# taz.de -- USA vor der Amtseinführung Bidens: Höchste heimische Terrordrohung | |
> Das FBI und das Ministerium für Heimatsicherheit warnen vor weiteren | |
> Angriffen im ganzen Land. Rechtsradikale fühlten sich ermutigt wie nie. | |
Bild: Die National Guard hat sich im Capitol in Washington eingerichtet | |
Höchste Alarmbereitschaft hat das FBI von Polizeichefs überall in den USA | |
verlangt. In einer Konferenzschaltung am Mittwoch warnten der FBI-Direktor, | |
Christopher Wray, und der amtierende Minister für die Heimatsicherheit, | |
Kenneth Cuccinelli, eindringlich vor möglichen neuen Angriffen auf | |
Regierungsgebäude, auf Wohnsitze von Abgeordneten und auf Geschäfte. Und | |
sie forderten die Polizisten auf, in den kommenden Tagen selbst kleine | |
Auffälligkeiten ganz genau zu beobachten. In einer Gefahreneinschätzung | |
schreiben die beiden Behörden: „Nach dem Einbruch ins Kapitol fühlen sich | |
die gewalttätigen inländischen Extremisten gestärkt.“ | |
Exakt eine Woche nachdem Trump-Anhänger und Rechte mit Schusswaffen, | |
Knüppeln und Jesus-, Trump- und Konföderierten-Fahnen in das Kapitol in | |
Washington eingedrungen sind und es in ein Schlachtfeld verwandelt haben, | |
auf dem fünf Menschen gestorben sind, befürchten die Sicherheitsbehörden | |
neue Eskalationen. Zahlreiche Organisationen, die auch am 6. Januar dabei | |
waren, wollen an diesem Wochenende und am 20. Januar, dem Tag des | |
Amtsantritts von Joe Biden, wieder auf die Straße gehen. Sie planen | |
Aufmärsche in allen fünfzig Bundesstaaten. Mehrere Milizen fordern ihre | |
Mitglieder auf, bewaffnet zu kommen – unter anderem auch in die | |
US-Hauptstadt Washington, wo das Tragen von Schusswaffen nur in | |
Ausnahmefällen erlaubt ist. | |
Der Secret Service hat einen Aufruf zu einem „Komm und nimm es“-Aufmarsch | |
vor dem Kapitol gesehen, bei dem „bewaffnete Bürger“ nach eigenem Bekunden | |
„buchstäblich und körperlich den Diebstahl stoppen“ wollen. Die | |
Organisatoren nennen sich Boogaloo Boys, sie wollen einen zweiten | |
Bürgerkrieg provozieren, ihre Mitglieder treten in blumigen Hawaithemden | |
und mit Sturmgewehren auf. Mit „Diebstahl“ meinen sie das, was Trump seit | |
November behauptet: dass die Wahlen gefälscht worden seien, um ihm seinen | |
Sieg zu stehlen. Tatsächlich waren die Wahlen vom 3. November die | |
sichersten und am häufigsten ausgezählten der US-Geschichte. | |
## Zigtausende Hinweise aus der Bevölkerung | |
Dutzende von Rechten, die am 6. Januar dabei waren, sind inzwischen | |
inhaftiert. Am Tag des Sturms hatten sie ungehindert die Hauptstadt | |
verlassen können. Aber ihre eigene Liveberichterstattung mit Handyvideos | |
und Fotos aus dem Kapitol sowie Zigtausende Hinweise aus der Bevölkerung | |
verrieten sie. Das FBI holte sie in Texas, Ohio, New York und anderswo quer | |
durch das Land ab. Und fand vielerorts beeindruckende Waffen- und | |
Munitionsvorräte. | |
Doch andere Gesuchte sind abgetaucht. Experten befürchten, dass sie | |
Angriffe auf schwer zu schützende, kleine Ziele planen könnten. „Sie | |
stellen sehr wahrscheinlich die höchste heimische Terrordrohung in diesem | |
Jahr dar“, befinden FBI und Heimatsicherheit. | |
Das FBI hatte schon im Vorfeld des 6. Januar gewarnt. Vor Weihnachten hatte | |
der Präsident seine Basis aufgefordert nach Washington zu kommen. Er | |
versprach: „Es wird heiß werden“. Auf Twitter-, Facebook- und Parler-Seiten | |
diskutierten Rechte den geplanten Sturm auf das Kapitol. Unter jenen, die | |
kamen, waren Neonazis, weiße Nationalisten, Regierungsgegner und Anhänger | |
von Verschwörungstheorien. Sie haben Namen wie Oath Keepers, Three | |
Percenters, Proud Boys, Boogaloo und QAnon. Manche sind grundsätzlich | |
bewaffnet, andere nicht immer. Manche nehmen nur weiße Männer auf, andere | |
haben auch Frauen und Menschen anderer Hautfarben in ihren Reihen. Aber in | |
einer Person sind sie sich alle einig: Trump. | |
Er hat sie zusammengebracht, hat sie vier Jahre lang hofiert und hat ein | |
Umfeld geschaffen, in dem sie wachsen konnten. Der Milizen-Experte Lawrence | |
Rosenthal von der Universität Berkeley schätzt ihre zahlenmäßige Stärke am | |
Ende der Trump Präsidenschaft auf 6 Prozent der US-Bevölkerung – 11 | |
Millionen Menschen. | |
Rechte Gewalt ist nicht neu in den USA. Sie führte auch zu dem Attentat in | |
Oklahoma City im Jahr 1995, bei dem 168 Menschen ums Leben kamen. Im ersten | |
Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama bekamen 2008 bewaffnete weiße | |
Milizen massiven Zulauf. Damals hatten sie ein einziges Motiv: Sie wollten | |
keinen schwarzen Mann im Weißen Haus haben. Unter Trump hielten sie an | |
ihrem Rassismus fest und bekamen zusätzlich Zuspruch aus dem Weißen Haus. | |
Unter ihm wurden die Milizen immer dreister. Und Trump stellte sich jedes | |
Mal hinter sie. | |
Nach einem Aufmarsch von Neonazis im Sommer 2017 in Charlottesville, bei | |
dem eine linke Gegendemonstrantin getötet und zahlreiche andere verletzt | |
wurden, erklärte der Präsident, es gebe gute Leute auf beiden Seiten. | |
Als zu Anfang der Pandemie schwer bewaffnete Rechte im Parlament in | |
Lansing, Michigan, aufmarschierten, während die Abgeordneten über | |
Covid-Schutzmaßnahmen berieten, feuerte Trump sie aus dem Weißen Haus mit | |
„Befreit Michigan“ an. Wenig später deckte das FBI eine Verschwörung von | |
Milizen auf, die planten, Gouverneurin Gretchen Whitmer, eine Demokratin, | |
zu kidnappen und zu ermorden. Im Herbst weigerte sich Trump bei einer | |
Fernsehdebatte mit Joe Biden erneut, die bewaffneten Rechten zu | |
verurteilen. Stattdessen erteilt er den Proud Boys einen Rat, der | |
angesichts des Sturms auf das Kapitol klingt wie eine langfristige Planung: | |
„Tretet zurück und haltet euch bereit.“ | |
## Sie haben nun eine Märtyrerin | |
Nach dem 6. Januar sind neben Trump auch die gewaltbereiten Rechten von | |
Twitter und Facebook vertrieben worden. Vorübergehend haben sie auch die | |
Plattform Parler verloren, weil Amazon sie herausgeschmissen hat. Sie sind | |
auf andere Dienste wie Gab und Telegram ausgewichen. Außerdem haben sie | |
jetzt eine Märtyrerin. Die 35-jährige Ex-Soldatin Ashli Babbit ist im | |
Kapitol bei dem Versuch, in die „Speaker’s Lobby“ einzudringen, von einem | |
Polizisten erschossen worden. „Wir haben schon gewonnen“, schreibt jemand | |
auf der Boogaloo-Intel- Drop-Seite auf Telegram: „entspannt euch und | |
bereitet euch auf das große Finale vor.“ Es ist das erste Mal, dass die | |
Milizen selbstbewusst genug sind, Aktionen in allen Bundesstaaten zu | |
planen. | |
Am Sturm auf das Kapitol waren am 6. Januar auch Polizisten und | |
Feuerwehrleute beteiligt, einige von ihnen wurden vom Dienst suspendiert. | |
Andere, wie der Polizeichef der kleinen Stadt Troy in New Hampshire, der | |
zwar an der Trump-Demo vor dem Eindringen des Mobs ins Kapitol teilnahm, | |
aber verurteilte, was dann geschah, sehen sich unter politischem Druck: Die | |
Demokrat*innen in New Hampshire fordern seinen Rücktritt, er soll Drohungen | |
erhalten haben. | |
Auch gegen rund ein Dutzend Mitglieder der Capitol Police, die für den | |
Schutz des Gebäudes zuständig sind, wird ermittelt – sie sollen mit | |
ermöglicht haben, dass die Aufrührer*innen überhaupt in das Gebäude | |
gelangen konnten. Einer war dabei gefilmt worden, wie er Trump-Anhängern | |
den Weg wies, ein anderer ließ Selfies von sich mit Protestierenden machen | |
– im Gebäude. | |
Hinter all diesen Fällen steht die Frage, ob auf die Polizeikräfte in den | |
USA überhaupt Verlass ist. Denn aus vielen Bundesstaaten werden seit Jahren | |
immer wieder direkte Verbindungen von aktiven oder ehemaligen Polizisten | |
mit rechtsextremen Milizen oder Hate Groups bekannt. 2006 [1][alarmierte] | |
die Bundespolizei FBI zum ersten Mal über solche Verbindungen und das | |
strategische Interesse rassistischer, rechtsextremistischer Organisationen, | |
die Polizeibehörden zu infiltrieren. | |
2015 schlug das FBI erneut Alarm: In einem internen Bericht, den das | |
Recherchemagazin „[2][The Intercept]“ zugespielt bekam, wurden etliche | |
Verbindungen zwischen Polizeibehörden und Nazi-Gruppen aufgeführt. 2017 | |
stuften mehrere US-Ermittlungsbehörden und das Justizministerium die | |
Aktivitäten rechtsextremer Gruppen als „größte inländische Terrorgefahr“ | |
ein. | |
## Die Reihen haben sich geschlossen | |
Das Verhältnis zwischen Polizeikräften und diesen Gruppen scheint dadurch | |
jedoch nicht weiter beeinträchtigt worden zu sein. Im Rahmen der aktuellen | |
Debatte über rassistische Polizeigewalt scheinen gewisse Reihen eher | |
geschlossen worden zu sein. | |
Das zeigte sich nicht zuletzt in Kenosha, Wisconsin. Dort hatte es am Rande | |
von Demonstrationen gegen die Polizeischüsse auf den Schwarzen | |
Familienvater Jacob Blake Proteste gegeben, einige davon gewaltsam. Als | |
Proud Boys und andere rechtsextreme Gruppen auftauchten, erschoss einer von | |
ihnen zwei Demonstranten. Zuvor war seine Gruppe gesehen worden, wie sie | |
mit Polizisten scherzte. Mitarbeit: Bernd Pickert | |
15 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://s3.documentcloud.org/documents/402521/doc-26-white-supremacist-infil… | |
[2] https://theintercept.com/2017/01/31/the-fbi-has-quietly-investigated-white-… | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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