# taz.de -- Diplomat über Bosnien und Herzegowina: „Vielleicht die letzte Ch… | |
> Immer mehr Menschen verlassen Bosnien und Herzegowina. Die internationale | |
> Gemeinschaft muss handeln, fordert Valentin Inzko von der UNO. | |
Bild: Gedenkstätte in Potočari: Immer wieder wird der Genozid von Srebrenica … | |
taz: Herr Inzko, das serbische Mitglied im Staatspräsidium Bosnien und | |
Herzegowinas, der [1][serbische Nationalist Milorad Dodik], hat Sie | |
kürzlich vor dem Weltsicherheitsrat als Monster bezeichnet. | |
Valentin Inzko: Ja, das ist nicht das Einzige, er hat mich auch als | |
Viehhändler, Prostituierter und Krimineller bezeichnet. | |
Alle Mitglieder des Weltsicherheitsrats außer Russland haben sich von Dodik | |
distanziert. Hat er auf Ihre Ankündigung reagiert, gegen die Glorifizierung | |
von [2][Kriegsverbrechen] vorzugehen? | |
Ich habe am 11. Juli, dem [3][25. Jahrestag des Genozids von Srebrenica], | |
vor dem Weltsicherheitsrat auf das Problem hingewiesen. Jetzt habe ich den | |
Ton verschärft. Ich habe Dodik eine Frist gegeben, die am Studentenwohnheim | |
von Pale angebrachte Tafel zu Ehren des vom UN-Tribunal in Den Haag | |
verurteilten Kriegsverbrechers Radovan Karadžić bis 11. Mai 2021 abzunehmen | |
(Anm. d. Red.: Die Tafel wurde am 11. Dezember [4][entfernt]). Auch die | |
Führer der kroatischen Westherzegowina ehren ihre Kriegsverbrecher. So gab | |
es ein Konzert für die sechs 2017 vom Den Haager UN-Tribunal verurteilten | |
bosnisch-kroatischen Kriegsverbrecher sowie Dankesgottesdienste und | |
Gedenkstunden. Mich freut, dass der deutsche Außenminister Heiko Maas am | |
28. Oktober in einer sehr guten Rede erklärt hat, dass Länder und | |
Politiker, die Kriegsverbrechen verherrlichten, keinen Platz in der EU | |
hätten. Diese Aussage unterstützt mein Anliegen. Dodik hat sich mit seinen | |
Aussagen vor dem Weltsicherheitsrat ins eigene Bein geschossen. | |
Reicht Ihre Forderung, um die Politik der Nationalisten zu ändern? | |
Es gibt ja weiterreichende Beschlüsse, um gegen die Verletzung des | |
[5][Dayton-Abkommens] vorzugehen, einige dieser Maßnahmen sind noch in | |
Kraft, andere laufen 2020 aus. Ich werde alles unternehmen, damit diese | |
Beschlüsse jetzt wieder aktiviert und als Grundsatzbeschluss vom Rat der | |
Außenminister der EU erneuert werden. Die internationale Gemeinschaft hätte | |
schon längst schärfer vorgehen sollen. Seit Jahren hat man nur von der | |
Verantwortung der lokalen Politiker gesprochen. Man hoffte, die würden | |
selbst eine für das Land positive Politik betreiben. Dieses sogenannte | |
Ownership-Prinzip war nicht erfolgreich. Wenn man die Geschichte der | |
internationalen Präsenz in Bosnien und Herzegowina und des Office of High | |
Representative ansieht, so gab es bisher zwei Phasen. Es gab die robuste | |
Phase, die nach Dayton 12 Jahre andauerte und in der wir Wunder vollbracht | |
haben: Eine gemeinsame Grenzpolizei, sechs zusätzliche Ministerien auf | |
gesamtbosnischer Ebene, ein gemeinsames Verteidigungsministerium, aus drei | |
Armeen wurde eine, die bosnische Währung, die Konvertible Mark, wurde | |
stabil. Ich sage, wir müssen nächstes Jahr in eine dritte Phase eintreten, | |
wir müssen einige Elemente der ersten Phase wieder anwenden. Sonst werden | |
wir noch mal 15 Jahre verlieren. | |
Was muss getan werden? | |
Es gibt zwei Schlüsselelemente: Die Deblockade der Institutionen und eine | |
Reform des Justizsystems. Bosnien muss aufgrund des Rechts existieren. Wenn | |
einige Politiker im Gefängnis sitzen, dann werden die Leute das Gefühl | |
haben, es gibt einen Rechtsstaat und es lohnt sich zu bleiben. 500.000 oder | |
mehr Leute sind schon weg. Man muss jetzt handeln. | |
Und das zweite Element? | |
Wir haben noch die Eufor, das europäische Militär. Wir wollen nicht | |
aufgeben, Bosnien und Herzegowina zu einem normalen Staat zu machen. Das | |
PIC hat am letzten Mittwoch bekräftigt, dass es keine Grenzveränderung, wie | |
sie Dodik androht, geben darf. Der Dayton-Vertrag garantiert die Grenzen, | |
wie sie sind. | |
Die nationalistischen Parteien und auch manche Politiker in der EU fordern | |
die Auflösung des Büros des Hohen Repräsentanten (OHR). | |
In Österreich und in Deutschland war die Präsenz der Alliierten nach 1945 | |
in vielen Aspekten durchaus positiv. Man muss also nicht verzweifeln, wenn | |
es das OHR auch noch ein paar Jahre gibt. Ziel muss sein, ein | |
prosperierendes und rechtsstaatliches Bosnien und Herzegowina zu formen. | |
Hinzu kommen einige ermutigende Zeichen. [6][Bei den Kommunalwahlen] haben | |
vor allem in den großen Städten Oppositionskräfte gewonnen. Und in den USA | |
ist mit Joe Biden ein Präsident gewählt worden, der die Region genau kennt. | |
Er wird erfahrene Diplomaten schicken, die gemeinsam mit der EU und dem OHR | |
einiges erreichen könnten. Das ist vielleicht die letzte Chance für Bosnien | |
und Herzegowina, zu einem normalen Staat entwickelt zu werden. | |
11 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Nationalismus-in-Bosnien-Herzogowina/!5666891 | |
[2] /25-Jahrestag-des-Massakers-in-Srebrenica/!5694151 | |
[3] /25-Jahre-nach-dem-Genozid-von-Srebrenica/!5694371 | |
[4] https://balkaninsight.com/2020/12/10/tribute-to-radovan-karadzic-removed-af… | |
[5] /25-Jahre-Abkommen-von-Dayton/!5725704 | |
[6] /Lokalwahlen-in-Bosnien-und-Herzegowina/!5725334 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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