# taz.de -- Serie „Years and Years“ bei ZDFneo: Die Lust am Untergang | |
> „Years and Years“ fantasiert über die nahe Zukunft. Einige Prognosen sind | |
> jetzt schon veraltet. Den Zeitgeist trifft sie trotzdem. | |
Bild: Die Schwestern Bethany (Lydia West, l.) und Ruby (Jade Alleyne) fürchten… | |
Wir schreiben das Jahr 2019: In Europa ist es das [1][wärmste seit Beginn | |
der Wetteraufzeichnung], erschütternde Ereignisse wie das | |
Christchurch-Attentat und grassierende Fake News sorgen ebenso für | |
Verunsicherung wie führende Politiker*innen, die ungünstige Fakten als | |
solche abzutun versuchen. Die britische Familie Lyons lebt in einer Welt, | |
in der der Klimawandel, Terror und populistische Entgleisungen die | |
Schlagzeilen bestimmen. | |
Auf Basis dieser ruhelosen Gemengelage entwirft „Years and Years“ eine | |
dystopische Zukunftsvision über die nächsten 15 Jahre. Da die Miniserie | |
selbstredend keinen [2][Pandemieausbruch für das Jahr 2020] – dafür aber | |
eine Wiederwahl Donald Trumps und den Tod von Bundeskanzlerin Merkel – | |
vorhersagt, ist sie vor der ersten deutschen TV-Ausstrahlung genau genommen | |
bereits überholt. Das heißt aber nicht, dass sie den Zeitgeist nicht | |
trifft. Tatsächlich gelingt das den sechs jeweils etwa einstündigen | |
Episoden hervorragend. Wenn auch manchmal eher unfreiwillig. | |
Alles beginnt mit der Geburt des kleinen Lincoln, Rosie Lyons’ (Ruth | |
Madeley) zweitem Sohn. Ihre Familie aus Manchester kommt im Krankenhaus | |
zusammen: Großmutter Muriel (Anne Reid), die als Matriarchin alles | |
zusammenhält; Bruder Stephen (Rory Kinnear), der als Finanzberater mit Frau | |
Celeste (T’Nia Miller) und seinen Töchtern Ruby (Jade Alleyne) und Bethany | |
(Lydia West) in London wohnt; Bruder Daniel (Russell Tovey), der als | |
Beamter bald eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete leitet. Schwester | |
Edith (Jessica Hynes) ist als Aktivistin in der Welt unterwegs. | |
Angstszenarien werden durchexerziert | |
Die familiäre Idylle wird von Vivianne Rook (Emma Thompson) getrübt: In | |
einem kontroversen Fernsehauftritt bezeichnet die Newcomer-Politikerin | |
Fragen zum Nahostkonflikt als „scheißegal“ und erntet so auch Zuspruch für | |
ihre vermeintlich authentische, „volksnahe“ Art. Dass ihr eine große | |
Karriere bevorsteht, lässt sich mit Basiskenntnissen des politischen | |
Weltgeschehens der letzten Jahre leicht vorhersagen. Doch obwohl an deren | |
Ende die Anfänge einer ethnischen Säuberung stehen, liegt auf ihr weder das | |
Hauptaugenmerk noch ist sie zentrale Antagonistin der Miniserie. Und darin | |
manifestiert sich bereits das wesentliche Problem von „Years and Years“. | |
Nach nur wenigen Minuten Spielzeit kommt es zum ersten großen Zeitsprung | |
ins Jahr 2024: In der Ukraine ist eine von Russland protegierte | |
Militärregierung an der Macht, die queere Menschen verfolgt und eine | |
Fluchtbewegung auslöst. Daniel verliebt sich in Viktor, der ebenfalls | |
geflohen ist, und verlässt dafür seinen Ehemann, den er vor nur wenigen | |
Serien-Augenblicken geheiratet hat. Außerdem outet sich Bethany als | |
„transhuman“, was bedeutet, dass sie lieber Schallwelle als fleischlicher | |
Körper wäre. Und schließlich startet US-Präsident Trump einen Atomangriff | |
auf Hong Sha Dao, eine künstliche Insel vor China. | |
Damit wird nicht nur bereits in der ersten Folge der Weltuntergang geprobt, | |
sondern auch eine so hohe Zahl an Angstszenarien durchexerziert, dass | |
jeglicher genauere Blick auf zwischenmenschliche Vorgänge außen vor bleiben | |
muss. | |
Autor Russell T Davies („Doctor Who“) ersinnt auch in den weiteren Folgen | |
einen wahren Sturzbach an Ideen möglicher technischer Erfindungen (wie | |
gasförmiger Sprachassistenten), politischer Szenarien (wie einer | |
kommunistischen Revolution in Spanien) und gesellschaftlicher Entwicklungen | |
(nahezu ausschließlich pessimistischer Natur). Viele davon klingen | |
spannend, einige sogar plausibel, doch ihre Wirkung können sie aufgrund | |
ihrer schieren Fülle nie ganz entfalten. | |
Die Konsequenzen für die Mitglieder der Familie Lyons reichen von | |
Jobverlust über Trennung bis zum Tod. Die Schicksale sind mannigfaltig, | |
bleiben aber bis auf wenige Ausnahmen schale Information – für Bindungen | |
ist das Erzähltempo einfach zu hoch. | |
Mit den sich überschlagenden Disruptionen, ihrer Atemlosigkeit, passt, mehr | |
noch als das Geschehen selbst, die Form von „Years and Years“ in den | |
Zeitgeist. Entgegen dem allgemeinen Trend seriellen Erzählens, Geschichten | |
unnötig in die Länge zu ziehen, hätte eine Entzerrung über mehrere Staffeln | |
hinweg hier wahrscheinlich gutgetan. | |
14 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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