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# taz.de -- Gewaltszenarien in den USA: Systemwechsel statt Bürgerkrieg
> Der Rechtsruck bei den US-Republikanern hat nicht mit Donald Trump
> begonnen. Ein Klima der Einschüchterung prägt die Partei.
Bild: „Nein, die Vereinigten Staaten stehen nicht am Rande eines Bürgerkrieg…
Je dramatischer die Worte, desto tiefer die Erschütterung. Der Wunsch,
diesen Eindruck zu erwecken, hat schon zu vielen sprachlichen Fehlgriffen
geführt. Wie sich derzeit am Beispiel der USA zeigt. [1][Ob Bürgerkrieg,
Aufstand oder Putsch]: Kein Begriff schien in den letzten Tagen zu
vollmundig, um die Lage dort zu beschreiben – in Kommentaren und
Moderationen innerhalb und außerhalb des Landes. Falsch sind diese Begriffe
allesamt.
Nein, die Vereinigten Staaten stehen nicht am Rande eines Bürgerkrieges,
und es droht dort auch kein Putsch. Das ist jedoch keineswegs beruhigend.
Denn [2][die Demokratie in den USA ist tatsächlich gefährdet]. Allerdings
aus Gründen, die nicht in eine knappe Überschrift passen.
Beispiel Bürgerkrieg. Ein solcher setzt in einem modernen Staat voraus,
dass – mindestens – eine von zwei Voraussetzungen erfüllt ist: ein
Machtkampf innerhalb der Armee, möglichst zwischen annähernd gleich starken
Kräften, oder ausländische Militärhilfe in nennenswertem Umfang für
diejenigen, die einen Umsturz planen. Von beidem kann in den USA keine Rede
sein.
Kaum eine andere Institution genießt vergleichbar hohe Anerkennung über
Parteigrenzen hinweg wie das US-Militär – und zwar unabhängig davon, wie
die Mehrheit der Bevölkerung zu einem konkreten Kriegseinsatz im Ausland
steht. Ein Dienst an der Waffe gilt als patriotisch, und Patriotismus ist
ein in den USA durchweg positiv besetzter Begriff. Hinzu kommt, dass die
Armee besonders viele Chancen für Integration und Aufstieg bietet. Auch das
bindet widerstreitende Kräfte innerhalb einer Gesellschaft.
## Rechtsextremisten bekämpfen
Ja, es gibt Rechtsextremisten in der US-Armee – ebenso wie in vielen
anderen Organisationen. [3][Übrigens gibt es die auch in der Bundeswehr].
So schräg der Vergleich in vielerlei anderer Hinsicht wäre, so stimmig ist
er in dieser: Rechtsextremismus zu tolerieren birgt zum einen die Gefahr,
dass er sich ausbreitet. Und zum anderen die, dass Waffen und anderes
Material für Anschläge entwendet werden. Deshalb muss er bekämpft werden.
Weiter gehende Fantasien wären jedoch absurd. Die Gebirgsjäger werden nicht
demnächst mit Waffen im Anschlag die Zufahrt zur Feldherrnhalle in München
kontrollieren, die Infanterie bewacht nicht den Kurfürstendamm – und die
US-Armee wird sich nicht über den Potomac hinweg beschießen. Wenn es in der
gegenwärtigen Krise der Vereinigten Staaten lediglich darum ginge, derlei
zu verhindern: Sie wäre bereits bewältigt. Rechte Milizen könnten gar nicht
so schnell unter ihre Betten kriechen, wie sie das gerne täten, wenn das
US-Militär sich ernsthaft räusperte.
Aber es geht eben nicht alleine darum. Nicht nur um Bürgerkrieg und nicht
nur um das Militär und andere Sicherheitskräfte, wenn von politischer
Gewalt in den USA die Rede ist. Ohne Mühe vorstellbar, sogar
wahrscheinlich, sind Szenarien, in denen Leute ermordet werden, die von
Rechtsextremisten als Feinde betrachtet werden. In denen Läden geplündert,
Autos angezündet und Städte insgesamt „unsicher gemacht“ werden. Derlei
genügt, um die Bevölkerung zu verstören. Und das politische und
zwischenmenschliche Klima zu vergiften. Schlimm genug.
## Institutionen funktionieren
Aber wenn das halbleere Glas als halbvoll beschrieben werden soll, dann
lässt sich im Hinblick auf die USA in den vergangenen Tagen und Wochen
sagen: Die Institutionen haben funktioniert. Die Gerichte haben Recht
gesprochen, und zwar unabhängig davon, ob Richterinnen und Richter von
Donald Trump ins Amt berufen worden waren oder nicht. Die Wahlaufsicht in
den einzelnen Bundesstaaten hat ihre Aufgabe erfüllt. Zur Lichtgestalt
wurde Brad Raffensperger, Innenminister von Georgia, der schamlosen
Drohungen von Präsident Donald Trump standgehalten hat. Wäre er allerdings
alleine und nicht einer von vielen, dann gäbe es kein brauchbares
Wahlergebnis. Das alles ist nicht wenig.
Wenn das halbvolle Glas hingegen als halbleer beschrieben werden soll, dann
muss festgestellt werden, dass die Sicherheitskräfte auf gewaltsame
rechtsextreme Demonstrationen unfassbar schlecht vorbereitet waren.
Schlimmer noch: Die Anzeichen mehren sich, dass zumindest einige
Sicherheitskräfte gemeinsame Sache mit den Demonstranten gemacht oder diese
wenigstens augenzwinkernd haben gewähren lassen. Möglicherweise waren sogar
Kongressmitglieder den Gewalttätern behilflich.
Ja, Donald Trump hat seine Basis aufgehetzt. Aber er war und ist offenbar
kein Einzeltäter. Über die interessanteste Frage in diesem Zusammenhang
wird bislang kaum geredet: wer eigentlich im Hintergrund die Fäden hinter
derlei Aktionen zieht. Als sicher kann gelten, dass dies weder der viel
beachtete Mann mit Hörnern ist noch der Mann, der sich des Schreibtischs
der demokratischen Politikerin Nancy Pelosi mithilfe seiner Füße bemächtigt
hat. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass diese Leute die taktischen und
intellektuellen Fähigkeiten zu einer solchen Aktion haben? Nein, das kann
niemand glauben.
## Koordinierte Aktionen
Aber wer hat dann die Demonstrationen geplant, die derzeit weltweit
Schlagzeilen machen? Wer koordiniert Proteste, die – angeblich – in den
nächsten Tagen in allen 50 Bundesstaaten der USA stattfinden sollen? Derlei
komplexe Aktionen werden nie – niemals – allein über soziale Medien
verabredet. Wer steckt dahinter? Warum ist der Stand der Ermittlungen
offenbar so unzureichend, dass die Öffentlichkeit davon noch nichts
erfahren darf und die Sicherheitsbehörden dazu schweigen?
Es sieht inzwischen so aus, als sei es nicht mehr als ein glücklicher
Zufall, dass es nicht zu einem Massenmord an Kongressabgeordneten gekommen
ist. Aber selbst in einem solchen Fall hätte das nicht zum Ausbruch eines
Bürgerkrieges führen müssen. Das Konzept der „designated survivors“, der
Notfallüberlebenden für den Fall eines Terroranschlags mit weit reichenden
Folgen, wirkt im tiefsten Frieden bizarr. Die Idee dahinter ist jedoch
wirkmächtig: Niemand ist unersetzlich. Das System ist stärker als alle
Einzelnen.
Warum sich dann überhaupt aufregen? Ist doch alles gut gegangen. Ein paar
Irre, die demnächst vor Gericht gestellt werden, sind in ein öffentliches
Gebäude getrampelt. Ein Präsident, an dessen Zurechnungsfähigkeit
gezweifelt werden darf, gibt sein Amt in der nächsten Woche ab. Seine
Partei wird damit beschäftigt sein, die eigenen Wunden zu lecken. Die neue
Führung nimmt alle wichtigen Aufgaben in Angriff und lässt die
Vergangenheit hinter sich.
Schön wär’s. Dauerhafte Verunsicherung und die Angst vor Anschlägen
verändern eine Gesellschaft. Nicht von heute auf morgen, sondern langsam,
schrittweise, schleichend. Einige republikanische Kongressabgeordnete haben
angeblich nur deshalb nicht für eine Amtsenthebung von Donald Trump
gestimmt, weil sie Angst um die Sicherheit ihrer Familien und ihre eigene
hatten. Das ist – oder wäre – verständlich. Auch verzeihlich.
## Angst um die Familien
Und wie sieht es aus, wenn eine Neuordnung von Wahlkreisen, die
Minderheiten benachteiligen, geplant ist und Widerspruch dagegen
lebensgefährlich wird? Oder wenn die Registrierung von Wählerinnen und
Wählern an Bedingungen geknüpft wird, die weiße Mittelschichtler
privilegieren? Werden dann wieder einige von denen, die mitreden und
entscheiden dürfen, Angst haben – um sich selbst und ihre Familien? Sollte
das in Texas oder Florida so sein, dann wird das keine weltweiten
Schlagzeilen machen. Dann interessiert das niemanden.
Die wirklich bedrohliche Frage der letzten Tage lautet deshalb: Warum
distanziert sich die republikanische Partei noch immer mehrheitlich nicht
von Donald Trump? Lediglich aus Angst vor einem Mann, der seine Macht
verloren hat, der möglicherweise demnächst pleite ist und sich im
Bundesstaat New York voraussichtlich unter anderem wegen
Steuerhinterziehung verantworten muss? Ach nein, doch wohl kaum. Sondern
eher, weil der oder die einzelne republikanische Abgeordnete fürchtet, Amt
und Würde zu verlieren, wenn er oder sie sich dem Mehrheitswillen
entgegenstemmt.
Die Öffnung der republikanischen Partei zum Rechtsextremismus hat nicht mit
Donald Trump begonnen. Leider. Sondern sehr viel früher, allerspätestens
mit der Gründung der Tea-Party-Bewegung 2009, der es gelungen ist,
bestimmenden Einfluss auf die Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten der
Partei zu nehmen. Sie hat die US-Republikaner gekapert – wer sich gegen sie
stellte, hatte keine Chance.
Was bedeutet: Der Rechtsruck der republikanischen Partei beginnt und endet
nicht mit Donald Trump. Und wer immer es ist, der oder die hinter der Tea
Party, der Präsidentschaft von Donald Trump und dem „Sturm“ auf das Kapitol
steckt: Ein Bürgerkrieg oder ein Putsch wird für den Erfolg nicht
gebraucht. Angst, Verunsicherung und Wut genügen. An derlei Gefühlen
herrscht kein Mangel.
16 Jan 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Bettina Gaus
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