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# taz.de -- Lokalwahl in Bosnien-Herzegowina: Probe für das Miteinander in Mos…
> Jahrelang haben nationalistische Parteien die Spaltung der Stadt zwischen
> Kroaten und Bosniaken für sich genutzt. Nach 12 Jahren finden Wahlen
> statt.
Bild: Die Brücke in Mostar wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut, doch die Bev…
Mostar taz | Für alle Bewohner um die 30 Jahre oder jünger, wird es das
erste Mal sein, dass sie an diesem Sonntag bei einer Lokalwahl in Mostar
abstimmen können. Sie haben nun das Recht, Einfluss auf den Gang der Dinge
in der Hauptstadt der Region Herzegowina zu nehmen. Der Weg zu den ersten
Wahlen seit 12 Jahren wurde durch eine Einigung zwischen der führenden
Partei der bosnischen Kroaten, der HDZ BiH, und jener der Bosniaken, SDA,
im Juni gebahnt.
Viele werden vom Ausland aus abstimmen, denn allein im letzten Jahr sollen
70.000 junge, gut ausgebildete Menschen aus Bosnien und Herzegowina in die
Europäische Union abgewandert sein. Viele von ihnen kommen aus Mostar.
Die Frustration über die politischen Verhältnisse in der zwischen Kroaten
und Bosniaken geteilten Stadt spielen dabei sicherlich eine Rolle. Der
Krieg 1993 hat die Stadt zerstört: Die Angriffe kroatischer Truppen und
ihrer Artillerie konnte kaum ein Haus im Ostteil der Stadt überstehen, im
Westteil wurde eine brutale ethnische Säuberung durchgeführt, bei der alle
Nichtkroaten vertrieben wurden.
Zwar wurde die in dieser Zeit zerstörte Brücke „Stari Most“ wieder
restauriert, doch sie hat ihren Geist, den osmanisch und damit bosniakisch
geprägten Osten mit dem jetzt vor allem katholisch geprägten Westen zu
verbinden, verloren. Im Osten herrschte bisher die bosniakische
Nationalpartei SDA, im Westen die kroatische Nationalistenpartei HDZ.
## Getrennte Müllabfuhr, getrennte Fußballvereine
Diese Parteien wachen über „ihren“ Stadtteil. Die nach dem Krieg mit
EU-Geldern wieder aufgebaute Infrastruktur ist zweigeteilt: das
Elektrizitätssystem, die Wasserversorgung, das Gesundheitssystem, die
Müllabfuhr, das Schulsystem. Auch gibt es zwei Universitäten, und zwei
Fußballvereine.
Hinzu kommt, dass die Katholiken jederzeit einen kroatischen Pass erhalten
können und damit frei in der EU Arbeit aufnehmen können. Die Bosniaken
haben es mit dem bosnischen Pass schwerer. Beide Parteien regierten lange
ohne die Durchführung von Wahlen, es entstanden korrupte Klientelsysteme.
Das wollen viele Menschen in Mostar ändern. Vor allem im bosniakischen
Ostteil der Stadt ist so wie auch in der Hauptstadt Sarajevo und im
nordöstlichen Tuzla eine nichtnationalistische, bürgerliche und
proeuropäische Kultur entstanden, junge Politiker haben Parteien gegründet.
Überall in Mostar hängen die [1][Wahlplakate mit dem Bild von Irma
Baralija], die vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg die Lokalwahl
erst möglich gemacht hat.
Die [2][Herrschaft der SDA-Partei ist angekratzt], das Bündnis aus
Sozialdemokraten und Nasa Stranka (Unsere Partei) ist nicht
nationalistisch, auch andere Kleinparteien streben einen grundsätzlichen
Wandel an – einen Wandel auch in ganz praktischen Dingen, etwa wenn wieder
einmal der Strom ausfällt, oder die Stadt im Müll versinkt. Auch in der
Coronakrise konnte man sich auf kein einheitliches Vorgehen einigen.
## Nationalist stützt Nationalist
Im Westteil haben die kroatischen Nationalisten die Macht, eine
nennenswerte Opposition gibt es nicht. Der Führer der HDZ [3][Dragan Čović]
wird von Kroatien massiv unterstützt, kroatische Politiker verhalten sich
so, als seien die Kroatengebiete in Mostar und der Westherzegowina Teil
Kroatiens. Čović hat sich zudem mit dem [4][serbischen Nationalistenführer
Milorad Dodik] verbündet. Beide fürchten den Aufstieg
nichtnationalistischer Kräfte in Bosnien und Herzegowina – das bedroht ihre
Herrschaft.
Weil vor allem viele junge Kroaten die Stadt verlassen haben, fürchtet
Čović um die bisherige Mehrheit der Kroaten. Und: selbst in Westmostar kann
er sich der Stimmen der jungen Leute nicht absolut sicher sein.
Deshalb fuhr Dodik kürzlich nach Mostar, um die Serben der Stadt, vor dem
Krieg 20 Prozent der Bevölkerung, davon zu überzeugen, die kroatische HDZ
zu wählen. Ob dieses Manöver gelingt, ist allerdings fraglich. Denn jene
Serben, die in die Stadt zurückgekehrt sind, fürchten den kroatischen
Nationalismus und haben sich im bosniakischen Ostteil niedergelassen.
Auch der Repräsentant der EU Johann Sattler ist nicht mehr unumstritten.
Denn unter seiner Vermittlung zwischen den Nationalparteien im
Hinterzimmer, kam in Mostar ein Wahlgesetz zustande, das die
Nationalparteien nach wie vor stützt. Nur 13 der 35 Abgeordneten des
Stadtrates werden über das Verhältniswahlrecht gewählt, die anderen über
sechs Wahlbezirke.
Trotzdem scheint die bisherige internationale Unterstützung für die
Nationalisten zu bröckeln. Der [5][Hohe Repräsentant der internationalen
Gemeinschaft, Valentin Inzko,] hat schärfere Maßnahmen gegen die korrupten
Führungen der Nationalisten aller Seiten angedroht.
20 Dec 2020
## LINKS
[1] /Kommunalwahlen-in-Herzegowina/!5733896
[2] /Lokalwahlen-in-Bosnien-und-Herzegowina/!5725334
[3] /Nationalismus-in-Bosnien-Herzogowina/!5666891
[4] /Nationalismus-in-Bosnien-Herzogowina/!5666891
[5] /Diplomat-ueber-Bosnien-und-Herzegowina/!5730478
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Kommunalwahl
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Abkommen von Dayton
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