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# taz.de -- Nanopartikel in Lebensmitteln: Unter Verdacht
> Zahlreichen Lebensmitteln wird der Nanostoff Titandioxid beigemengt. Doch
> zunehmend gibt es Hinweise auf gesundheitsschädliche Folgen.
Bild: Auch in Eiscreme ist oftmals der Weißmacher Titandioxid enthalten
München taz | Es steckt in Süßwaren, Eiscreme, Kaugummis oder
Glitzer-Backzutaten. Aber auch Käse, Soßen, Aufstriche sowie Zahnpasta und
Nahrungsergänzungsmittel können den [1][Zusatzstoff E171, Titandioxid,]
enthalten. Das Pulver färbt Lebensmittel weiß und dient als eine Art
Sonnenschutzmittel in Verpackungen. Titandioxid (TiO2) ist ein
mineralischer Stoff, der aus Eisenerz gewonnen wird. Es werden jährlich
etwa 5 Millionen Tonnen davon weltweit hergestellt. Titandioxid gilt als
der am häufigsten verwendete Weißmacher.
In Titandioxid liegen bis zu 30 Prozent der Körnchen als Nanopartikel vor.
Das sind Teilchen, die auf weniger als 100 Nanometer (1 nm = 10–9 Meter) im
Durchmesser kommen. Sie sind damit etwa so groß wie Viren. Zwar wird seit
Jahren über die möglichen Risiken von Nanopartikeln in Lebensmitteln
diskutiert. Um den Weißmacher gibt es jedoch derzeit besonders heftige
Diskussionen auf EU-Ebene, da sich Studien mehren, die E171 schädliche
Wirkungen nachsagen.
So belegte etwa eine französische Studie im Jahr 2017, dass Ratten bei
einer Dosis, die Verbraucher durchschnittlich über Lebensmittel aufnehmen,
in 40 Prozent der Fälle an Entzündungen im Darm litten und auch teilweise
Tumore entwickelten. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit
(EFSA) schätzt, dass jeder EU-Bürger täglich 1,28 Milligramm Titandioxid
pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nimmt.
Eine Schweizer Studie fand im selben Jahr heraus, dass auch bei Mäusen
Titandioxid-Partikel Entzündungsgeschehen im Verdauungstrakt verstärken und
über eine gestörte Darmbarriere ins Blut gelangen, wo sie zur Milz wandern
und dort abgelagert werden. Zwar sind beide Versuche nur Tierstudien und
nicht so einfach auf den Menschen übertragbar. Dennoch raten etwa die
schweizer Forscher Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus
Crohn oder Colitis ulcerosa von den Zusatzstoffen ab.
Bis dato ist TiO2 ohne Höchstmengenbeschränkung für Lebensmittel
zugelassen, da es nicht genügend Daten bezüglich potenzieller Risiken gibt.
Es sollte jedoch nur so viel Weißmacher wie nötig in den Produkten stecken,
so lautet die gesetzliche Vorgabe an die Lebensmittelhersteller.
## Gutachten der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA
Frankreich hat aufgrund der neuen Studien von seiner Lebensmittelbehörde
ANSES in einer Analyse alle wissenschaftlichen Daten zusammengeführt. Ihrer
Meinung nach sollte Titandioxid als Stoff [2][mit vermutlich
krebserregender Wirkung eingestuft] werden. Das Land hat darum im
Alleingang für 2020 den Einsatz von Titandioxid gemäß dem Vorsorgeprinzip
untersagt. Im Frühjahr 2021 will sich die europäische Lebensmittelbehörde
EFSA in einem neuen Gutachten äußern. Denn auch das EU-Parlament möchte von
der Kommission, dass der Fall Titandioxid neu aufgerollt wird und es eine
einheitliche Lösung für alle EU-Länder gibt.
Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) werden derzeit noch Daten
zur Reproduktionstoxizität geprüft, das heißt, wie sich der Zusatzstoff auf
die Fortpflanzungsfähigkeit auswirkt und ob er den Nachwuchs im Mutterleib
schädigen kann. Theoretisch geht man davon aus, dass die kleinen Partikel
stärker toxisch sind, da sie bevorzugt biologische Barrieren wie die
Darmwand, die Plazenta oder auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Bislang
fehlen aber Daten, auch weil Testsysteme nicht einheitlich sind. Das BfR
stuft TiO2 darum weiterhin als unbedenklich ein.
Bereits seit Ende der 1990er Jahre werden Nanozusätze ins Essen gemischt.
Seit der Lebensmittelinformations-Verordnung von 2014 müssen
Hersteller diese mit „nano“ kennzeichnen. Dennoch trägt laut
Verbraucherzentrale derzeit kein Lebensmittel diesen Zusatz. Denn:
Zusatzstoffe wie Calciumsilicat (E 552), Talkum (E 553b) oder
Siliziumdioxid (E 551) können zwar wie Titandioxid Nano-Anteile haben,
diese sind jedoch meist zu gering, als dass sie unter die
Kennzeichnungspflicht fallen. Einige Bioverbände wie Demeter oder Naturland
untersagen die Verwendung von Nanozusätzen ganz.
Allerdings wären amtliche Überwachungsbehörden kaum in der Lage,
Nanopartikel nachzuweisen. Bislang fehlen nämlich die Analysemethoden,
Lebensmittel sind hochkomplexe Gemische, in denen die Minipartikel kaum
aufzuspüren sind. Denn die Partikel können sich auch zu Agglomeraten
zusammenfügen, die dann mehr als 100 Nanometer messen.
## Alternativen gibt es
Der Verbraucher hat also derzeit keine Wahl, die Lebensmittel zu meiden,
falls er dies möchte. Der BUND fordert darum, auf den Einsatz von
Nanopartikeln in Lebensmitteln zu verzichten, bis es eindeutige Fakten
gibt. So hätten Lebensmittelhersteller in Frankreich die Zusatzstoffe
problemlos durch andere ersetzt.
Das Risikopotenzial der Zwerge ist auch deswegen so schwer einzuschätzen,
da die Partikelgröße selber noch nichts über die Gefährlichkeit aussagt. So
kommen Nanopartikel auch in natürlichen Lebensmitteln, etwa als
Caseinmizellen in der Milch oder als Gerstenfragmente in Bier, vor. In
Fleisch findet sich Ferritin, das etwa 12 Nanometer misst. Kopfzerbrechen
bereitet den Risikoforschern auch, dass in jüngster Zeit
Plastikmikropartikel in Bier und Honig gefunden wurden. Wie sich diese im
menschlichen Körper verhalten, ist völlig unklar. Auch im menschlichen
Verdauungstrakt können sich durch Enzyme und Säuren Nanosubstanzen bilden.
Nanopartikel werden derzeit auch erforscht, um die Textur von Lebensmitteln
zu verbessern und damit Salz und Zucker einzusparen. Einige Hersteller
werben sogar damit, dass Nanostrukturen etwa in Vitamintabletten zu einer
besonders guten Bioverfügbarkeit beitragen. Laut BfR gibt es jedoch keine
Daten, die das belegen, vielmehr könnte die erhöhte Verfügbarkeit sogar
eine negative Wirkung zeitigen.
15 Jan 2021
## LINKS
[1] /Krebsverdacht-bei-Titandioxid/!5418006
[2] /Chemieindustrie-gegen-Klassifizierung/!5622999
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Lebensmittel
Gesundheit
EFSA
Schwerpunkt Frankreich
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Ernährung
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