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# taz.de -- Berlin auf der Leinwand: Mehr als Netflix für Umme
> Bei Ava, dem Streamingdienst der öffentlichen Bibliotheken Berlins, gibt
> es sehenswerte Berlin-Dokumentationen und -Spielilme zu entdecken.
Bild: Herrliche Berlin-Komödie: „3 Zimmer, Küche, Bad“ (2012)
Klar, ohne Netflix geht es wahrscheinlich nicht mehr. Wegen all den Serien,
die es dort zu sehen gibt. Man will ja selbst nachprüfen können, was etwa
dran ist an dem (dann doch etwas unverständlichen) Hype um „Das
Damengambit“. Aber wegen den Filme, die der US-Streamingdienst im Angebot
hat, kann man sich das Abo eigentlich getrost sparen. Da gibt es kaum
etwas, was man nicht schon kennt und mehr ist als guter Hollywood-Standard.
In diesem Sinne ist das, was der Verbund der Öffentlichen Bibliotheken
Berlins (VÖBB) über seinen eigenen Streamingdienst Ava seit über einem Jahr
anbietet, weit mehr als bloß ein Netflix für Leute mit schmalem Geldbeutel,
sondern eine echte Fundgrube an guten Filmen, die man bei den großen
kommerziellen Portalen eher vergebens sucht.
Allein schon die Namen der Kategorien, unter denen man fündig werden kann,
machen mehr Spaß als nur die sonst üblichen Genre-Klassifikationen von
„Komödie“ bis „Action-Film“. Bei Sortierungen wie „Filme über Fraue…
sie Ava vornimmt, ist schnell das cineastische Interesse geweckt. Oder
welche Produktionen lassen sich unter „Zeitreisen“ finden?
Es wird auch schnell klar, dass nicht nur irgendwelche Filme mit ein wenig
Anspruch, wie es sich für öffentliche Bibliotheken gehört, in das Programm
aufgenommen werden, sondern dass geflissentlich kuratiert wird. Die Auswahl
ist so bunt, vielfältig und originell wie nur möglich. Natürlich sind die
meisten Filme etwas älter, aktuellere Arthouse-Erfolge werden von deren
Rechte-Inhabern wohl lieber erst noch über die kommerziellen
Streaming-Plattformen monetarisiert.
## Keine üblichen Berlin-Filme
Doch das ist letztlich gar kein Nachteil, im Gegenteil. So bekommt man bei
Ava die vielleicht vor acht Jahren in Cannes gezeigten Filme zu sehen, an
die man sich gar nicht mehr erinnern kann. Oder die man schon immer einmal
sehen wollte, auch wenn man das eigentlich bereits vergessen hatte.
Allein die Auswahl unter der Kategorie „Berlin auf der Leinwand“ zeigt,
warum Ava so gut funktioniert. Die üblichen Berlin-Film von „Ein Himmel
über Berlin“ bis „Oh Boy“ sucht man hier vergeblich. Dafür findet sich …
die Dokumentation „Violently Happy“ aus dem Jahr 2016 von Paola Calvo über
die Weddinger BDSM-Kommune Schwelle 7.
Diese gibt es inzwischen zwar nicht mehr, doch die Doku über Menschen, die
mit Sex, Hang zum Orgiastischen und Selbsttherapie nach einem
selbstbestimmteren Leben suchen, bleibt trotzdem eindrucksvoll. Nicht nur,
weil hier Sex in seinen unterschiedlichsten Facetten durchaus explizit
gezeigt wird, sondern auch Menschen in ihrer nicht nur wortwörtlich
physischen, sondern auch psychischen Verletztbarkeit portraitiert werden.
Oder diese Doku „Love, Peace and Beatbox“ von Volker Meyer-Dabisch: Diese
ist auch schon 13 Jahre alt, die Szene der Berliner Beatboxer ist schon
rein altersbedingt heute eine völlig andere. Und trotzdem folgt man den
Figuren, die hier gezeigt werden in einer Zeit, in der die Hip-Hop-Technik
des Beatboxings in Berlin erst so richtig populär wurde, gerne überall hin.
In ihre Proberäume beim Training für den nächsten Auftritt bei einer
Beatbox-Battle. Oder in den sommerlichen Park, wo man sich trifft, um
spontan miteinander zu rappen und dazu die Beats mit dem Mund geformt
werden.
## Echte Fundstücke
Und die ausgewählten Spielfilme, für die Berlin das Setting gibt, sind
ebenfalls echte Fundstücke. Etwa „Jack“ von Edward Berger von 2014. Die
Geschichte vom zehnjährigen Jack, der sich mit seinem kleinen Bruder durch
ein steril wirkendes, abweisendes Berlin schlägt, auf der Suche nach seiner
vom Leben überforderten, plötzlich verschwundenen Mutter, ist einfach
ergreifend. Warum taucht dieses wunderbare Werk nicht in den ganzen
Berlin-Film-Listen auf?
Genausowenig wie die feine Komödie „3 Zimmer, Küche, Bad“ von Dietrich
Brüggemann aus dem Jahr 2012, die beweist, dass lustig und deutscher Film
unter Umständen eben doch kein Widerspruch sein muss. Und die außerdem
belegt, dass man bei der Ava nicht bloß irgendeinen Bildungsauftrag
erfüllen, sondern einfach auch mal nur gut unterhalten möchte.
In dem Film wird andauernd umgezogen. Junge Menschen ziehen hierhin, weil
sie sich für ein bestimmtes Studium entschieden haben. Oder dorthin, weil
sie es nach all den Jahren in einer WG nun doch einmal gemeinsam mit dem
Partner versuchen möchten. Dann klappt es jedoch mit dem Studium nicht so
wie gewollt und mit der Beziehung auch nicht und schon muss wieder eine
Robbe bestellt werden. Brüggemanns Portrait einer Jugend, die sich ständig
neu orierntiert und sich auf nichts festlegen kann, ist einfach herrlich.
Und ein perfekter Berlin-Film.
12 Dec 2020
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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