# taz.de -- Regierungskrise in Sachsen-Anhalt: Die AfD lacht sich ins Fäustchen | |
> Die Krise der Keniakoalition in Sachsen-Anhalt gefällt den radikal | |
> Rechten. Die CDU ist jetzt dort, wo die AfD sie am liebsten hat: in der | |
> Klemme. | |
Bild: Ministerpräsident Reiner Haseloff (l.) und AfD-Fraktionsvorsitzender Oli… | |
BERLIN taz | Oliver Kirchner macht keinen Hehl daraus, dass ihm [1][die | |
aktuelle Situation] gefällt. „Wir haben der CDU angeboten, gemeinsam mit | |
ihr die Gebührenerhöhung zu verhindern“, sagt der AfD-Fraktionschef im | |
sachsen-anhaltischen Landtag am Telefon. Und natürlich erwarte man von der | |
CDU, dass sie zu ihren Aussagen stehe. | |
Kirchners Angebot an die Christdemokraten ist toxisch. Denn natürlich weiß | |
er um die problematische Lage der CDU. Wenn sie gemeinsam mit der AfD gegen | |
einen höheren Rundfunkbeitrag stimmt, blockiert sie diesen nicht nur. | |
Die CDU würde der AfD damit auch zu einem symbolträchtigen Erfolg bei einem | |
ihrer Kernthemen verhelfen: der Schwächung des öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunks. Die Brandmauer zu den radikal Rechten [2][würde weiter | |
zerbröseln]. Und die Kenia-Koalition vermutlich platzen. Doch um der | |
Gebührenerhöhung zuzustimmen, dafür hat sich die CDU seit Langem zu sehr | |
festgelegt. | |
Die CDU steckt also in der Klemme – genau dort, wo die AfD sie haben will. | |
Deren Ziel ist es, die Christdemokraten weichzukochen. „Wir wären die | |
letzten, die eine Minderheitsregierung ablehnen“, sagt denn auch Kirchner | |
am Telefon. Natürlich müssten die Bedingungen für eine Tolerierung stimmen. | |
Aber dann könne er sich auch vorstellen, zunächst bis zur regulären | |
Landtagswahl im kommenden Juni eine Minderheitsregierung der CDU zu | |
tolerieren. | |
Die Kenia-Koalition, die einst als Bollwerk gegen rechts zusammenfand, war | |
von Beginn an fragil, die Unzufriedenheit in der CDU ist groß. Ein Teil der | |
Christdemokraten ist durchaus anfällig für die autoritäre Versuchung: Im | |
August 2017 stimmten Teile der CDU-Fraktion für einen AfD-Antrag, eine | |
Enquete-Kommission zum Thema Linksextremismus einzusetzen. | |
Im Sommer 2019 forderten die beiden stellvertretenden | |
Fraktionsvorsitzenden, „das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“ und | |
Koalitionen mit der AfD nicht grundsätzlich auszuschließen. Ende 2019 | |
versuchte CDU-Innenminister Holger Stahlknecht, den Populisten Rainer | |
Wendt, einen extrem umstrittenen Polizeigewerkschafter, zum Staatssekretär | |
zu machen. | |
Kein Wunder also, dass die strategischen Köpfe in der AfD Sachsen-Anhalt | |
schon lange im Blick haben. Wenn es irgendwo mit einer | |
Regierungsbeteiligung klappen könnte, dann am ehesten in Magdeburg, hatte | |
Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland schon vor Monaten gesagt, als die | |
ganze Republik noch auf Thüringen starrte. | |
Anders als dort hat die AfD in Sachsen-Anhalt ihren bundesweit bekannten, | |
extrem rechten Frontmann 2018 abgeräumt: André Poggenburg, der die | |
Landespartei im März 2016 zu einem Wahlerfolg mit 24,3 Prozent geführt | |
hatte. Das Zerwürfnis aber lag nicht an inhaltlichen Differenzen. Als | |
seinen Nachfolger als Fraktionschef schlug Poggenburg damals Kirchner vor, | |
wie er ein „Flügel“-Mann. Nach wie vor ist die Magdeburger Fraktion fest in | |
der Hand jener offiziell aufgelösten Strömung, die der Verfassungsschutz | |
als rechtsextrem eingestuft hat. Auch gilt die Fraktion als eine der | |
radikalsten bundesweit. | |
Das liegt an Kirchner, der in den Gutachten des Verfassungsschutzes erwähnt | |
wird, aber auch an Abgeordneten wie Jan Wenzel Schmidt, Chef der | |
AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative im Land, der mit der | |
rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) verbandelt ist und sich nicht | |
scheute, einen Ex-NPDler zu beschäftigen. | |
## Die Radikalsten der Radikalen | |
Oder Hans-Thomas Tillschneider, Islamwissenschaftler von der Uni Bayreuth, | |
einer der Schlüsselfiguren des „Flügels“ und Strippenzieher der Neuen | |
Rechten. Tillschneider, der im ehemaligen Haus der IB in Halle ein Büro | |
betrieb, hat auch gute Kontakte zum Institut für Staatspolitik und zur | |
Bewegung „Ein Prozent“. Er ist einer der Abgeordneten, die auch persönlich | |
vom Verfassungsschutz beobachtet werden. | |
Für die AfD im Landtag sitztauch Robert Fahrle, der Parlamentarische | |
Geschäftsführer der Fraktion. Fahrle kommt aus dem Ruhrgebiet, 17 Jahre war | |
er in der DKP, er hat hauptamtlich für die Partei gearbeitet. Von | |
Erneuerung soll er nicht viel gehalten haben. Im Landtag sorgte er zuletzt | |
mit einer Rede für Wirbel, in der er Corona als eine Art weltweiter | |
Verschwörungsplan darstellte. Corona sei erfunden worden, um US-Präsident | |
Trump loszuwerden, rief Farle in den Saal. Und in Sachsen-Anhalt werde in | |
der Krise mit Hilfe einer Pflicht zur Briefwahl ein großer „Wahlbetrug“ | |
vorbereitet. | |
Am Freitag wird man einen Teil der Herren in der Altmark im Norden | |
Sachsen-Anhalts antreffen. Die Partei mobilisiert dort unter dem Motto „Die | |
Coronadiktatur beenden!“ zu einer Demonstration. Als Redner sind neben dem | |
Landeschef Martin Reichardt, der auch Bundestagsabgeordneter ist, unter | |
anderem Kirchner und Tillschneider angekündigt. | |
Die beiden gingen auch auf dem [3][Bundesparteitag der AfD am vergangenen | |
Wochenende] Bundesparteichef Jörg Meuthen hart an, nachdem dieser unter | |
anderem den Ausdruck „Coronadiktatur“ kritisiert hatte, und auch, dass | |
Teile der Partei zu wenig Distanz zu der Querdenker-Bewegunghätten. Meuthen | |
betreibe ein „Zerstörungswerk“, kritisierte Tillschneider lautstark und | |
warf dem AfD-Chef vor, an den schlechten Umfragewerten Schuld zu sein. | |
Dass die CDU mit dieser Truppe wirklich zusammengeht, kann man sich kaum | |
vorstellen. Vielleicht also muss man das Ganze als verzweifelten | |
Vorwahlkampf verbuchen, in dem die CDU einen Teil der Stimmen, die sie 2016 | |
an die AfD verlor, im kommenden Jahr zurückholen will. Ob dieser Plan | |
aufgeht? Umfragen deuten darauf hin, dass die Lage nach der Landtagswahl | |
genauso vertrackt sein könnte wie jetzt. | |
2 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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