# taz.de -- Proteste in Frankreich und Emmanuel Macron: Der verkannte Nachbar | |
> Frankreichs Staatschef Macron wird als liberaler Politiker gefeiert, | |
> verhält sich aber zunehmend autoritär. | |
Bild: Filmen zukünftig verboten? Polizei in Paris geht gegen Protestierende vo… | |
Fangen wir mit einem Ratespiel an: Wer ist dieser Präsident und in welchem | |
Land befinden wir uns? Als die New York Times einen kritischen Bericht | |
schreibt, [1][ruft der Staatschef höchst persönlich bei dem Journalisten | |
an], um sich zu beschweren: Dass es nicht angehen könne, sein Land als | |
rassistisch darzustellen. Dass der Autor da etwas nicht verstanden habe. | |
Weiterhin sagt dieser Präsident [2][in einem Fernsehinterview], das | |
zunehmend schlechte Image seines Landes habe nichts mit seiner Politik zu | |
tun, sondern mit „falschen Informationen“, die von Journalist:innen | |
verbreitet würden. Ein Präsident, der [3][die besorgten Ermahnungen der | |
UNO] ignoriert, wenn sie die Menschenrechtslage in seinem Land bemängelt. | |
Der sagt, [4][„Polizeigewalt“ sei ein Kampfbegriff der Linksextremen]. Der | |
einen Innenminister ernennt, gegen den nie geklärte Vergewaltigungsvorwürfe | |
vorliegen. | |
Ein Präsident, der nach einem islamistischen Anschlag [5][die Schließung | |
und verstärkte Überwachung von Grenzen fordert] – als ob das eine mit dem | |
anderen zu tun hätte. Es ist ein Land, in dem die Polizei gegen | |
Demonstrant:innen mit explosiven Tränengasgranaten vorgeht, die in den | |
meisten westlichen Ländern als Kriegswaffen gelten. | |
Nein, dieser Präsident ist nicht Donald Trump oder Wladimir Putin. Wir | |
befinden uns auch nicht in Ungarn oder in der Türkei. Der Präsident, der in | |
dieser platten Manier daherkommt und Journalist:innen erzählt, was sie | |
schreiben sollen, ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Jener | |
Präsident, der immer noch als liberal gefeiert wird und der vor allem dann | |
in der Berichterstattung vorkommt, wenn er eine pathetische Ansprache an | |
die Nation hält und von europäischen Werten erzählt. Dabei beschreitet | |
Frankreich den Weg zu einem autoritären Staat mit immer schneller werdenden | |
Schritten. | |
## Kamera aus bei Polizeigewalt | |
Der letzte Schritt so groß, dass man sich fragt, wie ein Land sich dabei | |
nicht die rechtsstaatliche Hüfte ausrenkt. Mit dem „Gesetz für globale | |
Sicherheit“ sieht die Regierung die Überwachung der Bürger:innen durch | |
Drohnen vor. Vor allem aber ist darin das Verbot enthalten, Polizei, | |
Militär oder sonstige Einsatzkräfte zu filmen und die Aufnahmen auf | |
jeglichem Träger oder auf Plattformen zu verbreiten. Dies gilt auch für | |
Journalist:innen. Wer dagegen verstößt, muss mit einem Jahr Haft oder | |
45.000 Euro Geldstrafe rechnen. | |
In den letzten zwei Jahren hat es in Frankreich über 900 Verletzte und | |
mehrere Tote durch Polizeigewalt gegeben. Mehrere Menschen verloren ihr | |
Augenlicht, eine Hand oder einen Fuß. 2018 wird ein Polizist dabei gefilmt, | |
wie er gewalttätig auf Demonstranten losgeht. Später stellt sich heraus: Er | |
ist kein Polizist, sondern [6][ein enger Vertrauter des Präsidenten | |
Macron]. | |
Ein anderes Video belegt, dass Polizisten bei einer Autokontrolle | |
[7][grundlos scharf schießen]. Schon mehrfach haben solche Videos | |
Staatskrisen ausgelöst. Zuletzt war es das viral gegangene [8][Video des | |
Musikproduzenten Michel Zecler], der von Polizisten grundlos in sein | |
Tonstudio verfolgt und [9][dort zusammengeschlagen wurde]. Ein Gesetz, das | |
Berichterstattung verunmöglicht, ist nur vor dem Hintergrund dieser | |
Vorfälle zu verstehen. | |
Dass Regierungsfraktionen nach mehrwöchigen Großdemonstrationen den | |
umstrittenen Paragrafen neu formulieren wollen, ist ein Verdienst der | |
unermüdlichen Proteste. Die aber halten nicht inne: Es bleibt höchst | |
fraglich, ob die „Neuformulierung“ tatsächlich auch den Inhalt des Gesetzes | |
ändern wird. | |
## Wer entscheidet, was unerlaubt ist? | |
Das „Gesetz für globale Sicherheit“ ist nämlich kein Novum, sondern reiht | |
sich ein in eine allgemeine Tendenz der letzten Jahre. Im Mai wurde das | |
wohlklingende „Gesetz gegen den Hass“ erlassen: Online-Einträge jeglicher | |
Art müssen demnach innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden, wenn dort | |
etwas „offensichtlich Unerlaubtes“ steht. Bei Nichteinhaltung ist mit bis | |
zu 1,25 Millionen Euro Strafe zu rechnen. | |
Nur: Wer entscheidet, welche Inhalte unerlaubt sind? Ähnlich wie bei dem | |
kürzlich vorgestellten EU-Gesetz gegen illegale Online-Inhalte fürchten | |
manche willkürliche Zensur. Wenig später kippte dann auch das | |
Verfassungsgericht große Teile des Gesetzes. Immerhin. Ein Verdienst der | |
Gewaltenteilung allerdings, und nicht der vermeintlich liberalen Gesinnung | |
des Präsidenten. | |
Nun möchte man hoffen, dieser habe lediglich mit der Presse ein Problem – | |
was ja bedenklich genug wäre. Mitnichten. 2017 ließ Macron den | |
[10][verfassungswidrigen Ausnahmezustand], der nach den Terroranschlägen | |
galt, prompt [11][in die Verfassung aufnehmen]. Seitdem patrouillieren in | |
französischen Städten Militäreinheiten. Racial Profiling ist an Bahnhöfen | |
und Flughäfen demnach erlaubt. | |
Im Dezember erließ die Regierung [12][drei Dekrete], die die polizeiliche | |
Erfassung von politischen und philosophischen Überzeugungen sowie von | |
Religionszugehörigkeit und Mitgliedschaft bei Gewerkschaften auch von | |
Demonstrationsteilnehmenden erlauben. Durften bisher nur Gefährder:innen | |
gelistet werden, kann das [13][ab jetzt] mit dem gesamten Umfeld von | |
Gefährder:innen passieren oder auf die Gesamtheit einer Demonstration | |
angewendet werden. | |
## Populismus der bürgerlichen Mitte | |
Schockierend ist dabei nicht nur der polizeistaatliche Trend. Schockierend | |
ist auch die Stille rundherum. In deutschen Medien sieht man lieber den | |
osteuropäischen Ländern auf die Finger. Und so hat Macron weder von der | |
ausländischen Presse noch von den EU-Partnern allzu viel zu befürchten. Er | |
praktiziert einen Populismus der bürgerlichen Mitte, der darin besteht, | |
möglichst staatsmännisch aufzutreten und zu unterstreichen, wie sehr er für | |
Freiheit und Gerechtigkeit stehe. | |
Dass so wenig auf Macrons faktisches Regieren geguckt wird, ist auch eine | |
Krise der Berichterstattung – die zwangsläufig auf eine Krise der Werte | |
hinausläuft: Es bleibt weitgehend still. Zu still, wenn im Nachbarland | |
zunehmend die Grundrechte ausgehöhlt werden. | |
17 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nytimes.com/2020/11/15/business/media/macron-france-terrorism-a… | |
[2] https://twitter.com/davduf/status/1334932497268953094 | |
[3] https://news.un.org/fr/story/2020/12/1083642 | |
[4] https://www.francetvinfo.fr/faits-divers/police/violences-policieres/video-… | |
[5] /EU-Minigipfel-zu-Terrorabwehr/!5728014 | |
[6] /Benalla-Affaere-in-Frankreich/!5520192 | |
[7] https://www.youtube.com/watch?v=jmZsxFRFS2w | |
[8] https://twitter.com/Loopsidernews/status/1331870826652643328 | |
[9] /Polizeigewalt-in-Frankreich/!5731885 | |
[10] https://www.fidh.org/fr/qui-sommes-nous/la-federation-internationale-pour-… | |
[11] https://www.blaetter.de/ausgabe/2018/januar/frankreich-der-ausnahmezustand… | |
[12] https://www.laquadrature.net/2020/12/08/decrets-pasp-fichage-massif-des-mi… | |
[13] https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/id/JORFTEXT000042607323 | |
## AUTOREN | |
Lea Fauth | |
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