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# taz.de -- Gegen Agrargesetze für Großkonzerne: Indiens Bauern begehren auf
> Hunderttausende Landwirte protestieren. Sie fordern die Rücknahme einer
> Reform und einen garantierten Mindestpreis für Reis und Weizen.
Bild: Sie bekommen Zulauf: Bauernproteste am nationalen Streiktag in Neu-Delhi …
Mumbai taz In Nashik, im Westen Indiens, wo die Temperaturen noch nicht so
stark heruntergegangen sind, trafen sich am Montag die
Bauernvertreter:innen. Sie trommelten und sangen, schon bald wollten sie
sich auf den Weg in die Hauptstadt machen.
Vor den Toren Delhis warten laut Schätzungen bereits bis zu 300.000 Bauern,
manche von ihnen [1][seit mehr als drei Wochen]. Die Sicherheitsbehörden
wollen sie nicht passieren lassen. Vielen Demonstranten setzen Winterkälte
und akute Luftverschmutzung zu.
[2][Es soll bereits über 40 Todesfälle, größtenteils Unterkühlungen,
gegeben haben.] Aber die Bauern weigern sich abzurücken, solange sie ihre
Lebensgrundlage weiter durch die neuen Agrargesetze bedroht sehen. Ihre
Sorge ist, dass ihnen eine Übernahme durch Großkonzerne bevorsteht.
Eine neue Bauernbewegung erhöht mit Hungerstreiks und Straßenblockaden den
Druck auf die Regierung, viele kommen aus den „Kornkammerstaaten“ im Norden
Indiens. Bereits fünf Verhandlungsrunden scheiterten.
## Proteste gegen die Deregulierung
Die Landwirte wollen, dass alle Reformen, die Indien für die Privatisierung
öffnen, zurückgezogen werden. Schlaflose Nächte haben einige von ihnen
bereits seit Ende September, als die Agrargesetze unter Protest
verabschiedet wurden.
Die hindunationalistische Regierung unter Narendra Modi (BJP) möchte die
Landwirtschaft, die 17 Prozent zur Wirtschaftsleistung beiträgt und einer
der größten Arbeitgeber im Land ist, attraktiver für Unternehmen machen.
Sie verspricht, dass sich die Situation der teilweise hoch verschuldeten
Bauern verbessern werde. „Die Agrarreformen, die wir vor sechs Monaten in
Angriff genommen haben, haben begonnen, den Landwirten zu nutzen“, sagt
Modi.
Bislang gibt es einen garantierten Mindestpreis für Reis und Weizen. Die
Bauern fürchten, dass diese Sicherheit [3][durch die Deregulierung
wegfällt], die längst nicht allen zugutekommt. In Regionen wie dem Punjab
im Norden des Landes, in dem viele auf den Mindestpreis angewiesen sind,
ist der Unmut umso lauter.
Kosten für Saatgut, Düngemittel und Ausfälle durch Umweltkatastrophen sind
eine Belastung. Neuerungen würden guttun, doch die Reformen bleiben
umstritten, auch wenn die Regierung schriftlich zusagte, dass die
Mindestpreissicherung nicht wegfalle. Bei den Gesetzen will sie keinen
Rückzieher machen. Das Oberste Gericht schritt nun ein und verlangte die
Einrichtung einer Kommission zur Schlichtung.
Sandeep Singh von der Bauernvertretung Bhartiya Kisan Union aus Punjab hat
es trotz Barrikaden an den offiziellen Protestplatz der Hauptstadt, den
Jantar Mantar, geschafft. Er sieht die Gefahr, dass es der Landwirtschaft
ähnlich ergehen wird wie der Eisenbahn oder den Flughäfen, die schrittweise
veräußert wurden.
## Nächster Schritt: Konzernboykott
Doch auch die Bauern spüren Druck. „Die Regierung versucht, die Einigkeit
unter uns Landwirten aus Haryana, Punjab, Delhi und Uttar Pradesh zu
sprengen, indem sie auf regionale oder auf religiöse Unterschiede setzt“,
sagt er.
Einige Mainstreammedien würden zudem der Regierung helfen, Narrative zu
spinnen, die sich gegen Bauern richten. Bauern, die Englisch sprechen oder
Pizza essen, seien „keine richtigen Bauern“. Es kursieren zudem Gerüchte,
die Bauern aus Punjab würden einen eigenen Staat fordern – [4][oder sie
seien von China gekauft].
Die Öffentlichkeit fälle jedoch nicht auf diese Lügen herein, so Singh.
„Wir bekommen große Unterstützung aus dem ganzen Land.“ Sie mobilisierten
bereits zu einem Generalstreik, den landesweit Gewerkschaften
unterstützten. Der nächste Schritt ist der Aufruf zum Boykott der indischen
Konzernriesen Ambani und Adani, die sich zunehmend für den Bereich
Landwirtschaft interessieren.
Viele fürchten, sie könnten künftig die Regeln diktieren, wenn staatliche
Großmärkte mit ihren Garantiepreisen als Zwischenschritt wegfallen. Deshalb
geht der Protest unabhängig von der Coronalage weiter. „Wir stellen uns
darauf ein, dass es sich hinziehen wird“, sagt Jassi Sangha, die Tochter
eines Landwirts.
Vor Ort organisiert die 32-Jährige eine Zeitung, die die Bauern an den
Grenzübergängen mit Informationen versorgt. Kraft gibt ihnen auch die
Unterstützung, die sie erreicht: Lebensmittel und wärmende Kleidung aus der
Hauptstadt. In ein paar Tagen sollen auch diese Bauern zu denen aus
Maharashtra stoßen.
21 Dec 2020
## LINKS
[1] /Generalstreik-in-Indien/!5737145
[2] https://indianexpress.com/article/cities/ludhiana/punjab-tributes-paid-to-4…
[3] /Umstrittene-Agrarreform-in-Indien/!5715199
[4] https://www.hindustantimes.com/india-news/china-pakistan-behind-farmers-pro…
## AUTOREN
Natalie Mayroth
## TAGS
Indien
Landwirtschaft
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Congress-Partei
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