.“
Sie sagt das bei einem „Zoom-Ball“ mit Freunden, darunter Intellektuelle
und Mitglieder früherer demokratischer Regierungen. Als sie sich zusammen
zoomen, hat der neue Präsident bereits seine 17 ersten Dekrete im Oval
Office unterschrieben. Der Zoom-Ball wurde als Ersatz organisiert, um sich
darüber hinwegzutrösten, dass wegen der Pandemie auch die Bälle quer durch
die Stadt abgesagt worden sind. Statt zu tanzen, sitzen manche der
Teilnehmer im Smoking und in Abendkleidung vor dem Bildschirm. Andere
kommen im T-Shirt ins Bild.
Normalerweise bilden Bälle den Abschluss des ersten Amtstags eines neuen
Präsidenten. Nach dem Amtseid, nach den Reden, den Paraden, den Konzerten,
dem Besuch auf dem Militärfriedhof Arlington und den ersten Dekreten
besuchen er und die First Lady mehrere Bälle am selben Abend. Aber dieses
Mal gibt es in Washington keine Normalität. Die Bälle sind wegen des Virus
ausgefallen. Die öffentlichen Auftritte sind wegen des drohenden rechten
Terrors abgeblasen worden. Und der scheidende Präsident hat die Stadt
verlassen, ohne seinem Nachfolger je zur Wahl zu gratulieren und ohne an
dessen Amtseinführung am Kapitol teilzunehmen, wie das sonst üblich ist. Am
Morgen des 20. Januar hat Trump eine separate Zeremonie mit 21
Salutschüssen und einer weiteren Lobrede auf sich selbst vor einer winzigen
Schar von Getreuen auf einem Militärflughafen am Stadtrand abgehalten.
## „Können wir hoffen?“, fragt ein Teilnehmer
Biden vermeidet es bei seiner Ansprache am Kapitol, den Namen von Trump zu
erwähnen. Er nennt auch keine konkreten politischen Vorhaben. Stattdessen
beschreibt er die Krisen, von denen Trump nichts wissen und gegen die er
nichts unternehmen wollte: die Pandemie, das Überleben des Planeten und die
weiße Vorherrschaft. Schon am Abend zuvor hat er eine Zeremonie für die
mehr als 400.000 Todesopfer der Pandemie abgehalten. „Zum Trauern gehört
die Erinnerung“, sagte Biden da.
„[2][Können wir hoffen?]“, fragt ein Teilnehmer des Zoom-Balls. „FoxNews
hetzt schon den ganzen Tag“, antwortet ein Skeptiker. Ein anderer beklagt,
dass die Republikaner fälschlicherweise behaupten, Biden sei krank. Aber
eine ehemalige Spitzenbeamtin aus der Obama-Regierung hält dagegen, dass
Biden schon an seinem ersten Tag einen Neuanfang gemacht hat: „[3][Wir sind
zurück in Paris]. Wir sind wieder in der Weltgesundheitsorganisation. Und
die Finanzierung des Mauerbaus ist zu Ende.“
Eine Psychotherapeutin in der Runde fügt hinzu, dass mit dem Abgang von
Trump auch der Hass verschwunden sei. Und eine junge Frau, Tochter einer
weißen Mutter und eines schwarzen Vaters, warnt vor der Aufmerksamkeit für
rechte Propaganda. „Wen interessieren schon FoxNews“, sagt die Musikerin
Sara Ghebremichael, „wir haben einen Sieg errungen. Und wir haben einen
Präsidenten gewählt, der sensibel darauf reagiert, was die Öffentlichkeit
verlangt. Das müssen wir nutzen.“
Die Zoom-Teilnehmer rätseln darüber, wie ernst sie die Anhänger der
Verschwörungstheorie Qanon in Zukunft nehmen müssen. „Sie wollten daran
glauben, dass Trump im Weißen Haus bleiben kann, obwohl er die Wahlen
verloren hat“, sagt einer, der anthropologische Studien über Verschwörungen
gemacht hat. Ein anderer Teilnehmer glaubt, die größte Gefahr für die
Demokratie seien die evangelikalen Christen. „Wir haben 100 Millionen
davon“, sagt Larry Wilkerson, „40 bis 50 Prozent davon sind Anhänger von
Trump. Sie sind unsere amerikanischen Taliban.“
## Gegen Abschiebungen und eine Ölpipeline
Unterdessen verschickt das Weiße Haus eine Salve von Pressemitteilungen des
neuen Präsidenten. Sie beschreiben die Dekrete, mit denen Biden seine
Amtszeit beginnt. Er will eine nationale Maskenpflicht einführen und den
Kampf gegen das Virus vereinheitlichen. Er will die Einwanderungspolitik
verändern, will Abschiebungen unterbrechen, Wege zur Legalisierung von
Papierlosen ebnen und das Einreiseverbot aus muslimischen Ländern aufheben.
Und er will die Baugenehmigung der Ölpipeline Keystone XL entziehen, die
Gas- und Ölförderung in Nationalparks verbieten und andere
Mineralölprojekte streichen.
Die Dekrete sind keine Erfolgsgarantie. Aber sie sind die sichere
Möglichkeit eines Präsidenten mit nur einer hauchdünnen Mehrheit im
Kongress, seine Vorhaben zu konkretisieren. Während die Teilnehmer des
Zoom-Balls darüber debattieren, ob diese Zusagen solider sind als Barack
Obamas Versprechen von seinem ersten Amtstag im Januar 2009, das
Internierungslager in Guantanamo zu schließen, beginnt über dem Washington
Channel ein Feuerwerk zum Neuanfang. Der Blick in den Nachthimmel über der
Hauptstadt lässt Trumps Hinterlassenschaften am Boden – die Zäune,
Straßensperren und die ungebremste Ausweitung der Pandemie – und die
Blockaden, die dem 46. Präsidenten aus dem Kongress drohen, für einen
Moment vergessen.
21 Jan 2021
## LINKS
[1] /Biden-als-Praesident-vereidigt/!5745703
[2] /Neun-Stimmen-zur-Amtsuebergabe/!5742040
[3] /US-Praesident-Biden-startet-durch/!5745708
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
US-Wahl 2024
Joe Biden
Schwerpunkt USA unter Trump
Keystone-XL-Pipeline
US-Wahl 2024
US-Wahl 2024
US-Wahl 2024
US-Wahl 2024
US-Wahl 2024
US-Wahl 2024
USA
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach Sturm auf US-Kapitol: Kommission soll Aufklärung bringen
Nancy Pelosi strebt eine unabhängige Untersuchung zu den gewaltvollen
Ereignissen an. Auch Republikaner signalisieren ihre Unterstützung.
Neue Sprecherin der US-Regierung Psaki: Keine Lügen mehr im Weißen Haus
Unter der Trump-Administration waren Pressekonferenzen stürmisch, wenn sie
überhaupt stattfanden. Jetzt soll alles anders werden.
Joe Bidens Versöhnungsrhetorik: Es liegt nicht in Bidens Hand
Für das Trump-Lager bedeutet Bidens Programm nicht Heilung, sondern
Angriff. Das Land wird er nicht heilen können, wenn die Spalter es nicht
wollen.
Amtseinführung des US-Präsidenten: Freiheit auf Spanisch
Kitsch ist schön und gut. Aber kaum eine Inaugurationsfeier in den USA war
so versöhnlich und inklusiv wie die von Joe Biden.
Mode bei Bidens Amtseinführung: Politics, but make it fashion
Bei der Inauguration von Joe Biden steckte hinter jedem Auftritt ein
politisches Symbol. Die Outfitwahl so mancher Gäste hat derweil
Meme-Potenzial.
US-Präsident Biden startet durch: Wieder dabei in Paris
Joe Biden leitet direkt nach seiner Inauguration einen Wiedereintritt in
das Pariser Klimaabkommen ein. Auch der Mauerbau an der Grenze zu Mexiko
wird gestoppt.
Promiauflauf bei Bidens Amtsantritt: Glitzer überm Weißen Haus
Donald Trump hatte es damals bei seiner Vereidigung schwer mit der
Promisuche. Joe Bidens Amtsantritt hingegen feierten gleich eine Reihe
Megastars.
Biden als Präsident vereidigt: Keine Rückkehr zur Normalität
Zurück zur alten Überheblichkeit darf es nicht gehen. Aber es wäre schon
was, wenn es Biden gelingt, den Rassismus etwas weniger akzeptabel zu
machen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.