| # taz.de -- Rechtsradikale Bewegungen und Eliten: Von rechts gegen oben und unt… | |
| > Rechtsextreme Bewegungen mobilisieren nicht nur gegen Marginalisierte. | |
| > Für ihre politische Erzählung geben sie sich auch als Kampftruppe gegen | |
| > Eliten. | |
| Bild: Rechstextreme bei der „Querdenker“-Demo vor dem Reichstag in Berlin a… | |
| Die rechtsradikalen Bewegungen unserer Zeit haben eines gemein: Sie | |
| verorten die zu bekämpfende Bedrohung einerseits in einem Feind, den sie | |
| als minderwertig definieren, andererseits in ihnen übergeordneten Kräften. | |
| Es ist der Kampf gegen ein „Oben“ machthungriger Eliten und gegen ein | |
| gefürchtetes und abgewertetes „Unten“. | |
| Als vergangene Woche [1][hunderte Trump-Unterstützer:innen das | |
| US-Kapitol stürmten], waren diese beiden Seiten Teil ihrer vier Jahre | |
| lang vom US-Präsidenten genährten Erzählung. Die | |
| Black-Lives-Matter-Demonstrant:innen, die Linken, die Migrant:innen | |
| sind das bedrohliche Unten. Das Oben, die Eliten, hingegen seien schuld an | |
| der „Zersetzung“ des Landes. Was ihnen vorgeworfen wird, bewegt sich in | |
| einer narrativen Mischung aus [2][Kinderblut trinkenden Monstern] und | |
| vermeintlichem Wahlbetrug. Wer diesen Ideologien folgt, dem erscheint es | |
| nur logisch, endlich gegen die Verbrechen der Eliten vorzugehen. | |
| Auch in Deutschland lässt sich beobachten, dass sich die Neue Rechte stets | |
| beiden von ihr definierten Bedrohungen für das „deutsche Volk“ zuwendet. | |
| Die Zweiteilung der Gefahr bietet ihr einen bedeutenden erzählerischen | |
| Vorteil: Sie lässt zu, dass sich extrem rechte Akteur:innen nicht nur zu | |
| Kämpfenden für „die Deutschen“ stilisieren, sondern darüber hinaus auch … | |
| den Ausgestoßenen der Gesellschaft und gar zur letzten Bastion westlicher | |
| Zivilisation. Letzteres manifestiert sich beispielsweise darin, dass | |
| Vertreter:innen der Neuen Rechten behaupten, ihre Forderungen nach | |
| Grenzschließung und Abschiebungen seien zum Wohle Aller – auch der | |
| Geflüchteten. | |
| Eine solche Darstellung mutet zunächst absurd an; schließlich ist die | |
| rassistische Hetze der extremen Rechten gegenüber all jenen, die sie als | |
| geflüchtet oder migrantisch definiert, sowohl online als auch in diversen | |
| Publikationen nachlesbar. Genau hier greift die Zweiteilung: Wo zur Gefahr | |
| von unten migrierende und flüchtende Menschen gemacht werden, würden auf | |
| der anderen Seite Eliten überhaupt erst gezielt dafür sorgen, dass Menschen | |
| aus dem globalen Süden ihre Heimat verlassen. | |
| Wer diese Eliten genau sind, wird oft nicht ausbuchstabiert. Es ist von | |
| Industrie- und Wirtschaftsmagnaten die Rede, Institutionen wie der UNO, der | |
| WHO oder auch Einzelpersonen, wobei hier häufig antisemitische Feindbilder | |
| bedient werden, wie etwa im Fall von US-Investor George Soros. Die so | |
| angestoßene Migration nach Norden sei gewollt, um das „deutsche Volk“ zu | |
| ersetzen und billige und anspruchslose Arbeitskräfte in Form von | |
| Migrant:innen zu garantieren. | |
| Solche Äußerungen sind Teil eines breiteren Narrativs der Selbstüberhöhung. | |
| Verweise auf die eigene Zivilisiertheit sind schon aus der Kolonialzeit | |
| bekannt. Die Erschaffung des modernen Rassismus ermöglichte es den | |
| Kolonisator:innen, Unterdrückung, Gewalt und Völkermord an den | |
| einheimischen Bevölkerungen durch die vermeintlich gute Tat der | |
| „Zivilisierung“ zu rechtfertigen. | |
| So schwärmte das österreichische [3][Aushängeschild der rechtsextremen | |
| Identitären Bewegung, Martin Sellner], 2017 von „Wartezonen“ an den | |
| europäischen Außengrenzen. Dort solle „moderater Wohlstand“ herrschen, | |
| Sport- und Freizeitmöglichkeiten geboten werden. Außerdem sollten | |
| Ausbildungsmöglichkeiten bestehen, damit die geflohenen Menschen zurück in | |
| ihren Heimatländern produktiv und zufrieden leben könnten. Wohlgemerkt: | |
| Auch diejenigen, die sogar in Sellners Vorstellung als politisch Verfolgte | |
| Asyl verdienten, sollten so lange in diesen „Wartezonen“ bleiben, bis die | |
| Konflikte in ihrer Heimat gelöst seien. Geflüchtete könnten im Westen nicht | |
| glücklich werden, da ihnen Anerkennung und Wohlstand verwehrt blieben. | |
| Damit schließt sich der Kreis. Die Akteur:innen versuchen sich als | |
| zivilisierte Menschenfreunde darzustellen und fordern gleichzeitig die | |
| Abwehr, Ausweisung oder Ausschließung aller Menschen, die nicht in ihr Bild | |
| von Deutschland oder Europa passen. | |
| Darüber hinaus fügt sich die Erzählung aber auch ein in die neurechte | |
| Kritik an all jenen, die sich nicht ihren Vorstellungen für das Volk | |
| anpassen. Allen voran stören hier neben Linken auch die Kinderlosen. Dass | |
| es zu wenige „deutsche“ Kinder gäbe, sei Grund dafür, dass | |
| bevölkerungssteuernde Eliten wie die UNO überhaupt eine Notwendigkeit darin | |
| sehen würden, Migration zu fördern. Die „Lohnsklaven“ müssten schließli… | |
| zahlreich für die Wirtschaft bereitstehen. | |
| ## Weiße, fixe Geschlechterrollen | |
| Auf den ersten Blick muten solche Äußerungen an wie eine Kritik | |
| kapitalistischer Verhältnisse oder auch mangelnder Sozialpolitik für | |
| Familien. Doch bei genauerer Lektüre einschlägiger Texte wird klar: Auch | |
| hier geht es ausschließlich um die rassistische Selbstüberhöhung. | |
| Weiß-deutsche Familien werden als wertvoller, als für das Volk gewollt | |
| dargestellt – als „zu wenig“ bei einem gleichzeitigen „Zuviel“ an | |
| denjenigen, die im neurechten Volksbild nichts zu suchen haben. Die | |
| traditionelle Kleinfamilie aus Vater, Mutter, Kindern hat dabei einen | |
| besonderen Stellenwert. Sie stellt dar, wie sich die Neue Rechte ihr Volk | |
| im Großen ausmalt: weiß, mit fixen Geschlechterrollen und nationalistischem | |
| Bewusstsein. Eben ganz anders als die vermeintlich geschichts- und | |
| traditionsvergessenen Globalisten, die die Welt als ihr Zuhause betrachten. | |
| So schreibt etwa ein Autor in Götz Kubitscheks Magazin Sezession: „Diese | |
| Kräfte handeln im Sinne und oft auch auf Veranlassung jener Teile der | |
| Wirtschaft und der Geldeliten, die sich von Massenzuwanderung nicht nur | |
| eine Senkung der Lohnkosten und ein Reservoir vergleichsweise | |
| anspruchslosen Humankapitals versprechen, sondern auch die Schwächung | |
| gewachsener Solidargemeinschaften.“ Genau darum geht es: | |
| Solidargemeinschaften. Doch die Solidarität gilt in dieser Erzählung am | |
| Ende doch nur der rassistisch definierten Gruppe. | |
| Leider hört die durchsichtige Geschichte damit nicht auf. Denn gerade mit | |
| dem Bild des „Gemäßigten“, des harmlosen Patrioten, drängt die Bewegung … | |
| Politik und Öffentlichkeit. Die Neue Rechte möchte nicht das Bild des | |
| Neonazis mit Springerstiefeln verkörpern, sondern vermitteln, eine gangbare | |
| Alternative zu sein. | |
| Diese Erzählung konnte sie durch die Verknüpfung des Bösen von oben und | |
| unten in den letzten Jahren ausbauen. Wo es um „das Unten“ geht, spielt | |
| etwa die AfD regelmäßig Guter-Bulle-böser-Bulle: Nach rassistischer Hetze | |
| folgt eine Rücknahme, ein „war doch alles nicht so gemeint“. Beispielsweise | |
| als sich ein Kreisverband im vergangenen Jahr rassistische Hetze über das | |
| neu gewählte „Nürnberger Christkind“ Benigna Munsi bei Facebook | |
| verbreitete, den Beitrag dann aber löschte und vorgab, solche Äußerungen | |
| entsprächen in Wahrheit nicht den Werten der Partei. | |
| Mit dem Kampf gegen „das Oben“, gegen „die Eliten“, hat die extreme Rec… | |
| nicht nur ihren Rassismus zu verschleiern versucht, sondern auch ein | |
| fruchtbares Dauerthema geschaffen. Galt die Elitenkritik lange eher als | |
| linke Spielart, hat die extreme Rechte den Kampf gegen „das Oben“ in ihrem | |
| Sinne weiterentwickelt. Die Eliten, die anfangs nötig waren, um als | |
| Verursacher der angeblichen Migrationssteuerung den Rassismus „nach unten“ | |
| zu übertünchen, erwiesen sich als ergiebiger Mobilisator von Gruppen auch | |
| außerhalb des rechten Spektrums. | |
| Aktuell wird dies nirgendwo so deutlich wie am Beispiel der | |
| Coronaleugner:innen und anderer Protestierender gegen die | |
| Coronamaßnahmen. Die extreme Rechte scheint zwar in ihrer Bewertung der | |
| Teilnehmenden und ihrer Ansinnen gespalten – so halten Teile der Szene die | |
| Demonstrationen für „machtlose Widerstandsgesten“. Andere Teile der | |
| extremen Rechten erkennen allerdings das weitere Mobilisierungspotenzial | |
| und loben die Rechtsoffenheit der Proteste: Nachdem die allgemeine | |
| Ablehnung jeder Obrigkeit etabliert wurde, kann sie nun in die richtigen | |
| Bahnen gelenkt werden. Schon bislang fiel auf, dass offene Neonazis bei den | |
| Protesten mitlaufen und sich kaum eine:r der Protestierenden daran stört. | |
| Wenn der Linken nun vorgeworfen wird, ihre Kritik an politischen und | |
| wirtschaftlichen Entscheidungsträger:innen aufgegeben und der Rechten | |
| damit das Feld überlassen zu haben, geht das an der Realität vorbei. Es gab | |
| und gibt stets dezidiert linke Kritik an den Verhältnissen, sei es, wo es | |
| aktuell um den Fachkräftemangel in der Pflege geht, oder auch bei | |
| migrationspolitischen Entscheidungen. Im Unterschied zu dieser Form der | |
| Kritik laufen die rechten Forderungen jedoch immer zu Lasten derer, die | |
| unsere Solidarität dringend brauchen. So versucht die extreme Rechte seit | |
| jeher, unsere Menschlichkeit zu zersetzen, und nutzt nun das Momentum der | |
| aktuellen Proteste, um für ihre rassistischen Visionen zu mobilisieren. Wir | |
| haben es selbst in der Hand, diese Ideologien dahin zu schicken, wo sie | |
| hingehören: in die gesellschaftliche Isolation. | |
| 18 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nadja Kutscher | |
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