# taz.de -- Die These: Klimakids, geht in die Verwaltung! | |
> Behörden haben ein schlechtes Image, gelten als Gegenteil von | |
> transformativ. Falsch! Gerade hier braucht es Leute, die die Spielräume | |
> nutzen. | |
Bild: Klimakids bei der Fridays-for-Future-Demo im Juni 2019 in Aachen | |
Über mögliche Karrierewege der aktuellen jungen Klimaprotestgeneration | |
wurde schon viel geschrieben. Die einen sähen die Schüler:innen und | |
Studierenden am liebsten in Büchern vertieft, damit sie möglichst schnell | |
als Ingenieur:innen zur klimagerechten Transformation der Gesellschaft | |
beitragen. Andere wünschen sich eine rasche Unterwanderung [1][der | |
Parteien]. Wieder andere hoffen, dass die Jungspunde erwachsen werden, und | |
(wie sie selbst?) ihren Transformationswillen an der Garderobe des neu | |
erworbenen Eigenheims abgeben. | |
Ich hätte einen anderen Vorschlag: Klimakids und Klimastudis, geht in die | |
Verwaltung! Ich sehe schon, wie Sie beim Lesen des Wortes geistig | |
abschalten, die Zeitung zur Seite legen oder den Browser schließen. | |
Verwaltung gilt als das Gegenteil von spannend oder transformativ. | |
Verwaltung?! | |
Ja, Verwaltung! Denn Transformation wird nicht nur in sozialen Bewegungen, | |
Start-ups oder Parteien gemacht. Neue Ideen sind nötig, sie müssen erdacht | |
und erprobt werden. Was dann am Ende mit ihnen geschieht, interessiert die | |
meisten nicht mehr. Aber das sollte es. Denn Ideen werden insbesondere dann | |
gesellschaftlich wirksam, wenn sie sachgerecht und rechtssicher von | |
Ministerien oder Stadtverwaltungen bearbeitet und umgesetzt werden. Eine | |
progressive Politik braucht eine progressive Verwaltung. | |
Wenn die fehlt, tut sich nichts, wie man am Beispiel von Stadtplanung und | |
Fahrradinfrastruktur gut sehen kann. Es gibt viele tolle Ideen dazu, wie | |
Städte klimagerecht gestaltet werden können. Oft sind sie sogar | |
parlamentarisch entschieden, Änderungen sind politisch also gewollt. Nur | |
umgesetzt werden sie nicht, weil die Leute oder das Wissen dazu fehlen. So | |
dauerte die Planung eines neuen, bereits beschlossenen Radweges – vor der | |
Einführung der [2][Corona-Pop-up-Radwege] – in Berlin viele Jahre. | |
Die Älteren unter Ihnen haben jetzt vielleicht ein Déjà-vu. Und richtig: Es | |
steht wieder ein Marsch durch die Institutionen an. Neben dem wählenden | |
Volk und den Parteien ist die Verwaltung ein zentraler Bestandteil des | |
Politischen. Hier werden die Details von politischen Entscheidungen | |
definiert, Kennzahlen bestimmt oder Richtlinien ausgelegt. All das ist | |
nicht besonders funky. | |
Dass Idealist:innen und Gestalter:innen eher selten bei Verwaltungen | |
etwa von Kommunen anheuern, hat sicher auch mit Vorurteilen zu tun. Aber | |
entgegen des weit verbreiteten und schon vor 100 Jahren vom Soziologen Max | |
Weber geprägten Bildes sind Verwaltungen keine gesichtslosen Maschinen, die | |
nur das umsetzen, was ihnen von der Politik vorgegeben wird. Die politische | |
Soziologie und die Verwaltungswissenschaft zeigen, dass die jeweiligen | |
Zuständigen Spielräume beim Entscheiden haben und sie diesen nutzen können | |
– oder auch nicht. Der kreative Umgang mit Vorgaben gehört zum Repertoire | |
einer jeden guten Sachbearbeitung. Mit einer guten Begründung für oder | |
gegen etwas kann viel erreicht werden. | |
Es macht also einen Unterschied, ob Amtsstuben mit konservativen oder | |
progressiven Charakteren besetzt sind. Ich sage nicht, dass in der | |
Verwaltung Entscheidungen frei nach Schnauze getroffen werden. Die | |
Leitplanken, innerhalb derer entschieden wird, sind eng. Es gibt aber | |
Freiräume, und genau dafür braucht es Leute, die etwas bewegen wollen. Für | |
den Klimaschutz und die Transformation. | |
Anders als die politische Führung bleiben Sachbearbeiter:innen oft | |
Jahrzehnte in einer Verwaltung. Sie prägen ein „Haus“. Viele neu berufene | |
Minister:innen oder Abteilungsleiter:innen machen diese Erfahrung, | |
wenn sie versuchen, Änderungen durchzusetzen. Auch | |
Kommunalpolitiker:innen erleben oft, dass der Wille der Politik | |
nicht immer das oberste Ziel von Verwaltungshandeln ist. Möglichkeiten, die | |
Politik auflaufen zu lassen, gibt es zuhauf: Akten können verschleppt, | |
Anfragen blockiert oder wichtige Informationen nicht aufbereitet werden. | |
In den USA hat das dem Klimaschutz zuletzt sogar genutzt: Spektakulär waren | |
der Widerstand von Teilen der US-Umweltschutzbehörde EPA gegen die | |
Trump-Administration, wo Mitarbeitende wichtige Klimadaten vor dem Zugriff | |
der Regierung retteten. Und auch in Deutschland können die Mitarbeitenden | |
in den Behörden große und kleinere Veränderungen verhindern – oder | |
gestalten. Wenn Tübingen jetzt beispielsweise plant, Solaranlagen auf | |
Neubauten verpflichtend zu machen, dann braucht es dafür mutige Menschen, | |
die das Wirklichkeit werden lassen. | |
Also liebe Weltretter:innen: Strömt in die Verwaltungen! Es gibt dort zwar | |
eher selten Kicker oder fancy Jobtitel. Auch die Büros sind meist deutlich | |
weniger schick als im hippen Start-up. Dafür kann man einen wirklichen | |
Unterschied machen – und sogar pünktlich in den Feierabend gehen. | |
6 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Kampf-gegen-den-Klimawandel/!5706459 | |
[2] /Mehr-Radwege-dank-der-Coronakrise/!5684794 | |
## AUTOREN | |
Lukas Daubner | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Podcast „Vorgelesen“ | |
Verwaltung | |
Transformation | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Umweltaktivisten | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Kolumne Die eine Frage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fridays for Future an der Uni: Examen in Weltrettung | |
Die Klimakrise treibt junge Menschen an. Wie machen sie ihren Aktivismus | |
zum Beruf? Und sind sie zufrieden mit ihren Studiengängen? | |
Klimaprotest in Berlin: „Eine ganz wichtige Botschaft“ | |
Das 1,5-Grad-Ziel sei noch zu erreichen, Fridays for Future will weiter | |
dafür kämpfen. Am Freitag protestieren sie mit Kerzen am Brandenburger Tor. | |
Fridays for Future und die Grünen: Die Gradwanderung | |
Fridays for Future wirft den Grünen Halbherzigkeit im Kampf gegen die | |
Erderhitzung vor. Wie gefährlich ist das für die Ökopartei? | |
Fridays for Future und Politik: Grüner als die Grünen | |
Sandra Overlack engagiert sich für Fridays for Future. Doch die Grünen | |
will sie bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg nicht wählen. | |
Der Fall Jakob Blasel: Bitte auch in die CDU! | |
Sollen Fridays-for-Future-Leute in den Bundestag? Unbedingt! Denn in | |
unserer Lage ist eine reine Widerstandshaltung verantwortungslos. |