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# taz.de -- Fünf Jahre „Sturm auf Connewitz“: Schleppende Aufklärung
> Vor fünf Jahren griffen Neonazis den Stadtteil Leipzig-Connewitz an. Die
> Prozesse dazu verlaufen zäh, offene Fragen bleiben.
Bild: Am 11. Januar 2016 randalierten die Rechten in Connewitz – die Festnahm…
Leipzig taz | Der Abend des 11. Januar 2016 wird Leipzig-Connewitz noch
lange in Erinnerung bleiben. Im Schutz der Dunkelheit, bewaffnet mit Latten
und Eisenstangen, vermummt und schwarz gekleidet, ziehen mehr als 200
Neonazis durch den linksalternativen Stadtteil und zerschmettern Scheiben
von Bars, Geschäften und Imbissläden, demolieren Häuser, zünden Autos an.
Nach wenigen Minuten rückt die Polizei an und setzt 200 Tatverdächtige
fest. Zurück bleibt [1][ein Bild der Verwüstung]: Einige Verletzte, 113.000
Euro Sachschaden und ein Schock, der die Bewohner:innen des Viertels noch
lange begleiten wird. Es war der größte Neonazi-Angriff seit den
Neunzigern.
Fünf Jahre ist das nun her. Eigentlich eine lange Zeit für die
Strafverfolgung, wenn die Tatverdächtigen schon Minuten nach dem Angriff
festgesetzt und identifiziert wurden. Dennoch sind noch immer nicht alle
Täter verurteilt, die Prozesse laufen schleppend. Die bereits Verurteilten
kamen bislang mit relativ milden Strafen davon.
## 124 Beteiligte sind verurteilt, 66 Verfahren offen
Laut Evangelischem Pressedienst (epd) sind 124 Angeklagte wegen besonders
schweren Landfriedensbruchs [2][rechtskräftig verurteilt]. Die meisten
davon erhielten Bewährungsstrafen zwischen einem und eineinhalb Jahren.
Zuletzt wurde ein Mitorganisator verschiedener Rechtsrockkonzerte im
Oktober lediglich zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt. Für 66
mutmaßliche Angreifer gibt es dagegen bis heute keinen Prozesstermin. Ein
Gerichtssprecher sagte dem epd, jede Richterin und jeder Richter würden
selbst entscheiden, wann ein Verfahren eröffnet werde.
Für die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, die ihr Bürger:innenbüro
selbst in Connewitz hat, sind die Prozesse „inzwischen reine Makulatur“.
Die Verhandlungen seien „mit fragwürdigen Deals verkürzt“ worden, während
die Geschädigten noch immer auf Aufklärung warteten. So gebe es bis heute
keine Erkenntnisse über die Organisationsstruktur des Angriffs.
## Warum verhinderten die Behörden den Angriff nicht?
Offen ist auch, warum die Behörden den Angriff auf Connewitz nicht
verhindert hatten. Hinweise gab es genug: Mobilisierungen in Chatgruppen
und eine Lageeinschätzung des Verfassungsschutzes wiesen darauf hin, dass
für den Abend bundesweit Rechtsextreme anrückten. In dem Schreiben des
Verfassungsschutzes, welches das Leipziger Stadtmagazin kreuzer erstmals
veröffentlichte, heißt es: „Dies dürfte zu einer erheblichen Steigerung des
gewaltbereiten Personenpotenzials in Leipzig beitragen, bei dessen
unmittelbarem Aufeinandertreffen mit dem politischen Gegner – auch
gewaltsame – Ausschreitungen zu befürchten sind.“ Warum die Polizei dennoch
nichts von dem Angriff gewusst haben will, ist bis heute ungeklärt.
Dazu waren die festgesetzten Neonazis gut vernetzt: über inzwischen
verbotene Kameradschaften, die Kampfsport- und Hooliganszene bis hin zum
Umfeld der Rechtsterroristen der Bürgerwehr Freital. Auch der
Verfassungsschutz bestätigte die rechtsextremistischen Bezüge einiger
Angreifer. Ermittlungen in Richtung rechtsextremer Netzwerke sind in den
Prozessen bislang jedoch nicht bekannt geworden.
## Auch ein JVA-Beamter unter den Tätern
Stattdessen brachten diese andere Skandale ans Licht: Der
Justizvollzugsbeamte Kersten H. soll an dem Angriff auf Connewitz beteiligt
worden sein – und arbeitete dennoch noch drei Jahre in einer JVA. Hier
könnte er auch Kontakt zu Mittätern gehabt haben.
Außerdem wurde der [3][angehende Jurist Brian E.] verurteilt, der 2018
trotz des laufenden Verfahrens sein Referendariat am Landgericht Chemnitz
antreten konnte. Fotos zeigen E. mit einschlägigen Neonazi-Tattoos auf
einem Event der rechtsextremen Kampfsportszene. Ermittlungen dazu hat die
Staatsanwaltschaft jedoch Anfang 2020 eingestellt. Weder für Brian E., noch
für die über 200 weiteren Neonazis, die Connewitz am 11. Januar 2016
verwüsteten, haben die Prozesse somit bisher wirklich schwerwiegende
Konsequenzen gehabt.
Die Wunde im Stadtteil bleibt dafür tief. Für den kommenden Samstag planen
Aktivist:innen eine Theaterkundgebung. Benannt ist die Aktion nach den
Aussagen zahlreicher Angreifer vor Gericht, dass sie dem rechten Mob nur
hintergelaufen seien: „Die längste letzte Reihe der Welt.“
11 Jan 2021
## LINKS
[1] /Grossangriff-auf-einen-Stadtteil/!5265306
[2] /Prozesse-gegen-rechte-Hooligans/!5590164
[3] /Rechter-Sturm-auf-Connewitz/!5647156
## AUTOREN
Sarah Ulrich
## TAGS
Leipzig-Connewitz
Connewitz
Rechtsextremismus
Sachsen
Justiz
Lesestück Recherche und Reportage
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Schwerpunkt Stadtland
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