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# taz.de -- Shopping in Berlin vor dem Lockdown: Ihr Kund*innen kommet
> Der große Run vor dem Lockdown blieb erst einmal aus. Um so mehr
> schwitzen die Paketboten. Für sie dürfte es noch schlimmer kommen.
Bild: Berlin Alexanderplatz, zwei Tage vor dem Lockdown
Berlin taz | Dit kommt noch!“, sagt eine Kassiererin, die am Montagmittag
in einem Supermarkt am Kottbusser Damm noch auf Kunden wartet: „Jetzt gehen
die Leute erst mal die letzten Weihnachtsgeschenke kaufen.“ „Und wir
bleiben ja zum Glück auf!“, sagt ihr Kollege. Denn viele andere Läden in
der Umgebung kämpften angesichts der Pandemie um ihre Existenz: „Aber wir
können nicht klagen!“
Von Hamsterkäufen oder langen Warteschlangen vor Geschäften ist auf der
Einkaufsmeile zwischen Neukölln und Kreuzberg am Tag nach der Ankündigung
erneuter Schließungen im Einzelhandel noch nichts zu sehen. Fast alle
Passant*innen hier tragen vorschriftsmäßig Maske, man geht sich höflich
etwas aus dem Weg – Platz zum Abstandhalten ist genug. Nur vor dem
Pfandhaus und der Apotheke nebenan warten ein paar Menschen, es dürfen aber
auch nur jeweils zwei Kund*innen hinein.
Bei Karstadt am Hermannplatz hat man anders als in den vergangenen Tagen am
Montag damit aufgehört, die eintretenden Kunden zu zählen. Doch auch hier
gibt es nur in der Bücherabteilung Gedränge – obwohl Buchläden ab Mittwoch
gar nicht schließen müssen. Auch in der Spielzeugabteilung ist die
Käuferzahl gegenüber den Vortagen leicht erhöht. Eine richtig lange
Schlange steht aber nur vor dem Postschalter im Erdgeschoss des
Warenhauses, viele der Wartenden mit Paketen unterm Arm.
Nebenan bei Bauhaus an der Hasenheide, das diesmal wie alle Baumärkte auch
ab Mittwoch schließen muss, gibt es dagegen keine langen Warteschlangen an
den Kassen. Professionelle Handwerker holen noch schnell bestellte Ware ab,
doch die Heimwerker scheinen ihre Werke schon beim letzten Lockdown
erledigt zu haben.
## Dezember ist der beste Monat
Für ihn sei es eine Katastrophe, das Weihnachtsgeschäft zu verpassen, sagt
weiter oben am Kottbusser Damm ein türkischer Juwelier: „Der Dezember ist
sonst der beste Monat im Jahr!“
Nicht nur deutsche, sondern längst auch türkeistämmige Kund*innen kauften
Schmuck als Weihnachtsgeschenke, „und die Türken, die noch nicht
Weihnachten feiern, beschenken sich zu Neujahr“ – und gäben dabei oft mehr
aus als die Deutschen. Doch das Geschäft sei schon in den letzten Jahren
immer schlechter geworden: „Man merkt, dass die Leute kein Geld mehr
haben.“
David Mizeras Geschäft dagegen läuft gut: Er verkauft in der Sanderstraße
extravagante Second-Hand-Designermode. Seine Boutique „Wsiura“ gehört zu
den vielen kleinen Läden, die in den letzten Jahren vor allem in den
Neuköllner Seitenstraßen des Kottbusser Damms eröffnet und zum Boom des
Stadtteils beigetragen haben. „Das Weihnachtsgeschäft spielt für uns keine
so große Rolle“, sagt Mizera, „aber trotzdem ist es natürlich schlecht,
dass wir wieder schließen müssen.“ Sein Angebot könne er kaum online
verkaufen: „Unsere Sachen muss man anprobieren.“ Er hoffe deshalb, dass es
einen finanziellen Ausgleich für die Zeit der Schließung gebe: „Aber bis
jetzt haben wir noch nichts gehört.“
## Anstehen vor dem Computerladen
Mittags in der Friedrichstraße in Mitte. Radfahrer hasten durch die
verkehrsberuhigte Zone. Im Konvoi trotten zwei Obdachlose hinter ihren
Einkaufswagen her, in denen die ganze Habe gestapelt zu sein scheint. Einer
brabbelt in einer Sprache, die Russisch sein könnte, vor sich hin. In den
Geschäften ist wenig los. Nur vor einem Computerladen stehen die Menschen
Schlange. Nein, sie wolle keine Weihnachtsgeschenke kaufen, sagt eine Frau.
Für ihren PC brauche sie noch ein Ersatzteil.
Und auch vor dem Kaufhaus Dussmann sieht man Menschen anstehen. Die
Schlange zieht sich vom Vordereingang um die Ecke bis in die Seitenstraße.
„Spread Love Only“, steht an den Schaufenstern. Eine Angestellte,
dunkelblauer Hosenanzug, Maske, regelt den Einlass. Immer so viele, wie aus
dem Buchladen kommen, dürfen rein. Hatte Kultursenator Klaus Lederer
(Linke) am Sonntag bei der Senatspressekonferenz nicht erklärt, die
Buchläden in Berlin blieben offen, weil sie die geistigen Tankstellen
seien? „Keine Ahnung“, sagt die Angestellte.
Weiter geht es Richtung Prenzlauer Berg. Gefühlt steht alle hundert Meter
ein DHL- oder GLS-Transporter in zweiter Spur. Fahrer wuchten mit
Sackkarren Pakettürme in Hauseingänge. Online shoppen, bis der Arzt kommt.
Fast alle tun es, auch in der Linken-Szene. Die Online-Riesen werden die
Gewinner der Pandemie sein und der Mittelstand der Verlierer, so viel ist
klar.
Ein Paketbote arbeite zurzeit 10 bis 13 Stunden, sagen Insider. Das
Schlimmste komme erst noch. Mittwoch, wenn der Lockdown beginnt, würden die
Paketbestellungen erst richtig in die Höhe schnellen. Dass der Einzelhandel
sein gesamtes Geschäft in der Woche vor Weihnachten ins Internet verlagere,
darauf sei keiner der Paketdienste eingestellt. Schon jetzt sei klar, dass
das mit der Lieferung bis Weihnachten eigentlich nicht mehr zu schaffen
sei.
Mario Bornschein, Inhaber des auf Outdoor-Equipment spezialisierten Ladens
„Der Aussteiger“ – drei Filialen im Berliner Raum – bittet in dem Gesch…
in der Danziger Straße ins Hinterzimmer.
In der Nacht zu Montag hat „Der Aussteiger“ eine Mail an die
Stammkundschaft verschickt. „Bitte früh oder spät vorbeikommen, um das
Ganze zu entzerren“. Der „Worst-Case“ sei eingetroffen, sagt Bornschein. …
mache sein Hauptgeschäft in der Sommerurlaubszeit und zwischen Weihnachten
und Neujahr. Da würden die Leute ihre Geldgeschenke in Trekkingmontur und
Ähnlichem umsetzen.
Das Erfolgsrezept des „Aussteigers“ sei Beratung – face to face im Laden.
Zeit spiele dabei keine Rolle. Und nun? Ab Mittwoch werde das Personal am
Telefon beraten, kündigt Bornschein an. Die Bestellungen würden die
Verkäufer den Leuten dann persönlich mit dem Rad zu Hause vorbeibringen.
„Es geht um unsere Kunden“, sagt Bornschein. „Wir ergeben uns nicht diesem
System“.
Ein Kunde, groß, dunkel gekleidet, mit Brille, stellt sich als
Medienkünstler vor. Soeben hat er im „Aussteiger“ Thermoklamotten für eine
Radtour erstanden. Der Lockdown sei „the best ever“, sagt er und strahlt.
Warum? „Weil Weihnachten ausfällt.“
14 Dec 2020
## AUTOREN
Plutonia Plarre
Alke Wierth
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