# taz.de -- Pressefreiheit in Westsahara: Geheime Arbeit | |
> In den besetzten Gebieten der Westsahara gibt es keine freie Presse. Die | |
> Agentur Equipe Media bleibt oft die einzige verlässliche Quelle. | |
Bild: Aktivist:innen in der Westsahara im Jahr 2019 | |
„Wir zeigen, was Marokko verheimlichen will“, sagt Ahmed Ettanji. Der | |
32-jährige Journalist aus der Hauptstadt der Westsahara, El Aaiún, ist Chef | |
von Equipe Media, einer unabhängigen, klandestin arbeitenden sahrauischen | |
Nachrichtenagentur. Sie verbreitet vor allem Berichte über | |
Menschenrechtsverletzungen in der seit 1976 von Marokko besetzten | |
ehemaligen spanischen Kolonie an Afrikas Westküste, direkt gegenüber den | |
Kanarischen Inseln. „Wir versuchen, eine Bresche in die Mauer des | |
Schweigens zu schlagen“, erklärt Ettanji per Video. Und es gelingt. „Wir | |
haben nach und nach den Ruf erworben, eine zuverlässige Quelle zu sein“, | |
erklärt Ettanji stolz. | |
Neben der internationalen Presse fragen auch Menschenrechtsorganisationen | |
um Informationen bei der 2009 gegründete Equipe Media an. Die Agentur ist | |
oft die einzige zuverlässige Quelle, denn „internationale Presse, oder | |
unabhängige Beobachter werden so gut wie nie hereingelassen“, sagt Ettanji. | |
„Die Idee für Equipe Media entstand in den Jahren nach 2005“, berichtet | |
Ettanji. Damals begann die sahrauische Intifada. Die Bewegung war völlig | |
gewaltfrei. Dennoch war die Repression äußerst brutal. „Es gab kaum Bilder, | |
kaum Videos, von dem, was hier geschah.“ Das wollten Ettanji und seine | |
Kollegen ändern. | |
## Repression und Plünderung | |
Equipe Media gehören heute 25 Journalisten an. Hinzu kommt ein breites | |
Netzwerk von Beobachtern überall in den besetzten Gebieten, die mehr als | |
zwei Drittel der Westsahara ausmachen. Der Rest ist in den Händen der | |
[1][Befreiungsbewegung Polisario] und der Exilregierung der Demokratischen | |
Arabischen Republik Sahara (DARS) in den Flüchtlingslagern in Algerien. | |
„Wir dokumentieren neben der Repression auch die wirtschaftliche Plünderung | |
der Westsahara durch Marokko – vor allem Fischerei und Phosphatabbau“, | |
sagt Ettanji. Dieser „Bürgerjournalismus“, wie er das nennt, ist nicht ganz | |
ungefährlich. „Immer wieder werden Journalisten von den marokkanischen | |
Besatzungskräften festgenommen. Material und Kameras werden beschlagnahmt | |
oder gar zerstört.“ Vier seiner Kollegen, die 2010 auf einem Protestcamp | |
gegen die Besatzung festgenommen wurden, sitzen bis heute in Haft. | |
Ettanji selbst machte 15-mal mit der Polizeiwache Bekanntschaft. Er wurde | |
verhört und misshandelt. „Deshalb arbeiten wir unter höchsten | |
Vorsichtsmaßnahmen, fast völlig klandestin“, sagt er. „Denn es steht unter | |
Strafe, Polizei bei der Arbeit aufzunehmen oder Demonstrationen zu filmen.“ | |
Die Journalisten gehen ihrer Arbeit oft versteckt am Fenster oder auf den | |
Dächern nach, wenn unten die Polizei mal wieder eine Demonstration auflöst | |
oder Häuser durchsucht. „Die sozialen Netzwerke bieten uns die Möglichkeit, | |
unsere Arbeit zu veröffentlichen“, erklärt Ettanji. Equipe Media ist auf | |
Twitter, Facebook und Youtube zu finden. | |
## Großer Informationsbedarf | |
Die Agentur erhielt für ihre Arbeit mehrere internationale | |
Journalistenpreise, meist in der spanischsprachigen Welt. Und 2017 wurde | |
der [2][17-minütige Dokumentarfilm „3 Stolen Cameras“], der von der Arbeit | |
von Equipe Media berichtet, beim Dokumentarfilmfestival DOK Leipzig | |
prämiert. Seit am 13. November nach einen Bruch des 1991 von den Vereinten | |
Nationen vermittelten Waffenstillstands durch Marokko die Polisario den | |
Kriegszustand ausrief, ist Equipe Media mehr gefragt denn je. | |
Vor allem die spanische Presse will Informationen über die aktuelle Lage in | |
den besetzten Gebieten. Die Polizei- und Armeepräsenz vor allem in den | |
Städten wurde verstärkt. Proteste werden sofort aufgelöst. Die wenigen | |
Bilder, die es davon gibt, stammen von Equipe Media. | |
Bekannte Aktivisten werden besonders scharf überwacht, natürlich auch | |
Ettanji selbst. Ettanjis Hochzeit war schon seit Langem auf den 21. | |
November angesetzt. „Mein Haus und das meiner Verlobten, die ebenfalls | |
Journalistin ist, wurden umstellt. Niemand durfte rein oder raus“, erzählt | |
Ettanji. Mitten in der Nacht konnten sich die beiden doch noch sehen und | |
vermählen. „Völlig klandestin, ohne Familie und ohne Gäste.“ | |
8 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Streit-um-Verkehr-nach-Mauretanien/!5725144 | |
[2] https://vimeo.com/212566358 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Westsahara | |
Spanien | |
Marokko | |
Marokko | |
Schwerpunkt G20 in Hamburg | |
Marokko | |
Ägypten | |
Pressefreiheit in Europa | |
Westsahara | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Haftstrafe für Journalisten in Marokko: Verurteilt in Abwesenheit | |
Journalist Soulaiman Raissouni ist in Marokko wegen Vergewaltigung zu 5 | |
Jahren Haft verurteilt. Eine Aufklärung der Tat hat es jedoch nicht | |
gegeben. | |
Journalist von G20-Gipfel ausgeschlossen: 1.500 Euro – Polizei sagt „sorry�… | |
Vor dreieinhalb Jahre wurde der Journalist Adil Yiğit vom G20-Gipfel | |
ausgesperrt. Erst jetzt zahlt ihm die Hamburger Polizei eine Entschädigung. | |
Konflikt in Westsahara: Am Sandwall | |
In der Westsahara schlagen Menschenrechtler Alarm: Seit Beginn des Kriegs | |
zwischen Marokko und Polisario hat sich die Lage deutlich verschlechtert. | |
Verhafteter Menschenrechtsaktivist: Mein Freund Gasser | |
Journalistische Distanz? Manchmal geht das nicht. Ein guter Freund unseres | |
Ägypten-Korrespondenten wurde verhaftet. Die Geschichte einer Freundschaft. | |
Sprecherin von RSF über Gesetz in Frankreich: „Risiko einer Selbstzensur“ | |
Frankreich plant ein neues Sicherheitsgesetz. Es beeinträchtigt die | |
malträtierte Pressefreiheit in Frankreich, sagt die Sprecherin von Reporter | |
ohne Grenzen. | |
Nach Streit um Verkehr nach Mauretanien: Neuer Krieg um Westsahara | |
Die Westsahara-Befreiungsbewegung Polisario kündigt den seit 1991 geltenden | |
Waffenstillstand mit Marokko auf. In der Wüste gibt es neue Kämpfe. |