| # taz.de -- Merkels emotionale Corona-Rede: Härterer Lockdown wahrscheinlicher | |
| > Die Kanzlerin wirbt im Bundestag leidenschaftlich für härtere | |
| > Coronamaßnahmen vor Weihnachten. Auch mehrere Länderchefs sind für | |
| > schärfere Regeln. | |
| Bild: Fast flehend bei der Generaldebatte im Bundestag: Angela Merkel | |
| Berlin taz | So emotional hat man Angela Merkel lange nicht erlebt. Als es | |
| am Mittwoch in der Haushaltsdebatte im Parlament um die Coronapandemie | |
| geht, redet sie eindringlich, betont jeden Satz. „Die Zahl der Kontakte ist | |
| zu hoch“, sagt sie. „Die Reduktion der Kontakte ist nicht ausreichend.“ | |
| Merkel wird lauter, einmal überschlägt sich ihre Stimme fast. Wenn die | |
| Wissenschaft geradezu flehe, vor dem weihnachtlichen Besuch bei den | |
| Großeltern die Kontakte eine Woche lang zu reduzieren, dann solle man die | |
| Ferien schon am 16. Dezember und nicht erst am 19. Dezember beginnen | |
| lassen. „Was wird man denn im Rückblick auf ein Jahrhundertereignis mal | |
| sagen, wenn wir nicht in der Lage waren, für diese drei Tage irgendeine | |
| Lösung zu finden?“ | |
| Merkel legt die Hände zusammen, als flehe sie selbst. Es ist ein | |
| verzweifelter Appell an die Vernunft. Die Kanzlerin hat offensichtlich die | |
| Nase voll von der [1][Zögerlichkeit einiger MinisterpräsidentInnen]. Sie | |
| stellt sich hinter die Empfehlungen der Wissenschaftsorganisation | |
| Leopoldina. Das Gremium, das die Regierung berät, hatte am Dienstag dafür | |
| plädiert, ab dem 14. Dezember Schulen zu schließen und Homeoffice zur Regel | |
| zu machen. | |
| Ab dem 24. Dezember bis zum 10. Januar soll nach dem Willen der | |
| ForscherInnen ein harter Lockdown gelten. Hierfür sollten „alle Geschäfte | |
| bis auf die des täglichen Bedarfs geschlossen und die Weihnachtsferien in | |
| den Bildungseinrichtungen verlängert werden“, so die [2][Leopoldina]. | |
| „Es tut mir wirklich im Herzen leid“ | |
| Merkel betont nun, die Politik tue gut daran, die Empfehlungen „wirklich | |
| ernst zu nehmen“. Bis Weihnachten seien es noch genau 14 Tage. Man müsse | |
| alles tun, um nicht wieder in exponentielles Wachstum der Neuinfektionen zu | |
| kommen. Sie wisse, dass [3][Glühweinstände] und Waffelbäckereien mit Liebe | |
| aufgebaut würden, ruft Merkel. Aber das vertrage sich nicht mit der | |
| Vereinbarung, dass man Essen nur mit nach Hause nehmen dürfe. „Es tut mir | |
| wirklich im Herzen leid.“ Aber wenn der Preis dafür sei, dass am Tag 590 | |
| Menschen stürben, „dann ist das nicht akzeptabel aus meiner Sicht“. | |
| Mit ihrer Rede tut sie zweierlei. Sie erzwingt ein neues Treffen mit den | |
| MinisterpräsidentInnen, um über einheitlich geltende Verschärfungen zu | |
| sprechen. Und sie macht durch die Blume klar, dass der im November gefasste | |
| Beschluss der LänderchefInnen, Lockerungen an Weihnachten und Silvester | |
| zuzulassen, ein Fehler war. Jene hatten am 25. November vereinbart, dass | |
| von Weihnachten bis Neujahr Familienfeiern mit bis zu zehn Personen plus | |
| Kindern möglich sein sollen. Merkel konnte sich damals nicht mit schärferen | |
| Regeln durchsetzen. | |
| Mehrere Bundesländer planen bereits Verschärfungen. Nordrhein-Westfalens | |
| Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) plädierte für einen scharfen Lockdown | |
| nach Weihnachten. Die Länder sollten sich darauf vorbereiten, nach den | |
| Weihnachtstagen bis zum 10. Januar alles herunterzufahren, „damit wir dann | |
| mit niedrigeren Werten schnell wieder auch ins normale Leben zurück | |
| können“, sagte Laschet. | |
| Sachsen zieht die Notbremse. Dort werden ab Montag Schulen, Kindergärten, | |
| Horte und große Teile des Handels geschlossen, kündigte Ministerpräsident | |
| Michael Kretschmer (CDU) an. Rheinland-Pfalz will direkt nach den | |
| Weihnachtstagen zu schärferen Beschränkungen zurückkehren. Auch die | |
| thüringische Landesregierung plant keine Lockerungen über Weihnachten und | |
| Silvester. Die Situation sei besorgniserregend, sagte Gesundheitsministerin | |
| Heike Werner (Linke). Sie gehe davon aus, dass die derzeitigen | |
| Beschränkungen bestehen blieben. | |
| Lindner will Strategiewechsel | |
| Im Bundestag werden indes die unterschiedlichen Denkschulen der Parteien | |
| deutlich. FDP-Fraktionschef Christian Lindner wirbt für einen | |
| Strategiewechsel. „Kernpunkt“ müsse der Schutz besonderer Risikogruppen | |
| sein. Lindner wendet sich gegen das oft vorgetragene Argument, dass dann 27 | |
| Millionen Menschen in Deutschland isoliert werden müssten. Im Impfplan der | |
| Bundesregierung würden Risikogruppen geclustert, sagt er. Hochbetagte und | |
| Leute mit Vorerkrankungen hätten ein anderes Risiko als sportive | |
| Mittsechziger. | |
| Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali thematisiert die sozialen Folgen | |
| der Pandemie. Die große Koalition lasse es zu, dass Menschen, die ihre | |
| Miete wegen Corona nicht mehr zahlen könnten, die Wohnung gekündigt werde. | |
| Stromkonzerne dürften säumigen Zahlern Strom absperren. „Ich finde das | |
| unglaublich.“ Die Bundesregierung knicke vor den Interessen starker Lobbys | |
| ein, etwa denen der Fleischindustrie. Es fehle zum Beispiel Personal für | |
| Kontrollbehörden. | |
| Für ein Umsteuern durch die staatlichen Hilfsmilliarden wirbt Grünen-Chefin | |
| Annalena Baerbock. Die deutsche Politik müsse den Leitspruch „build back | |
| better“ von den Vereinten Nationen und dem gewählten US-Präsidenten Joe | |
| Biden übernehmen – also: „besser wieder aufbauen“. Dies bedeute, im | |
| Gesundheitssystem auf Vorsorge zu setzen und Hilfen für die Wirtschaft zu | |
| nutzen, um sie auf den Weg zur Klimaneutralität zu bringen. | |
| 9 Dec 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Debatte-um-Schulschliessungen/!5725474 | |
| [2] https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2020_Leopoldina-Stellu… | |
| [3] /Advent-am-Berliner-Breitscheidplatz/!5737210 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| Generaldebatte | |
| Bundestag | |
| Lockdown | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Glaube, Religion, Kirchenaustritte | |
| Schlagloch | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neujahrsansprache von Angela Merkel: „Die Kraft der Vielfalt“ | |
| Die Kanzlerin findet an Silvester berührende Worte und zeigt Haltung. Nur: | |
| Über Politik spricht sie wenig, dabei hat ihre Politik die Krise erschwert. | |
| Coronapolitik der MinisterpräsidentInnen: Grund zum kollektiven Rücktritt | |
| Die Covid-Sterbezahlen sind jetzt so hoch, weil die MinisterpräsidentInnen | |
| der Länder im November härtere Maßnahmen ablehnten. | |
| Pro und Contra Gottesdienste in Pandemie: Lockdown für alle – außer Gott? | |
| Die Coronamaßnahmen werden strenger. Doch Gottesdienste dürfen weiter | |
| stattfinden. Ein Für und Wider zu Andachten im Lockdown. | |
| Die Krisenjahre 2015 und 2020: Apathie hier, Aufbruch dort | |
| 2020 zeigt: Die Gesellschaft ist offener, flexibler und hilfsbereiter ist | |
| als die Institutionen, die sie abbilden. Das konnten wir auch schon 2015 | |
| sehen. | |
| Corona-Lockdown vor Weihnachten: Macht zu die Tür | |
| Das Robert-Koch-Institut hat den 20.372. Coronatoten in Deutschland | |
| vermeldet. Alles dichtzumachen, sofort, das wäre ein Hoffnungsschimmer. | |
| Coronamaßnahmen in EU-Ländern: Europa kämpft | |
| Corona hat unseren Alltag im Griff. Wie in Deutschland stehen auch in | |
| anderen EU-Staaten neue Restriktionen an. | |
| Galeria und Einzelhandel warnen: Angst vor Weihnachtslockdown | |
| Tote Innenstädte statt Festtagskaufrausch? Für den stationären Einzelhandel | |
| eine Horrorvorstellung. Online dagegen boomt. |