# taz.de -- Wenn Politiker aussteigen: Nach der Legislatur | |
> Loslassen ist schwer. Wir haben vier Politiker:innen gesprochen, die den | |
> Bundestag verlassen werden. | |
Bild: Katja Suding verlässt die Bühne: Nach ihrer Rede beim Hamburger Landesp… | |
Die Wege in die Politik sind vermutlich genauso verschieden, wie die | |
Menschen, die sich dafür entscheiden. Und wer erstmal drin ist, kommt gar | |
nicht mehr so leicht wieder heraus. Politik, so heißt es immer wieder, kann | |
süchtig machen. Man kann sich darin verlieren, so wie im Bundestag mit all | |
seinen Gängen und Verbindungswegen, Räumen und Sälen. Einfach drin bleiben, | |
weitermachen, nicht loslassen können. Die Macht, die Anerkennung, die | |
Möglichkeiten. | |
Es gibt nur wenig Berufe, an die derart hohe Ansprüche gestellt werden. | |
Politiker:innen sollen die Bevölkerung vertreten. Entscheiden. Gesetze | |
machen. Das ist ihr Auftrag – so wie es über dem Haupteingang des | |
[1][Reichstagsgebäudes] in Bronzelettern steht: „Dem deutschen Volke“. Und | |
darüber die gläserne, begehbare Kuppel über dem Plenarsaal, die Einblick | |
gewährt in das Herz der Demokratie. Nur ist da auch eine Kluft zwischen | |
Volk und Volksvertreter:innen. Sie macht sich bemerkbar in alltäglichen | |
Formulierungen wie: die da oben. | |
Es gibt die Politiker:innen, die einmal in die Politik gehen und dort | |
bleiben bis zur Rente. Aber es gibt auch die, die früher gehen. Stefan | |
Liebich von der Linkspartei, Katja Suding, FDP, Daniela Kolbe, SPD, und | |
Peter Tauber, der CDU-Politiker, zum Beispiel. Die vier haben angekündigt, | |
am Ende dieser Legislaturperiode den Bundestag zu verlassen. Alle haben | |
Karriere gemacht, sind über ihre Parteien hinaus anerkannt. Aber nun hören | |
sie in einem Alter auf, mit Anfang bis Ende vierzig, in dem andere | |
durchstarten. Was bedeutet es, wenn Politiker:innen der Politik den Rücken | |
kehren? Ist es Ermüdung, Ohnmacht, Politikverdrossenheit? Oder muss Politik | |
einfach keine Liaison für die Ewigkeit sein? | |
„Es war eine schöne Zeit, aber irgendwann ist es zu Ende“ sagt [2][Katja | |
Suding], 45, stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP. Es ist kein | |
Bedauern in der Stimme. „Ich empfinde es schon als eine große Ehre. Das ist | |
nicht irgendein Job.“ | |
Politik kann mit hehren Idealen beginnen, Leidenschaft, | |
Karrierebesessenheit. Doch der Politbetrieb hat seinen eigenen Takt: | |
Pendeln, Sitzungswochen, Aktenberge, Abstimmungen, Händeschütteln, | |
Blitzlichtgewitter – und auch die Einsamkeit in Berlin. | |
Linkenpolitiker [3][Stefan Liebich], 48, blickt auf 25 Jahre Politik | |
zurück, seit 11 Jahren sitzt er im Bundestag. „Wenn Leute fragen, warum ich | |
aufhöre, werde ich häufig gefragt, ob es mir gutgeht. Ist doch traurig. | |
Dass man nicht einfach so aufhören kann“ sagt er. Es gebe Leute, die krank | |
und kaputt aus dem Bundestag ausscheiden. Zu denen wolle er nicht gehören. | |
„Die Leute haben keine Ahnung, wie viele Zwänge es gibt in der Politik. | |
Politiker sind durch Prozesse, Ereignisse und Abläufe teilweise | |
fremdbestimmt. Man ist nicht allmächtig, sondern bisweilen ohnmächtig“ sagt | |
[4][Peter Tauber, Ex-CDU-Generalsekretär und Staatssekretär im | |
Verteidigungsministerium]. „Zu sagen, hier ist Schluss, ich höre auf, mir | |
kann keiner reinreden, das hat für mich einen Reiz.“ | |
„Das Amt verändert den Menschen schneller als der Mensch das Amt“ hat | |
Joschka Fischer einmal gesagt. Wer Berufspolitiker:in wird, läuft auch | |
immer Gefahr, dass Politik zum Selbstzweck wird. Machterhalt gegen die | |
Angst des eigenen Bedeutungsverlusts. | |
Für die Sozialdemokratin [5][Daniela Kolbe], 40, war Politik von Anfang an | |
eine Aufgabe auf Zeit. Zwölf Jahre sind ihr genug. Sie wollte nie „abhängig | |
werden von dem Mandat“. Aber leicht fällt ihr der Abschied nicht: „Der | |
Bundestag wird mir unglaublich fehlen.“ | |
Im Dezember 2020 steht Stefan Liebich da, wo alles begann, im alten | |
Dorfkern des Ostberliner Bezirks Marzahn, umragt von 11-Geschossern aus | |
Beton. Hier ist er in den 80ern aufgewachsen. 1990, an seinem 18. | |
Geburtstag, wurde er PDS-Mitglied – entgegen der Warnungen der Familie. | |
PDS, das war die Nachfolgepartei der SED und die Vorläuferpartei der | |
Linken. Als 13-Jähriger wurde Liebich vom Ministerium für Staatssicherheit | |
angesprochen, er sollte doch über Mitschüler berichten. Liebich machte das, | |
fand aber nichts in seiner Umgebung erwähnenswert. „Ich fühlte mich geehrt. | |
Ich fand die DDR gut und kannte niemanden, der in der Opposition war“ | |
erzählt er. Es war ein langer Prozess, das zu verarbeiten. | |
Liebich geht mit dem Thema offen um. In der Linken gehört er heute zum | |
Flügel der Reformer, die das Und der Parteilosung „Freiheit und | |
Sozialismus“ betonen. 1995 war Liebich für die PDS erstmals ins Berliner | |
Abgeordnetenhaus eingezogen, Anfang der 2000er war er das Gesicht der | |
Berliner PDS. Mit nicht einmal 30 Jahren schmiedete er die zweite | |
Regierungskoalition mit der SPD im vereinten Deutschland. Er machte die | |
verpönten SED-Nachfolger zum respektablen Partner in einer Landesregierung. | |
Später, als außenpolitischer Sprecher, hielt er die Gegenrede, [6][wenn | |
ganz linke Genoss:innen zur Solidarität mit Russland aufriefen]. | |
Liebich ging in die Politik, weil er schon im Kindergarten der Bestimmer | |
sein wollte, erzählt er. Und wenn Schulklassen zu ihm in den Bundestag | |
kommen, sagt er: „Diejenigen von euch, die gern Klassensprecher werden | |
wollen, die könnten auch Lust auf Politik haben.“ Vermutlich würde ihm der | |
Soziologe Max Weber da zustimmen, der 1919 die Schrift „Politik als Beruf“ | |
veröffentlichte. Bestimmer sein zu wollen, gehörte für Weber zu den | |
Merkmalen eines Berufspolitikers. In den ersten Monaten der Weimarer | |
Republik skizzierte er den damals neuen Beruf des Politikers in der | |
Demokratie. Weber sprach von Verantwortungsgefühl und Charisma, von | |
Augenmaß und Leidenschaft. Er sah zwei Typen von Berufspolitikern: Die | |
einen leben für, die anderen von der Politik. | |
Während Liebich mit einem Machtanspruch in die Politik ging, sagt die | |
FDP-Politikerin Katja Suding, 45, offenherzig: „Meine politische Karriere | |
ist mir praktisch vor die Füße gefallen.“ Für Parteipolitik interessierte | |
sich Suding erst mit 30 Jahren – die Grünen waren ihr zu paternalistisch, | |
die Linken zu ideologisch, also ging sie zur FDP. Im November 2010, sie | |
machte gerade Urlaub in Ägypten, platzte die schwarz-grüne Koalition in | |
Hamburg, Neuwahlen wurden für Februar angesetzt. In der FDP hätten viele | |
gesagt: Werd’ du doch Spitzenkandidatin. Und Suding, die PR-Beraterin, | |
dachte sich: „Ja, ich könnte das eigentlich.“ | |
Wenn Suding das beim winterlichen Spaziergang so erzählt, dann klingt das | |
wie Zufall. 2004 und 2008 war die Hamburger FDP bei den Landtagswahlen | |
bereits an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. „Alle dachten, das sei eh | |
nicht zu schaffen. Das hat mich so motiviert“, sagt sie. Sie schaffte das | |
Unerwartete, die Freien Demokraten zogen 2011 wieder in die Bürgerschaft | |
ein, Suding wurde Fraktionsvorsitzende, 2015 stellvertretende | |
Bundesvorsitzende ihrer Partei. | |
Sie ist eine der wenigen bekannten Frauen in der männerdominierten FDP. | |
Aber eine Frauenquote lehnt sie ab, Kinder und Karriere sah die Mutter von | |
zwei Schulkindern auch nie als Gegensätze. Suding war für die FDP ein | |
vielversprechendes Talent. Doch Parteivorsitzende habe sie nie werden | |
wollen. „Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich kandidiert“, sagt sie. Im | |
September 2020 kündigte sie ihren Rückzug an. Beim Mittagessen mit einem | |
Freund, da habe sie plötzlich gewusst: Es kann nur dieser Satz sein. „Ich | |
werde nicht mehr kandidieren.“ Als sie ihn aussprach, habe sie eine solche | |
Freude empfunden. Irgendwie kam und geht Suding spontan. Politik als | |
Episode. | |
Bei CDU-Politiker Peter Tauber hört sich alles etwas verkopfter an. Es war | |
ein historisches Ereignis, das ihn mit politisiert hat. „Mir war am 9. | |
November 1989 vollkommen klar, der Fall der Mauer, das ist ein Moment, der | |
später in den Geschichtsbüchern steht“ erzählt er, der damals 16 Jahre alt | |
war. Helmut Kohl habe ihn beeindruckt. „Er hat dieses ‚Wir schaffen das mit | |
der Einheit‘ verkörpert, einen Optimismus und das Vertrauen in die eigene | |
Kraft, was ich bei Merkel später in der Flüchtlingskrise auch so gut fand“ | |
sagt Tauber Ende Dezember in einem Videomeeting. | |
Er ist in seinem Wahlkreis, in Gelnhausen, südöstliches Hessen. Hinter dem | |
Schreibtisch deckenhohe Bücherregale, neben ihm eine Statue von Karl dem | |
Großen. Peter Tauber, der promovierte Historiker, der sofort über | |
europäische Lesarten und nationale Vereinnahmungen Karl des Großen | |
sinniert. „Geschichte war mein Lieblingsfach, da war ich immer ein Nerd“ | |
sagt er. Aber nicht nur das: Er ist Marathonläufer, Hauptmann der Reserve, | |
Jäger, Star-Wars-Fan und gläubiger Protestant, der sich die Koordinaten | |
seiner Heimatkirche in den Unterarm tätowieren ließ. | |
2013, erzählt er, rief ihn die Kanzlerin zu sich und sagte: „Ich habe mir | |
überlegt, Sie werden Generalsekretär.“ Tauber, seit 2009 im Bundestag, | |
hatte sich als Netzpolitiker profiliert. Sein Auftrag: Die Partei | |
attraktiver machen für Frauen, Jüngere, für Menschen mit | |
Migrationsgeschichte. Ein Vorhaben, das viel Widerstand in der Partei | |
auslöste. Tauber warb für ein Einwanderungsgesetz, für die Homoehe. Für die | |
CDU-Konservativen war er der missliebige Modernisierer, auch wenn er bei | |
Fragen zum Abtreibungsrecht oder zur Sterbehilfe im konservativen Lager | |
blieb. 2015, als hunderttausende Menschen Asyl in Deutschland suchten, | |
stand er hinter Angela Merkel – „aus tiefster Überzeugung.“ Und er wusste | |
vermutlich: ein historischer Moment, wie 1989. | |
Damals war die SPD-Politikerin Daniela Kolbe neun Jahre alt. „Eigentlich | |
sollte mich der Osten nicht mehr berühren“, sagt sie Anfang Dezember in | |
ihrem Abgeordnetenbüro im Paul-Löbe-Haus. Aber der Osten ist für die | |
Leipzigerin wie ein Schatten; etwas, das immer wiederkehrt. Als sie 2009 in | |
den Bundestag kam, war sie die einzige in der SPD-Fraktion unter 30. Eine | |
der wenigen Neuen, sie war links, kam aber gleich in den wichtigen | |
Innenausschuss, später wechselte sie zu Arbeit und Soziales, dem | |
Lieblingsausschuss von Sozialdemokrat:innen, die Gutes tun wollen. „Als | |
junge Frau aus dem Osten steht man schnell auf dem Zettel. Da ist | |
Diversität schon ein Plus“, sagt die 40-Jährige. Im Ausschuss Arbeit und | |
Soziales ist sie eine der wenigen aus dem Osten. Dabei betreffen Grundrente | |
und Mindestlohn den Osten mehr als den Westen. In Leipzig hat Kolbe die | |
Abwicklung in den 90er Jahren und die biographischen Abstürze miterlebt. | |
Ihre Eltern sind damals „gestolpert, nicht gescheitert“ sagt sie. „Ich | |
vertrete die Ossis gerne. Aber sie nerven mich auch manchmal. Dieses | |
Passive. Die Anforderung, dass die da oben mal machen sollen.“ Wenn | |
Bürger:innen in ihr Leipziger Büro kommen, sagt sie manchmal: „Mach doch | |
mal was selber“. | |
Aber Politiker:innen werden in der repräsentativen Demokratie nun mal in | |
Parlamente gewählt, um zu gestalten. Und sie sollen frei in ihren | |
Entscheidungen sein – theoretisch. Praktisch ist Politik aber immer ein | |
Abwägen zwischen Überzeugung, Erwartungen der Wählerschaft und der Partei. | |
Max Weber nannte es „Verantwortungsethik“: Politiker:innen sollen eine | |
Balance zwischen eigener Überzeugung und den Folgen ihrer Politik finden. | |
Ein Spannungsfeld, das manche innerlich zerreißt. | |
Stefan Liebich kennt das. „Die Berliner haben ja eigentlich immer was zu | |
meckern“ sagt er. Fünf Jahre lang war er Partei- und Fraktionschef in der | |
ersten rot-roten Koalition, die eine Stadt regierte, die praktisch bankrott | |
war. Dazu kamen Konflikte in den eigenen Reihen, mit der Opposition und | |
zwischen der Berliner und Bundes-PDS. Dauerstress. Damals habe er schon | |
gelernt: „Karriere, immer weiter, das hat seine Kehrseite.“ | |
Suding kennt diesen Stress mit Sicherheit auch, aber sie thematisiert ihn | |
nicht. 2017 war sie für die FDP bei den gescheiterten schwarz-gelb-grünen | |
Koalitionsverhandlungen dabei. Seitdem die Liberalen diese Machtoption auf | |
Bundesebene verweigert haben, kämpft die FDP gegen den Bedeutungsverlust. | |
Vier Jahre wird sie Mitglied des Bundestags gewesen sein. Sie hat nicht das | |
Gefühl, in der Opposition viel bewirken zu können. Ihre Entscheidung steht | |
fest. | |
Das Jahr 2017 war von heute aus betrachtet auch das Jahr, in dem sich der | |
Rückzug Peter Taubers ankündigte. Inmitten der Jamaika-Verhandlungen | |
erkrankte er, kämpfte ums Überleben, setzte mehrere Monate aus. 2018 trat | |
er nicht mehr als Generalsekretär an. Der Umgang der Partei mit ihm hat ihn | |
lange beschäftigt. Er sagt: „Ich habe als Generalsekretär viele Pfeile | |
abbekommen, die nicht mir galten.“ Doch Tauber hat weiter gemacht, Zeit zur | |
Reflexion, zum Innehalten hatte er nicht. | |
[7][Erst nach seinem Zusammenbruch] wurde es ruhiger um Peter Tauber, er | |
wurde Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Im März veröffentlichte | |
er das Buch „Du musst kein Held sein“. Darin erzählt er aus seinem Leben | |
als Spitzenpolitiker, über den Stress, über falsch verstandene | |
Männlichkeit, darüber, wie er es schaffte, sämtliche körperlichen | |
Alarmsignale zu ignorieren. Im Oktober 2020 gab er bekannt, seine | |
politische Karriere 2021 zu beenden – „aus persönlichen und beruflichen | |
Gründen“. Nicht nur die eigene Gesundheit habe Tauber beschäftigt. „Meine | |
Heimat und meine Familie sind mir sehr wichtig, meine eigene und die, die | |
ich gerne hätte.“ Dazu kamen Fragen wie: „Will ich nochmal etwas anderes | |
machen im Leben? Will ich weitermachen, wenn Merkel geht?“ Mit der Ära | |
Merkel endet also auch die Karriere des Politikers Peter Tauber. Was den | |
neuen CDU-Vorsitz und die Kanzler-Frage angeht, sagt er: „Ich finde, man | |
sollte Regierungserfahrung mitbringen für diese Aufgabe.“ Er lacht. Das | |
Machtvakuum der CDU, das muss nicht mehr seine Sorge sein. | |
Daniela Kolbe ist die Rolle der Macht nie selbstverständlich geworden. Die | |
„höheren Weihen“ sagt Daniela Kolbe, „haben mich nicht interessiert. Ich | |
bin einfach kein Alphatier.“ [8][Carsten Schneider], auch aus dem Osten und | |
ihre Generation, hat zielstrebig seine Karriere betrieben. Jetzt ist er | |
parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer, ein Job, von dem es oft noch | |
weiter nach oben geht. Sie wollte das nicht. Doch in der Wahrnehmung vieler | |
habe sie sich „in die abgehobene Frau Abgeordnete“ verwandelt. „Dabei bin | |
ich doch die gleiche geblieben“ sagt sie. | |
Seit 2009 hat sich der Niedergang der SPD beschleunigt, die AfD hat sich | |
rechtsaußen etabliert. Daniela Kolbe hat das registriert, staunend, | |
entsetzt und ratlos. „Vor Pegida kam Herr Bauer in mein Wahlkreisbüro. | |
Danach kamen Vertreter, die mir erklärt haben, was das Volk will“, sagt | |
sie. Die Rollenbilder sind festgefräst: da das ohnmächtige gute Volk, dort | |
die Bösen da oben – also sie. Nur ein paar Mal, beim Tür-zur-Tür-Wahlkampf, | |
hatte Kolbe das Gefühl, dieses Muster ein wenig lockern zu können. | |
Aber insgesamt sei das Gefälle zwischen Wahlkreis und Parlament gewachsen. | |
Weil es mehr Sitzungswochen im Bundestag gibt, weil sich das Hamsterrad | |
immer schneller dreht, zögen mehr Abgeordnete nach Berlin – und sind im | |
Wahlkreis nur noch zu Besuch. „Dass Abgeordnete die Lebenswirklichkeit vor | |
Ort in den politischen Betrieb einfließen lassen, gelingt nicht mehr so wie | |
früher. Das verändert den Parlamentarismus“ sagt sie. Es ist nichts | |
Alarmistisches in diesem Satz. Es ist ein leiser Zweifel. Aber er rüttelt | |
am ganzen politischen System: Repräsentanz, Macht, Föderalismus. | |
Nach der Bundestagswahl am 26. September fährt Stefan Liebich vielleicht | |
nach Dänemark, wo er regelmäßig ein Ferienhaus mietet. Immer das gleiche. | |
Er stellt sich das so vor: Drei Monate bleiben und spazieren gehen. | |
Runterfahren. Er hat sich schon abgewöhnt, morgens zu gucken, was über ihn | |
in der Zeitung steht. Während die Genoss:innen sich warm laufen für den | |
Wahlkampf, über Listenplätze und Aufstellungsversammlungen reden, hat | |
Liebich die Social-Media-Apps vom Handy gelöscht. | |
Katja Suding wird im September 2021 vielleicht reisen, vielleicht | |
ehrenamtlich arbeiten oder „einfach mal an einem Ort sein.“ Worauf sie sich | |
freut: Kein Pendeln mehr, die Kinder täglich sehen, ein ganz normales | |
Leben. Klar, irgendwann wird sie einen neuen Job brauchen. Aber Suding ist | |
sicher: „Die neue Aufgabe wird mich finden.“ | |
Bei Peter Tauber hat das Telefon schon geklingelt. Angebote – er überlegt | |
noch. Zwei Dinge weiß er schon: Er will im Rhein-Main-Gebiet bleiben. Und | |
er will nicht für einen Rüstungskonzern arbeiten. Vielleicht wird Tauber am | |
ehesten über Büchern brüten. Er, der auch einen Lehrauftrag an der | |
Goethe-Universität in Frankfurt hat, kann sich vorstellen, „in der | |
wissenschaftlichen Karriere nochmal einen Schritt zu gehen“. | |
Daniela Kolbe hat keinen Plan B. Sie ist seit kurzem Vize-Chefin der | |
SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Aber das ist ehrenamtlich. Sie freut | |
sich, endlich mehr Zeit zu haben. Was man eben so sagt. Sie will einfach | |
aufhören. | |
1 Jan 2021 | |
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