# taz.de -- Corona-Alarm in Flüchtlingsunterkünften: Ohne Chance auf Abstand | |
> In zwei Hamburger Erstaufnahmen für Geflüchtete gab es vor Weihnachten | |
> Dutzende Corona-Ausbrüche. Überraschen kann das niemanden. | |
Bild: Geflüchtete verlassen die Erstaufnahme in der Harburger Poststraße | |
HAMBURG taz | Das Virus kam rechtzeitig zum Weihnachtsfest. Wie jetzt | |
bekannt wurde, sind in zwei Hamburger Erstaufnahmen für Geflüchtete über | |
die Feiertage Dutzende Coronafälle aufgetreten. | |
In der Erstaufnahme Harburger Poststraße in Harburg wurden am Heiligabend | |
insgesamt 34 Menschen positiv auf das Virus getestet, darunter zwei | |
Mitarbeiter*innen der Einrichtung. Unter den Infizierten sind Familien mit | |
Kindern. Die Feuerwehr brachte die Betroffenen sowie weitere 25 | |
Familienangehörige zur Isolation in den zentralen, bereits im Frühjahr | |
eingerichteten Quarantäne-Standort am Neuen Höltigbaum in Rahlstedt. | |
Nachdem es bereits zehn Tage zuvor erste Verdachtsfälle – mehrere | |
schulpflichtige Kinder – in der Unterkunft gegeben hatte, wurden laut | |
Innenbehörde alle 136 Bewohner*innen und die Betreuer*innen getestet. Die | |
Einrichtung steht nun für zwei Wochen unter Quarantäne, die Geflüchteten | |
dürfen sich nicht mehr frei bewegen. | |
225 Geflüchtete wurden zudem am Ersten Weihnachtstag in der Erstaufnahme in | |
der Sportallee in Groß Borstel auf das Virus getestet. Auch hier hatte es | |
bereits zehn Tage zuvor erste Verdachtsfälle gegeben. 17-mal fiel das | |
Testergebnis positiv aus. Auch diese Betroffenen wurden mit ihren Familien | |
zum Quarantäne-Standort am Neuen Höltigbaum gebracht, in dem am Montag | |
insgesamt 160 Infizierte mit ihren Angehörigen untergebracht waren. Die | |
gute Nachricht: Keiner der 51 neu infizierten Flüchtlinge und zwei | |
Betreuer*innen ist derzeit so schwer erkrankt, dass eine stationäre | |
Behandlung notwendig ist. | |
Dass es in zwei der drei Hamburger Erstaufnahmen nun eine massive | |
Ausbreitung des Virus gibt, wundert vor allem die Flüchtlingsinitiativen | |
nicht. Sie warnen schon lange vor der Pandemie-Gefahr in | |
Flüchtlingsunterkünften, in denen die Menschen noch immer mit | |
unzureichenden Abständen zusammengepfercht werden. „Da alle Personen bei | |
ihrer Ankunft in Hamburg auf eine mögliche Covid-19-Erkrankung getestet | |
werden, ist davon auszugehen, dass sich die Personen während ihres | |
anschließenden Aufenthalts in Hamburg mit Covid-19 infiziert haben“, | |
erklärt auch Innenbehörden-Sprecher Daniel Schaefer. | |
## Kollektive Corona-Ausbrüche | |
Auch in der dritten Hamburger Erstaufnahme am Kaltenkircher Platz in Altona | |
gab es bereits im Herbst einen Corona-Ausbruch – in diesem Fall, ohne dass | |
die Medien davon etwas mitbekamen. Zuletzt hatte es in Hamburg Ende Oktober | |
eine Massen-[1][Infektion in einer Flüchtlingsunterkunft in Rahlstedt] | |
gegeben: 70 Bewohner*innen waren damals positiv getestet worden. In einer | |
Unterkunft in Bergedorf hatte es im Oktober neun Infektions-Fälle gegeben, | |
woraufhin die Einrichtung für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt wurde. | |
Auch in Flüchtlingszentren in Rendsburg, Celle oder Wolfsburg war es | |
zuletzt immer wieder zu kollektiven Corona-Ausbrüchen gekommen. | |
Schon im Mai, dem Höhepunkt der ersten Pandemie-Welle, hatte es in nicht | |
weniger als 25 Hamburger Flüchtlingsunterkünften Covid-19-Fälle gegeben. | |
Seitdem währt der Streit darüber, wie für die Schutzsuchenden eine | |
angemessene Unterbringung in Pandemiezeiten gewährleistet werden kann. Da | |
sich in den Massenunterkünften oft mehr als 20 Personen Bad und Küche | |
teilen müssen und die notwendigen Abstandsregeln in der räumlichen Enge der | |
Unterkünfte nicht einzuhalten sind, gelten diese als potenzielle | |
Ansteckungsherde. | |
Der [2][Hamburger Flüchtlingsrat] moniert, Geflüchtete würden wegen einer | |
verfehlten Unterbringungspraxis fortlaufend gefährdet. Die Maßnahmen zu | |
ihrem Schutz vor einer Infektion seien absolut mangelhaft. Ist das Virus | |
„erst einmal in solchen Unterkünften angekommen, lässt sich ein | |
Überspringen auf andere Bewohner*innen kaum mehr verhindern. Weder kann ein | |
Sicherheitsabstand eingehalten werden, noch können soziale Kontakte | |
vermieden werden“, heißt es in einer Stellungnahme des Rates zur | |
Unterbringung der Flüchtlinge während der Pandemie. | |
Franz Forsmann, Sprecher des Flüchtlingsrates, betont, dass viele | |
Geflüchtete „aufgrund der Zustände in ihren Massenquartieren panische Angst | |
vor Ansteckung haben, zumal viele von ihnen Vorerkrankungen haben oder zu | |
den Risikogruppen gehören“. Der Flüchtlingsrat fordert deshalb, die | |
Flüchtlingsunterbringung deutlich „zu entzerren“, zwischenzeitlich | |
geschlossene Unterkünfte oder Gebäudetrakte wieder zu öffnen, oder die | |
Geflüchteten in den derzeit leerstehenden Hotels unterzubringen. Die | |
zuständige Innenbehörde sieht dazu keine Veranlassung und verweist auf | |
einen „umfassenden Hygieneplan, der fortwährend aktualisiert“ werde. | |
## „Resultat dieser Ignoranz“ | |
Kritik kommt auch von der Hamburger Linken. Die Bürgerschaftsabgeordnete | |
Carola Ensslen (Linke) wirft dem Senat „grobe Fahrlässigkeit“ vor, da er | |
alle Forderungen nach einer entzerrten Belegung der Unterkünfte ignoriere. | |
Ensslen: „Die erneuten Corona-Ausbrüche sind das Resultat dieser Ignoranz.“ | |
Der neue Corona-Impfstoff verspricht keine schnelle Lösung des Problems: | |
Alten- und Pflegeheimbewohner*innen und deren Betreuer*innen sollen zuerst | |
geimpft werden. Dies wird mindestens ein bis zwei Monate in Anspruch | |
nehmen. Erst danach folgen die Schutzimpfungen der nächsten | |
Priorisierungsstufe, zu der auch Geflüchtete gehören, die in | |
Massenunterkünften untergebracht sind. | |
29 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Corona-in-Unterkunft-fuer-Gefluechtete/!5721013 | |
[2] https://www.fluechtlingsrat-hamburg.de/ | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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