| # taz.de -- Wahl des CDU-Vorsitzenden: „Schwere Entscheidung“ | |
| > Am Samstag wählt die CDU ihren neuen Vorsitzenden. Der | |
| > Konservatismusforscher Thomas Biebricher über die Zukunft der Partei. | |
| Bild: Wer folgt ihr nach? Bundeskanzlerin Angela Merkel | |
| taz: Herr Biebricher, was bedeutet die Wahl des CDU-Vorsitzenden für die | |
| Partei? | |
| Thomas Biebricher: Es ist eine Zäsur. Der neue Vorsitzende muss die CDU in | |
| eine neue Ära führen, eine schwere Aufgabe unter schwierigen Bedingungen: | |
| Wegen der Coronapandemie und der Lage innerhalb der CDU. | |
| Inwiefern? | |
| Es kommen [1][diverse Landtagswahlen], die für die CDU schwierig werden | |
| könnten und möglicherweise keinen Schub für die Bundestagswahl bringen. | |
| Schwer auch insofern, als dass die Kür des Vorsitzenden so lange dauert und | |
| mit der CSU ein gemeinsamer Kanzlerkandidat gefunden werden muss. Zum | |
| ersten Mal in der Geschichte der CDU geht sie ohne Kanzler- oder | |
| Kanzlerinnenbonus in die Bundestagswahl und kann sich auch nicht an einem | |
| SPD-Kanzler abarbeiten. | |
| Manche in der CDU wollen Merkels Weg grundsätzlich fortsetzen, andere | |
| fordern eine Kurskorrektur. Ist die Wahl des Vorsitzenden eine | |
| Richtungsentscheidung? | |
| Wenn Friedrich Merz Vorsitzender wird, kann man das schon eine | |
| Richtungsentscheidung nennen. Es wäre eine viel deutlichere Zäsur als im | |
| Fall der anderen Kandidaten. Merz steht für das Bedürfnis, ein klareres | |
| Profil zu entwickeln und sich stärker konservativ zu positionieren. Aus | |
| Sicht derer, die sich das wünschen, hat die Partei sich inhaltlich | |
| verloren. Man kann diese Entwicklung aber auch als pragmatisch bezeichnen. | |
| Angela Merkel wird vorgeworfen, die CDU entkernt zu haben. | |
| Dieser Prozess ist schon viel länger im Gange. | |
| Sie haben einmal darauf verwiesen, dass Jürgen Todenhöfer schon 1987 | |
| lamentierte, der konservative Flügel in der CDU sei marginalisiert. | |
| Man kann diesen langen Prozess keinesfalls Angela Merkel allein anlasten. | |
| Richtig ist, dass sich die Partei in den letzten fünfzehn Jahren stark | |
| modernisiert hat, weiter in die Mitte gerückt ist und viele Positionen, die | |
| als heilige Kühe der Konservativen galten, geräumt hat. [2][Der | |
| Konservatismus der Union] bezieht sich heute vor allem darauf, Krisen zu | |
| meistern, auf Sicht zu fahren und den Laden zusammen zu halten. Inhaltlich | |
| ist das völlig unbestimmt, das stimmt schon. Was aber auch stimmt: Mit | |
| ihrem Krisenpragmatismus war Merkel ziemlich erfolgreich. Nun stellt sich | |
| die Frage, ob jemand in diese Fußstapfen treten kann. | |
| Und wenn nicht? | |
| Dann wird das ganze Konstrukt brüchig. Manche in der Union sagen: | |
| Pragmatismus ist der Bruder von Beliebigkeit und Prinzipienlosigkeit. Die | |
| Verwurzelung in bestimmten Positionen wird unter Konservativen eben sehr | |
| geschätzt. Dann braucht es den Versuch einer inhaltlichen Erneuerung. | |
| Und das ist jetzt der Fall? | |
| Im Kandidatenpool gibt es jedenfalls niemanden, der überzeugend in die | |
| Fußstapfen der erfolgreichen Krisenmanagerin treten kann. Laschet und | |
| Spahn, die in Regierungsverantwortung sind, sind durch Corona etwas | |
| angeschlagen, Merz hat keinerlei Regierungserfahrung vorzuweisen, und | |
| Röttgens Zeit als Umweltminister liegt schon sehr lange zurück. Die CDU ist | |
| mit Blick auf die Führungsverantwortung nicht gut aufgestellt. Deshalb | |
| könnte man vermuten, dass es sinnvoll wäre, diese Erneuerung | |
| voranzutreiben. Das hat sich ja vor allem Norbert Röttgen – wohl auch | |
| notgedrungen – auf die Fahne geschrieben. | |
| Aber die Hoffnung auf eine konservative Erneuerung scheint bei einem Teil | |
| der Partei vor allem auf Merz zu liegen. Wäre er der Richtige dafür? | |
| Ich traue es ihm nicht zu. Merz ist in erster Linie eine Projektionsfläche. | |
| Er steht vor allem für einen sehr authentisch empfundenen Neoliberalismus, | |
| aber der Konservatismus scheint eher angeheftet zu sein – oder es ist ein | |
| Altherrenkonservatismus, dem ich keine große Zukunftsfähigkeit zusprechen | |
| würde. | |
| Wie kann eine Neuerfindung des Konservatismus aussehen? Wer könnte dafür | |
| Verbündeter sein? | |
| Das ist Teil des Problems. Diese Allianzen, die es in den 1970er und 1980er | |
| Jahren gab, gibt es nicht mehr. Die intellektuelle Infrastruktur auch | |
| nicht. Es fehlt ein Netzwerk von Organisationen – die Kirchen gehören | |
| möglicherweise auch dazu –, aus denen Ideen in die Partei gespült werden, | |
| die diese aufgreifen und in politische Agenden gießen kann. Und darüber | |
| hinaus spielen innere Widersprüche innerhalb der Christdemokratie eine | |
| Rolle. Es gibt eine Menge Themen, bei denen man dezidiert konservative | |
| Positionen beziehen könnte: im Bereich Biotechnologie zum Beispiel oder bei | |
| Big Data. Und die Ökologie ist eigentlich ein genuin konservatives Thema. | |
| Das Problem ist, dass die Christdemokratie sich klar zum | |
| technologie-affinen Kapitalismus bekennt – das ist eine schwierige | |
| strukturelle Spannung. | |
| Eine Hoffnung in Teilen der CDU ist, mit einer konservativen Neuaufstellung | |
| einen Teil der AfD-Wähler zurückgewinnen zu können. Merz sprach gar davon, | |
| er könne die AfD halbieren. | |
| Diese Aussage hat Merz inzwischen zurückgenommen, weil, wie er sagt, die | |
| Partei vollkommen radikalisiert sei. Grundsätzlich halte ich das auch für | |
| keine gute Strategie. Die CSU hat bei der letzten Landtagswahl versucht, in | |
| rechtspopulistischen Gefilden zu wildern. Das hat nicht funktioniert, und | |
| es funktioniert auch in anderen Ländern sehr schlecht. Zudem wäre es für | |
| die liberale Demokratie gar nicht gut. Hinzu kommt: Wer den AfD-Wählern | |
| hinterherläuft, verliert Stimmen in der Mitte. Wahrscheinlich mehr, als er | |
| auf der anderen Seite gewinnt. | |
| Konservative Parteien in Europa und die Republikaner in den USA sind der | |
| populistischen und autoritären Versuchung erlegen. Die FAZ hat Merz nach | |
| seinem Angriff auf das „Partei-Establishment“ einen „Sauerland-Trump“ | |
| genannt. Wie groß ist diese Gefahr für die CDU? | |
| Das ist eine große Gefahr, weil sich in der rechten Mitte das Schicksal der | |
| liberalen Demokratie entscheidet. Im Moment würde ich aber sagen, dass die | |
| deutsche Christdemokratie ganz gut gefeit ist gegen diese Verlockungen. | |
| Wichtig dafür war das mahnende Beispiel der CSU, die während des letzten | |
| Landtagswahlkampfs selbst eine massive Kehrtwende vollzogen hat und sich | |
| inzwischen sehr deutlich von der AfD abgrenzt. Man weiß nur nicht, wie das | |
| Ganze nach einer verlorenen Bundestagswahl aussehen würde. | |
| Teile der CDU wollen eine konservative Erneuerung, aber nach der | |
| Bundestagswahl im Herbst weiterregieren. Wie passt das zusammen – wo doch | |
| Schwarz-Grün die wahrscheinlichste Machtoption ist? | |
| Wenn man das Konservative so ausbuchstabiert, wie es Friedrich Merz | |
| wahrscheinlich tun würde, ist das sehr schwierig. Deshalb wäre er als | |
| Vorsitzender das größtmögliche Problem. Er ist eine wunderbare Reizfigur, | |
| gegen die man mobilisieren und an der man sich abarbeiten kann. | |
| Das scheint ein großer Teil der CDU nicht als Problem zu sehen. | |
| Dazu muss man wissen: Nach vielen Studien empfindet sich die Mitgliedschaft | |
| der CDU als deutlich konservativer als die Parteiführung. Aber die CDU auf | |
| einen vermeintlich konservativen Markenkern zu reduzieren ist keine | |
| erfolgversprechende Strategie. Sie würde die CDU wahltaktisch in ein Getto | |
| von 25 Prozent führen. Neben dem Konservatismus müssen die beiden anderen | |
| Säulen der CDU – der Liberalismus und das christliche Menschenbild – auch | |
| zur Geltung kommen. Wenn die CDU Volkspartei bleiben will, darf sie sich | |
| nicht konservativ verengen. Eine rein konservative Profilschärfung wäre | |
| höchst risikoreich. Und hier geraten die Sehnsüchte in der Parteibasis in | |
| Konflikt mit dem sehr ausgeprägtem Machtinstinkt der CDU. | |
| Ein großes Plus der CDU war stets ihre innerparteiliche Geschlossenheit. | |
| Das scheint vorbei. Wird die Partei es schaffen, sich hinter ihrem neuen | |
| Vorsitzenden zu versammeln? | |
| Das war nie schwieriger. Kontroverse Prozesse im Vorfeld der Kür von | |
| Spitzenpositionen gab es immer mal, aber dass sich die CDU auf eine offene | |
| Konkurrenz eingelassen hat, ist schon sehr ungewöhnlich. Beim letzten Mal | |
| wirkte es zumindest im Prozess so, als könnte das klappen, aber nach dem | |
| knappen Wahlergebnis hat sich schnell gezeigt, dass es nicht so leicht ist, | |
| die Gräben zuzuschütten. | |
| Wem würden Sie am ehesten zutrauen, die Partei zusammenzuführen? | |
| Armin Laschet traue ich es mit Jens Spahn an der Seite zu, andere Milieus | |
| einzubinden. Laschet nimmt man ab, integrieren zu wollen. Er ist ein | |
| Repräsentant alter christdemokratischer, rheinländischer Tugenden. Mit | |
| Friedrich Merz wird es äußerst schwierig, und Norbert Röttgen fehlt die | |
| Verankerung in der Partei. | |
| 15 Jan 2021 | |
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