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# taz.de -- Was Briten nach dem Brexit blüht: „Bleiben faktisch im Binnenmar…
> Die Briten haben wichtige Ziele erreicht. Dennoch wird ihr Finanzsektor
> um 30 Prozent schrumpfen, erwartet die Ökonomin Dorothea Schäfer.
Bild: Lkw-Schlangen in Dover – und doch sind die Aussichten für die Briten s…
taz: Frau Schäfer, sind Sie überrascht, dass es einen [1][Handelsvertrag
zwischen der EU und Großbritannien] gibt?
Dorothea Schäfer: Ja. Ich hatte mit einem „No Deal“ gerechnet. Der Schwenk
von Premier Johnson dürfte damit zu erklären sein, dass es LKW-Staus vor
Dover gab, weil die Franzosen wegen der neuen Covid-Variante ihre Grenze
geschlossen hatten. Bei einem harten Brexit wären die Staus noch länger
gewesen.
Die Briten sagen, sie hätten sich in 43 Prozent der Streitfragen
durchgesetzt, die EU nur in 17 Prozent. Stimmt das?
Die Briten haben tatsächlich wichtige Ziele erreicht. Sie können faktisch
im Binnenmarkt bleiben, müssen dafür aber nichts mehr zahlen. Sie sparen
jährlich etwa 6,8 Milliarden Euro netto.
Gibt es keine Nachteile für die Briten?
Ein Problem wird sein, dass sie die Zollunion verlassen. Der neue
Handelsvertrag legt zwar fest, dass es keine Zölle gibt – trotzdem sind
Zollformulare nötig. Das ist viel Bürokratie für die britischen Exporteure.
Die Schweiz ist auch nicht in der Zollunion und lebt prächtig damit.
Aber die Schweiz übernimmt alle wichtigen Regeln der EU – was die
Bürokratie extrem reduziert. Die Briten hingegen bestehen darauf, künftig
eigene Gesetze zu erlassen.
Die EU hatte panische Angst, die Briten könnten Dumping betreiben, um
Wettbewerbsvorteile zu erschleichen. Ist diese Gefahr gebannt?
Ich glaube nicht, dass es zu echtem Dumping kommt. Da aber die Briten von
den EU-Regeln abweichen wollen, wird es permanentes Gefeilsche geben, was
den vereinbarten Standards entspricht – und was nicht. Man wird ständig
neue Kommissionen brauchen, das wird eine unglaubliche Bürokratie.
Ein wichtiges Streitthema waren [2][die Fischereirechte]. Der Kompromiss
gilt 5 ½ Jahre. Was passiert danach?
Die Briten sind erpressbar: 80 Prozent ihres Fischfangs exportieren sie in
die EU. Die Europäer können also immer mit Zöllen und Quoten drohen, falls
ihre Fangflotten künftig gar keinen Zugang zu den britischen Gewässers
bekommen sollten.
Der neue Vertrag deckt nur den Handel mit Waren ab. Dienstleistungen sind
nicht erfasst. Was bedeutet das für den Finanzplatz London?
Viele britische Banken haben bereits Tochterfirmen in der EU gegründet. Sie
haben Vermögenswerte verlagert – und auch einen Teil ihrer Beschäftigten.
Denn die EZB hat klargestellt, dass es nicht reicht, nur „Hüllen“ auf dem
Kontinent zu etablieren.
Aber in London schrumpft die Finanzbranche bisher fast gar nicht.
Dies liegt an den Übergangsfristen. Die EU hat zugestimmt, dass das
Derivate-Clearing, also die Abwicklung von Wettgeschäften, bis Mitte 2022
in London bleiben kann. Aber langfristig dürfte der britische Finanzsektor
um 30 Prozent schrumpfen. Es wird schwierig für die Briten.
Bisher haben die Briten ihre Importe zum Teil finanziert, indem sie die
Finanzdienstleistungen ihrer Banken exportiert haben. Was wird aus diesem
Geschäftsmodell?
Die Briten werden importieren wie bisher. Da aber die Exporte fehlen,
werden sie sich stärker im Ausland verschulden. Das ist mühelos möglich,
denn das Pfund ist eine anerkannte Währung. Allerdings könnte der Wert des
Pfundes sinken.
Brexit-Fans argumentieren, dass dann die britischen Exporte steigen.
Es stimmt, dass die britischen Waren auf dem Weltmarkt billiger werden,
wenn das Pfund fällt. Aber die Briten haben wenig, was sie exportieren
könnten. Der Anteil der Industrie liegt bei 13 Prozent der
Wirtschaftsleistung. Ein fallendes Pfund würde vor allem Inflation
bedeuten, weil Importe teurer werden.
Verarmen die Briten?
Nein. Aber ihr Wachstum wird schwächer ausfallen, als wenn sie in der EU
geblieben wären.
27 Dec 2020
## LINKS
[1] /EU-und-Grossbritannien-einig-bei-Brexit/!5740495
[2] /Streit-zwischen-Grossbritannien-und-EU/!5720280
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
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