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# taz.de -- EU und Großbritannien einig bei Brexit: It's a deal!
> Die Übergangsfrist endet nun doch nicht ohne Vertrag. Beide Seiten sind
> erleichtert – bleiben aber auch kritisch.
Bild: Weihnachten, Deal, alles schön!
London/Brüssel/Berlin taz | Beide Arme nach vorne gereckt in Richtung des
Großbildschirms mit [1][Ursula von der Leyen], Daumen nach oben: Dieses
Foto von sich lächelnd an seinem Schreibtisch schickte Boris Johnson am
Nachmittag des 24. Dezember [2][über Twitter] um die Welt. Darunter die
Worte „The Deal is Done“: Der Vertrag steht.
Die EU und Großbritannien haben sich gerade noch rechtzeitig zu Weihnachten
auf ein Partnerschaftsabkommen geeinigt. Es soll die Beziehungen nach dem
Ende der Übergangsfrist [3][beim Brexit] am 31. Dezember 2020 regeln. Wäre
es nicht mehr dieses Jahr zustand gekommen, hätten ab 1. Januar
Handelsbarrieren mit Zöllen in Kraft treten müssen, mit möglicherweise
dramatischen Folgen für die Wirtschaft und die politische Zusammenarbeit.
Nun ist Kern des Deals ein Freihandelsabkommen, das den reibungslosen
Handel ohne Zölle und Quoten für die Zukunft sichern soll. Brüssel und
London haben sich auch auf Regelwerke der Zusammenarbeit in zahlreichen
weiteren Politikfeldern wie Verkehr, Fischerei, polizeiliche Zusammenarbeit
und Forschung verständigt und Mechanismen zur Gewährleistung eines fairen
Wettbewerbs und zur Schlichtung von Streitfällen erarbeitet.
„Großbritannien wird ein geschätzter Partner bleiben“, sagte
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Auch nach dem Brexit teile man
dieselben Interessen. Das Abkommen sei „fair und ausgewogen“ geraten nach
einer „langen und kurvenreichen Wegstrecke“.
## Rote Linien
Das Büro des britischen Premierministers teilte mit: „Alles, was der
britischen Öffentlichkeit im Referendum von 2016 und in den letzten Wahlen
versprochen wurde, ist mit diesem Abkommen erfüllt worden.“ Weiter heißt
es: „Wir haben die Kontrolle über unser Geld, Grenzen, Gesetze, Handel und
unsere Fischgewässer zurückerlangt“ und „alle unsere roten Linien wurden
gehalten“. Das Ergebnis sei „gut für ganz Europa“.
Die Handelsgespräche hatten nach dem formellen Austritt des Vereinigten
Königreiches aus der EU am 31. Januar begonnen und standen unzählige Male
am Rande des Zusammenbruchs. D[4][ie letzten quälenden Strecken ab
Mittwochnachmittag], als der finale Durchbruch immer wieder angekündigt und
dann doch wieder verschoben wurde, wirkten wie Wochen.
Zuletzt ging es nur noch um Fischzahlen. Die Übergangszeit, [5][nach der
die geltenden EU-Fischereirechte in britischen Gewässern auslaufen] und
neue, geringere Fangquoten in Kraft treten, war bis zuletzt umstritten,
ebenso wie die Regelung für die Zeit danach. Johnson erklärte dazu jetzt,
man habe die Kontrolle über die Hälfte des eigenen Fisches verlangt, wird
bis zum Ende einer Übergangsphase aber sogar zwei Drittel bekommen. Die
Übergangsphase dauert allerdings statt der von London geforderten drei nun
fünfeinhalb Jahre. Danach könnte neu über Fisch verhandelt werden, mit
Großbritannien dann in voller Kontrolle über die eigenen Ressourcen. Das
alles ermögliche den Briten, „gigantische Mengen“ Fisch zu essen.
## „Kultureller Vandalismus“ und Kartoffelsamen
Das Abkommen, dessen Text – anders als beim Brexit-Abkommen von 2019 –
nicht unmittelbar veröffentlicht worden ist, muss nun durch beide
Parlamente. Auf der britischen Seite gab die Regierung an, sie wolle den
Vertrag innerhalb eines Tages durch das Unterhaus und das House of Lords
jagen. Als Termin hierfür wurde ab Abend Mittwoch, 30. Dezember,
festgelegt.
Labour-Oppositionsführer Keir Starmer rief bereits dazu auf, im nationalen
Interesse für den Deal zu stimmen. Er sei zwar „dünn“ und hätte besser
ausfallen können, aber Nachverhandlungen werde es nicht geben. Es bestehe
nur eine Wahl zwischen diesem Deal und No-Deal – und Letzteres sei „keine
Option“.
Schottlands Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon, Parteichefin der
schottischen Nationalpartei SNP, und Ian Blackford, der SNP-Fraktionschef
im britischen Parlament, schimpften jedoch über die Ausklammerung von
Kartoffelsamen aus der Drittstaatenanerkennung. Es bedeute, dass Schottland
unabhängig und Mitglied der EU werden müsste, sagte Blackford. Sturgeon
bezeichnete das Ende der britischen Beteiligung am Erasmusprogramm für
Studenten als „kulturellen Vandalismus“.
Auch EU-Verhandlungsführer Michel Barnier bedauerte, dass Großbritannien
„auf eigenen Wunsch“ nicht mehr an Erasmus teilnehme. Am
Horizon-Kooperationsprogramm für die Forschung bleibt die britische
Beteiligung erhalten.
## Ratifizierung und „fader Beigeschmack“
Auf EU-Seite ist die Inkraftsetzung des Abkommens komplizierter. Eine
Ratifizierung durch das EU-Parlament ist dieses Jahr nicht mehr möglich –
die Deadline des Parlaments, einen Vertragstext übermittelt zu bekommen,
war am vergangenen Sonntag abgelaufen. Für kommenden Freitag wurde nun
erstmal ein Sondertreffen der EU-Botschafter in Brüssel einberufen. Es ist
das erste Mal, dass sie sich an einem Weihnachtstag treffen sollen. Doch
sie werden nicht etwa Geschenke auspacken, sondern das angeblich mitsamt
Zusatzprotokollen mehr als 2.000 Seiten dicke Abkommen in Empfang nehmen
und prüfen. Erst wenn alle 27 EU-Staaten den Text abgenickt haben, kann der
Deal vorläufig in Kraft treten.
Ab Januar ist dann das EU-Parlament an der Reihe. Großer Widerstand der
Parlamentarier ist jedoch nicht mehr zu erwarten. Nun, da das Ergebnis
steht, überwiegt die Erleichterung. Sein Präsident David Sassoli, und der
Chef der Brexit-Kontaktgruppe, David McAllister, gratulierten von der Leyen
und Johnson. „Im Europäischen Parlament werden wir den sehr umfangreichen
Text gründlich prüfen und bewerten, bevor wir im neuen Jahr über unsere
endgültige Zustimmung entscheiden“, fügte der CDU-Politiker McAllister
hinzu.
Wesentlich kühler reagierte der Chef des Handelsauschusses, Bernd Lange
(SPD). „Der Deal hat einen faden Beigeschmack, da die Art der Verhandlungen
keine Sternstunde für demokratische Beteiligung ist“, sagte er. „Kein
Zugang zu Verhandlungstexten für die Parlamente und Verhandlungen hinter
verschlossenen Türen – das ist nicht mehr zeitgemäß. Demokratische
Beteiligung sieht anders aus.“ Das Parlament werde das Abkommen im Januar
„genau und selbstbewusst prüfen“, so Lange. Mit einem Nein droht er aber
nicht. In Brüssel rechnet man daher nicht mehr mit größeren Problemen.
## „Der Krieg vorbei“
Skepsis in Großbritannien, ob Boris Johnson etwa einen „Ausverkauf“ des
Brexit betrieben hat, gibt es bei den Anhängern des Brexit-Populisten Nigel
Farage sowie den Brexit-Hardlinern auf dem rechten Flügel der regierenden
Konservativen zu erwarten. Aber noch halten sie sich zurück. Farage sagte,
das Abkommen sei „keineswegs perfekt“ – vor allem wegen der Konzessionen …
der Fischerei – aber es sei „auf alle Fälle ein Fortschritt“ und über d…
großen Dinge sei jetzt „der Krieg vorbei“.
Die rechten Tories, versammelt in der „European Research Group“ (ERG)
kündigten eine genaue juristische Überprüfung des Abkommenstextes an, um
sich ein eigenes Urteil über den Vertrag zu machen. Anders als in der
Amtszeit von Theresa May haben sie es aber nicht mehr in der Hand, einen
Vertrag im Parlament durchfallen zu lassen, um so weniger wenn sich Labour
hinter das Abkommen stellt. Weder Labour noch die Konservativen können es
sich leisten, die Wähler in den Brexit-Hochburgen im Norden Englands zu
vergraulen, deren Schwenk von Labour zu den Konservativen bei den Wahlen
2019 Boris Johnson eine hohe Mehrheit im Parlament beschert hatte.
Unabhängig vom Handelsvertrag bleibt das Brexit-Abkommen von 2019 in Kraft.
Es regelt insbesondere die Beibehaltung der bestehenden Rechte von Briten
in EU-Staaten und EU-Bürgern in Großbritannien sowie die Gewährleistung
einer offenen Grenze an der neuen EU-Außengrenze zwischen der Republik
Irland und Nordirland. Streitpunkte bei der praktischen Umsetzung der
Nordirland-Klauseln waren in den vergangenen Wochen parallel zu den
Hauptgesprächen ausgeräumt worden – aus Sicht beider Seiten ein gutes Omen
dafür, dass auch in Zukunft London und Brüssel ihre Differenzen pragmatisch
lösen können.
24 Dec 2020
## LINKS
[1] /Kritik-an-EU-Kommissionschefin/!5720575
[2] https://twitter.com/BorisJohnson/status/1342123159181516802?s=20
[3] /Schwerpunkt-Brexit/!t5313864
[4] /Brexit-Verhandlungen-mit-der-EU/!5735921
[5] /Streit-zwischen-Grossbritannien-und-EU/!5720280
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
Eric Bonse
Dominic Johnson
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