Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Botinnen und Boten unserer Zeit: Die Unsichtbaren
> In Märchen sind die Botinnen und Boten wichtige Figuren. Aber in unserer
> Zeit verschwinden sie immer mehr aus unserem Blickfeld.
Bild: Paketboten halten den Laden am Laufen – und werden gleichzeitig immer u…
Dieser Tage liegt ein großer Unterschied zwischen denen, die drinnen etwas
bestellen, und denen, die es von draußen bringen. Unser Leben im Lockdown
würde für viele ohne die Botinnen und Boten, die durch Schnee und Regen an
unsere Türen kommen, nur schwer funktionieren. Auf der einen Seite wird es
immer wichtiger, dass uns Waren zu Hause erreichen. Doch auf der anderen
Seite werden die Botinnen und Boten immer unsichtbarer, immer stummer. Auf
unheimliche Weise verschwinden die Menschen hinter dem Paket aus unserem
Blickfeld.
Letztens sollte ich digital meinen Kurier bewerten, ob ich mit ihm
zufrieden war oder ob es Gründe für eine Beschwerde gab, etwa, weil er
keine Maske trug. Ich versuchte mich an den Kurier zu erinnern. Mir fiel
ein, dass er freundliche Augen hatte, aber ich erinnerte mich nicht an sein
Gesicht, ob mit oder ohne Maske. Er hatte mir atemlos ein Gerät
hingehalten, auf dem ich unterschreiben sollte – Danke, bitte –, dann sah
ich ihn wieder von hinten, auf dem Sprung zu einer nächsten Tür.
Manchmal höre ich in meinem Umkreis Beschwerden über die Botinnen und
Boten: Sie sind meist in Eile, weil der Druck so groß ist. Sie klingeln
manchmal sofort ein-, zwei-, dreimal. Und wenn man dann nicht schnell genug
zur Tür gerannt ist, haben sie das Paket schon bei einem Nachbarn
abgegeben. Manchmal stelle ich mir vor, was die Botinnen und Boten wohl für
ein Zuhause haben, was für ein eigenes Leben und Schicksal. Doch sie
bleiben hinter den Waren, die sie bringen, so sehr in ihrer bloßen
Funktion, wie in kaum einem anderen Beruf.
Ich versuchte mir zu überlegen, was ich über meine Postbotin weiß, die
Person also, die mir schon seit Jahren regelmäßig alle Briefe bringt, die
über mein Leben entscheiden: Rechnungen, Briefe, Postkarten, Zusagen,
Absagen, Einladungen und Behördennachrichten.
Meine Botin, die mir alle wichtigen Nachrichten überbringt, hat blonde
Haare. Sie fährt seit Jahren bei jedem Wetter mit geröteten Wangen und
einer Brille. Und mehr weiß ich nicht über sie. Heute erst habe ich sie
wieder gesehen, wie sie versuchte, mit dem schweren Postrad auf dem
vereisten Boden Halt zu finden. Die Räder rutschten leicht zur Seite. Als
sie stabil stand, fuhr sie vorsichtig weiter über die eisige Straße.
Einmal habe ich die Postbotin oder Briefzustellerin, wie es korrekt heißt,
angesprochen. Ich wollte mich bei ihr bedanken, dass sie seit all den
Jahren die Post bringt. Aber sie lächelte einfach wie immer, ein Lächeln,
das vielleicht meinte, ja, das ist meine Arbeit. Und vielleicht fühlst du,
dass der Beruf nicht so angemessen anerkannt ist, wie er es sein müsste,
aber es ist okay. Und du änderst daran nichts und musst es nicht. Und ich
muss es auch nicht.
Früher waren die Menschen, die die Post brachten, verbeamtet. In Märchen
ist die Person, die sich durch die Landschaft schlägt, um eine Botschaft zu
überbringen, eine wichtige Figur. Sie ist das Scharnier zwischen Sender und
Empfänger. Botinnen und Boten müssen absolut zuverlässig sein. Letztens las
ich eine Meldung, dass die Polizei zufällig in der Wohnung eines Mannes und
einer Frau fast 13.000 Briefe gefunden hätte, die diese nicht zugestellt
hätten. Was muss da alles drin gewesen sein an Zusagen, Absagen,
Behördennachrichten, Briefen, die mit über das Leben entscheiden. Und die
erst auffallen, wenn sie fehlen.
Bei uns klingelt die Postbotin in letzter Zeit, wenn der Briefumschlag zu
dick für den Briefkasten ist. Sie kündigt dann durch die Sprechanlage an,
dass sie das Paket in den Aufzug stellt. Sie weiß die Stockwerke zu den
Namen, sie muss nicht nachfragen. Und dann lässt sie die Post in den
jeweiligen Stock hochfahren.
Das hat etwas Witziges, wie sich die Türen öffnen und dann einfach nur ein
kleines Paket im Lift steht. Vielleicht, denke ich, ist das aber auch ein
Vorausbild auf die Zukunft. Wenn uns vielleicht Drohnen die Pakete und
Briefe liefern, überall dorthin, wo wir uns aufhalten. Es gibt dann keine
Botinnen und Boten mehr, die uns unsere Sendungen nach Hause bringen. Was
für ein Privileg es doch ist, dass uns Menschen unsere Pakete und Briefe
überbringen. Die von draußen kommen, die nicht unsichtbar werden dürfen.
7 Feb 2021
## AUTOREN
Christa Pfafferott
## TAGS
Kolumne Zwischen Menschen
Deutsche Post
Paketdienste
Pakete
Online-Shopping
Online-Versand
Paketdienste
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Klimaneutrale Paketzustellung: Letzte Meile per Rad
Der Hamburger Senat macht einen Feldversuch zur umweltfreundlichen
Feinverteilung von Paketsendungen in der Innenstadt.
Onlineshopping in Coronakrise: Zeit statt Zeugs
Im Shutdown scheint das Onlineshopping nahezu alternativlos. Doch die
Coronakrise ist eine Chance zum Umdenken, die so schnell nicht wiederkommt.
Shopping in Berlin vor dem Lockdown: Ihr Kund*innen kommet
Der große Run vor dem Lockdown blieb erst einmal aus. Um so mehr schwitzen
die Paketboten. Für sie dürfte es noch schlimmer kommen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.