# taz.de -- 20 Jahre Privatuniversität in Bremen: Master of Desaster | |
> Mit einer private Uni wollte Bremen vor 20 Jahren staatliche Hochschulen | |
> unter Druck setzen. Nun träumt es von Geld aus China, hat aber kein | |
> Konzept. | |
Bild: Der Jubel der Absolvent*innen verfliegt, die Inszenierung bleibt | |
BREMEN taz | Nun ist ausgerechnet der rot-grün-rote Senat doch – Ironie der | |
Geschichte! – zum Betreiber einer Privatuniversität geworden. Denn zum | |
Jahresbeginn hat das Land zwei Drittel der Anteile an der privaten Jacobs | |
Universität (JUB) übernommen. Doch aus eigener Kraft kann und will kann das | |
Land Bremen nur den Studienbetrieb dort abwickeln – es werden wohl keine | |
neuen Studierenden mehr aufgenommen. | |
Dass da noch viele kommen werden, angesichts der Perspektivlosigkeit der | |
JUB und der Coronabedingungen, ist sowieso nicht zu erwarten. Die | |
Jacobs-Foundation, die die Hochschule seit langem getragen hat, sagte aber | |
noch einmal 60 Millionen Euro zu, um den vorhandenen Studierenden einen | |
Bachelor-Abschluss zu ermöglichen. | |
Zuletzt klammerte sich die Landesregierung an die Idee, das Gelände dem | |
chinesischen Neusoft-Konzern zu übergeben, der dort zusammen mit dem | |
Software-Konzern SAP und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche | |
Intelligenz (DFKI) ein Zentrum für „Künstliche Intelligenz“ aufbauen soll… | |
– mit 3.000 Studierenden. So sollte in Bremen-Grohn 20 Jahre nach der | |
Gründung des Pleiteprojektes einer Privatuniversität nach amerikanischem | |
Vorbild nun ein chinesischer Stern aufgehen. Bremen als europäischer | |
Türöffner für das „chinesische Jahrhundert“? Unter diesem programmatisch… | |
Titel hat der Bremer Wissenschaftler Wolfram Elsner, einst Leiter des | |
„Bremer Ausschuss für Wirtschaftsforschung“ der Landesregierung, jüngst e… | |
euphorisches Buch über China veröffentlicht. Die kritische europäische | |
Haltung gegenüber China beruhe auf Unwissen, sagt der Bremer China-Freund. | |
Zwischen dem alten Traum einer Art Harvard-Uni in Bremen und dem neuen | |
China-Traum liegen gerade einmal 20 Jahre – Scheitern. Diese merkwürdige | |
Angewohnheit, mit leeren Hoffnungen große politische Schlagzeilen zu | |
machen, hat am Schauplatz Grohn Tradition. Vor 20 Jahren freute sich | |
Bremens Bürgermeister Henning Scherf (SPD) über den nun entstehenden, | |
harten Wettbewerb für all die staatlichen Universitäten und spendierte | |
dafür 230 Millionen Mark Anschubfinanzierung aus der Bremer Staatskasse. | |
Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) kam damals für eine Festrede an die | |
Weser und erklärte, er habe die „Fehlentwicklungen“ der allgemeinen | |
deutschen Hochschulen „seit längerem deutlich erkannt und öffentlich | |
kritisiert“. Die Rice University in Houston sollte Partner der Privatuni | |
werden, „Harvard ist der Maßstab“, verkündete die Frankfurter Allgemeine | |
seinerzeit. | |
## Das Prinzip Erpressung | |
Mit großem PR-Aufwand hat die JUB seitdem diese Fassade geputzt. Aber die | |
private Rice-Universität war nie ihr offizieller Partner. Und die Bremer | |
„Privatuni“ lebte von Anfang an auch von staatlichen Zuschüssen, die sie | |
mit der Drohung, sonst müsse sie eben Konkurs anmelden, fortlaufend | |
erpresste. Nicht vermögende amerikanische Studierende kamen nach Bremen, | |
sondern Talente aus den Balkan-Ländern – die auf Stipendien und Kredite | |
angewiesen waren. Von Anfang an bot die JUB vor allem Bachelor-Studiengänge | |
an, mit ihrem Betreuungsschlüssel von 1:10 war sie sehr attraktiv für | |
Studienanfänger*innen. Von den für die Forschung entscheidenden | |
Master-Studiengängen gab es indes nur wenige. | |
2006 wäre eigentlich Schluss gewesen mit der Lebenslüge dieser | |
„Privatuniversität“. Die damals neue rot-grüne Koalition gab nur einen | |
50-Millionen-Kredit. Da sprang die Jacobs-Stiftung ein und versprach gleich | |
200 Millionen Euro – in der Hoffnung, dass die Privatuniversität dem Namen | |
„Jacobs“ Ehre machen und nach verlängerter Anlaufzeit doch noch auf eigene | |
Beine kommen würde. Das Land Bremen band seine Zuschüsse – fünf Millionen | |
Euro pro Jahr – an gemeinsame Kooperationsprojekte mit der staatlichen Uni | |
Bremen. Das war offenbar der einzige Weg, etwas Einfluss zu nehmen – die | |
Privatuni hatte auch zuvor das Geld gern genommen, sich aber nicht in die | |
Karten schauen lassen. | |
So wurde diese Privatuni nie ein Teil der bremischen Wissenschaftspolitik: | |
In einem 110-seitigen Papier des Senats unter dem großspurigen Titel | |
„[1][Wissenschaftsplan 2025“] ist der JUB gerade mal eine knappe Seite | |
gewidmet. Zwar dienten die Masterprogramme den Forschungsaktivitäten der | |
JUB, heißt es da, aber ihre Zahl musste die JUB „entsprechend der | |
Empfehlung des Wissenschaftsrates“ reduzieren. Der Senat empfiehlt zugleich | |
eine stärkere Kooperation in Lehre und Forschung mit der Uni Bremen und den | |
übrigen Hochschulen. Von der großen Idee einer Elite-Uni war nur noch die | |
eines kleinen Anhängsels staatlicher Hochschulen übrig geblieben. Die JUB | |
musste fortan um die weitere Akkreditierung ihrer Studiengänge kämpfen. | |
## Nur eine Seite im dicken Wissenschaftsplan | |
Der „Wissenschaftsplan“ stammt aus dem [2][Frühjahr 2019]. Wenige Monate | |
später teilte die Jacobs-Stiftung mit, dass sie Ende 2020 aus der JUB | |
aussteigen würde. | |
Im November vergangenen Jahres garnierte der Senat die Nachricht vom Ende | |
des Grohner Uni-Betriebes dann mit der frohen Botschaft: Der | |
Neusoft-Konzern, der zu Hause in China Privatuniversitäten mit 20.000 | |
Studierenden betreibt, wolle das Gelände übernehmen, zusammen mit SAP und | |
dem staatlich finanzierten DFKI. Nur: Keiner der drei Akteure bekannte sich | |
bis heute zu dem, was der Bremer Senat da [3][ganz offiziell verlautbart] | |
hat, unter dem Applaus selbst der Opposition. Von Seiten der | |
Professor*innen der JUB gab es dagegen sehr wohl Kritik an der verkündeten | |
Lösung, von der sie ohnehin nur aus der Zeitung erfuhren. Und der Präsident | |
der JUB nahm gar seinen Hut. | |
Informelle Gespräche mit SAP, Neusoft und dem DFKI gab es wohl, mehr aber | |
auch nicht. Für das Land geht es um die Frage, was aus dem Grundstück in | |
Grohn mit seinen funktionsfähigen Gebäuden wird. Inzwischen wird gemunkelt, | |
der deutsche Partner SAP sei von der Bundesregierung zurückgepfiffen | |
worden. Dass der massive Einstieg eines chinesischen Konzerns in die | |
deutsche KI-Forschung ein Politikum ersten Ranges wäre, daran hatte | |
offenbar niemand von den Bremer Grundstückshändlern gedacht. Dabei wird | |
inzwischen weltweit heftig über das Investitionsabkommen zwischen der | |
Europäischen Union und China gestritten. | |
## Deutsche Expert*innen, chinesische Ausbildung | |
Findet der chinesische Konzern die Immobilie in Grohn so unwiderstehlich? | |
Verlockender ist sicherlich die Chance, massiv in die europäische | |
KI-Forschung einzusteigen und jedes Jahr rund 1.000 unter chinesischem | |
Einfluss ausgebildete KI-Expert*innen auf den europäischen Arbeitsmarkt zu | |
entlassen. 3.000 KI-Studierende unter chinesischer Fahne – das wären rund | |
zehn Prozent der deutschen KI-Studierenden. | |
Deutschen KI-Experten, die wissen, wie robust die chinesische | |
Wissenschaftspolitik verfährt, graut ein wenig vor dieser Vision. In guter | |
Erinnerung ist noch die Übernahme der Roboter-Firma Kuka durch den | |
chinesischen Konzern Midea im Jahr 2016. Sowohl die Bundesregierung als | |
auch die EU warnten damals vor der Übernahme. Midea will inzwischen mit 400 | |
Millionen Euro in China ein Zentrum der intelligenten Robotik-Forschung und | |
-Produktion aufbauen und die Kompetenz des ehemals deutschen Unternehmens | |
nach China holen: Die ambitionierte staatliche chinesische KI-Strategie, | |
die mit Milliarden-Förderung vorangetrieben wird, ist angewiesen auf | |
kooperationswillige europäische und amerikanische Expert*innen. | |
Nachdem sich das kleine Bremen vor 20 Jahren der alten Idee der | |
amerikanischen Privatuniversitäten an den Hals werfen wollte, ist es nun | |
der Charme der chinesischen Millionen. Eine bremische Wissenschaftspolitik, | |
die das begründen könnte, gab es in keinem der beiden Fälle. | |
18 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/sites/zentrale-frauenbeauft… | |
[2] https://www.bremen.de/wissenschaft/wissenschaftsplan-2025 | |
[3] https://www.senatspressestelle.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen146.c… | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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