| # taz.de -- Diskussionsreihe zum Untergang: Man muss schon auch Angst haben | |
| > Die Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten, das Ende unserer Zivilisation | |
| > ist nah, sagt die Kollapsologie. Im Brecht-Haus wird darüber diskutiert. | |
| Bild: Auf Katastrohenkurs: Das Filmmonster Godzilla in der 1998er-Variante | |
| Berlin taz | Um gleich in die richtige Stimmung zu kommen, darf gesungen | |
| werden: „Am dreißigsten Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr | |
| lang, wir leben nicht mehr lang …“ Ein Gassenhauer. Im Jahr 1954 war das | |
| mal ein Nummer-eins-Hit. | |
| Und der Clou des Liedes ist die Bekanntgabe des konkreten Datums des | |
| allgemeinen Zusammenbruchs, bei dem aber halt die entscheidende Zahl fehlt. | |
| Weswegen gleich fröhlich weitergesungen wird: „Doch keiner weiß in welchem | |
| Jahr, und das ist wunderbar. Wir sind vielleicht noch lange hier, und | |
| darauf trinken wir.“ Eben der Devise folgend: Immer nur so weitermachen, | |
| wie man es auch bisher gemacht hat. | |
| Eine Devise, mit der man mittlerweile allerdings die entscheidenden | |
| Schrittchen schneller beim Weltuntergang ist. | |
| Ein Thema der Zeit: „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ ist der Titel einer am | |
| Montag im Brecht-Haus startenden Gesprächsreihe, bei der es um | |
| Katastrophismus, das Kapitalozän und vor allem die Kollapsologie gehen | |
| soll. | |
| Kollapsologie ist das neue Ding im Denken und deswegen vielleicht als | |
| Begriff noch erklärungsbedürftig: Bei dieser ursprünglich aus Frankreich | |
| kommenden Denkrichtung geht man davon aus, dass der Zusammenbruch unserer | |
| industriellen Zivilisation gar nicht mehr abzuwenden ist. Er kommt. | |
| Unweigerlich. Und dass das wiederum auch ein sehr naheliegender Gedanke | |
| ist, dafür muss man nur mal eine Reihe von jüngeren taz-Titelseiten | |
| durchschauen. Einsteigen mag man dabei mit der Bedrohung durch den | |
| Klimawandel, in der nächsten taz-Ausgabe waren die verheerenden Brände in | |
| Griechenland und der Türkei Titelthema, tags darauf folgte der | |
| kastastrophale Bericht des Weltklimarates, und wieder einen Tag später | |
| durfte man fast aufatmen: Da ging es nämlich um den Streik bei der Bahn. | |
| Schon etwas, das einen ganz schön lähmen kann, das aber noch nicht wirklich | |
| eine Katastrophe ist. | |
| Der Zugriff der Bedrohlichkeiten in dieser Taktung, da kann man schon an | |
| diesen Refrain denken, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang | |
| … | |
| Aber letztlich ist der Weltuntergang auch ein alter Hit. | |
| Wenn man zum Beispiel kurz in den achtziger Jahren vorbeischauen mag mit | |
| den Themen des Jahrzehnts, bitte sehr: das Waldsterben und die Fratze der | |
| Atomenergie, Wackersdorf, Tschernobyl. Dazu noch der Wettstreit bei der | |
| atomaren Hochrüstung, all das machte die Achtziger schon zu einem | |
| Angstjahrzehnt. „No future“, raunte sich der Zeitgeist zu, und die Ratten | |
| konnten nur deswegen nicht mehr vom sinkenden Schiff, weil sie eben von den | |
| Punks damals gern festgebunden auf der Schulter spazieren getragen wurden. | |
| Ist aber nicht gesunken, das Schiff. Sogar der Wald hat sich zwischendurch | |
| mal erholt. | |
| Dass es mit der Welt, wie wir sie kennen, auch mal vorbei sein könnte, | |
| begleitet als Vorstellung und Schreckbild die Menschheit seit je. In der | |
| Bibel liest man den Bericht über die alles verschlingende Sintflut als | |
| Mahnung, im Katastrophenfilm gibt es die Endzeitstimmung sogar als | |
| Wiedervorlage, am beständigsten verkörpert von Godzilla, dem seit 1954 bis | |
| heute arbeitenden japanischen Filmmonster, das anfänglich auch | |
| Trauma-Arbeit war mit Blick auf die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. | |
| Bomben von einer Macht, die recht schnell per Knopfdruck den Menschen und | |
| ihrer Welt den Garaus machen können. | |
| Denn nur dass die Welt bis dato noch nicht – und sei es auch allein in | |
| Teilen (wie oft wurde nicht schon vom „Untergang des Abendlandes“ geraunt?) | |
| – untergegangen ist, ist keineswegs der Beweis dafür, dass es nicht | |
| passieren kann. Man sollte sich jedenfalls nicht unbedingt darauf | |
| verlassen. | |
| Und man kann schon auch versuchen, über einen möglichen Zusammenbruch | |
| hinaus- und weiterzudenken. Denn bei der Kollapsologie ist man zwar davon | |
| überzeugt, dass es eben zu dem Kollaps kommen wird, es geht den | |
| KollapsologInnen aber dazu um Szenarien, was unserer industriellen | |
| Zivilisation folgen könnte. Eine Suche nach dem Danach. | |
| Und das wird bestimmt auch im Brecht-Haus angesprochen werden, in dem zum | |
| Auftakt der Gesprächsreihe die Kollapsologie selbst das Thema ist. | |
| Zugeschaltet ist mit dem US-Autor Jonathan Franzen ein prominenter | |
| Vertreter der Meinung, dass die Klimakatastrophe gar nicht mehr aufzuhalten | |
| sei ([1][„Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“)]. | |
| Im weiteren Verlauf der Reihe versucht man den „Geist der Dystopie“, also | |
| die Erzählungen von gegen die Utopie gewendeten Schreckensorten, zu | |
| sondieren; die Herrschaft des kurzfristigen Profits wird mit dem Begriff | |
| Kapitalozän, das Zeitalter des Kapitals, hinterfragt, und zum Abschluss | |
| soll es auch noch um „Strategien der Anpassung“ gehen. | |
| Weil, so einfach den Weltuntergang hinnehmen und sich mit ihm | |
| hinunterspülen lassen, das will man dann doch nicht. | |
| 22 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Mauch | |
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