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# taz.de -- Buch über rechtsradikale Anschläge: Ressentiments damals und heute
> Der rechte Terror begann längst vor dem Aufstieg der Nazis. Florian Huber
> zeichnet die Milieus und Gefühlswelten nach, die nicht verschwunden sind.
Bild: Rechter mit Palituch und „Freikorps Heimatschutz Division 2016“-Aufsc…
Der Untertitel des Buches von Florian Huber zum Rechtsterror – „Die
Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland“ – ist historisch unpräzis und
irreführend, denn in allen Monarchien (Italien, Österreich-Ungarn und
Deutschland) agierten nach deren Niederlage im Ersten Weltkrieg ab 1918
[1][rechtsterroristische Verbände] – die Schwarzhemden (Squadristi) und die
Italienischen Kampfverbände (Fasci italiani di combattimento) in Italien,
die Ustascha in Kroatien und die Schwarze Hand in Serbien.
Richtig ist allerdings, dass der Terrorismus von rechts in Deutschland in
den Jahren 1918 bis 1924 am stärksten war. Der Dokumentarfilmer [2][Florian
Huber] rekapituliert die historisch gut aufgearbeitete Entstehung des
Rechtsterrorismus aus den arbeits- und zukunftslos gewordenen deutschen
Soldaten und Offizieren, die sich in Freikorps sammelten.
Die Entstehung der Freikorps verdankt sich der folgenreichen Vereinbarung
zwischen General Wilhelm Groener (1867–1939), der Ende Oktober 1918, als
die deutsche Niederlage absehbar geworden war, in die Oberste Heeresleitung
eintrat, mit der demokratisch-republikanischen Regierung und dem
Reichspräsidenten, die sich die Freikorps als Schutztruppe der Republik
sichern wollten gegen eine kommunistische Revolution.
Diese Rechnung ging zunächst auf, als die Nationalversammlung wegen der
drohenden Revolution in Berlin nach Weimar ausweichen musste und dort von
Freikorps bewacht wurde. Insgesamt gab es rund 350 Freikorps mit einer
Stärke von 15.000 Mann. Nach dem Abebben der revolutionären Bewegung zogen
sich die Freikorps ins Baltikum zurück, wo sie Gutsbesitzer gegen die
drohende „bolschewistische Gefahr“ aus dem Osten verteidigten.
## Marodierende Freikorps
Der wichtigste Freikorpsführer war Hermann Ehrhardt (1881–1971), der sich
mit seiner Brigade Ehrhardt am Putsch gegen die Republik (Kapp-Putsch, März
1920) beteiligte, und nach dessen Scheitern vorübergehend ins Ausland floh.
Die marodierend durchs Land ziehenden Freikorps fanden in Bayerns rechter
Regierung einen sicheren Hafen, wo sie sich sammeln und aufrüsten konnten
für Anschläge auf die Republik und deren wichtigste Vertreter – die
„Novemberverbrecher“, allen voran Matthias Erzberger (1875–1921), der den
Versailler Vertrag unterzeichnet hatte, und den „Erfüllungspolitiker“
Walther Rathenau (1867–1922), Großindustrieller, Rohstoffmanager im Krieg,
Minister für Wiederaufbau und Außenminister ab dem 1. 2. 1922.
Beide Spitzenpolitiker wurden von der im Umkreis von Ehrhardt und Manfred
von Killinger (1876–1944) gegründeten, im Untergrund operierenden
Organisation Consul (OC) ermordet.
Nach der peniblen Erforschung der OC durch den später von den Nazis
vertriebenen Mathematiker Erich Gumbel (1891–1966) beging die
rechtsradikale „Schattenarmee der Verlierer“ (Huber) zwischen 1918 und 1922
354 Morde, wovon 326 unbestraft blieben. So ordentlich die Polizei gegen
den Rechtsterrorismus ermittelte, so blind stellte sich die Justiz in den
Verfahren gegen die mutmaßlichen Mörder, die oft mit Minimalstrafen und
noch öfter mit Freisprüchen davonkamen.
## Zwei Einwände
Huber referiert die historischen Fakten tadellos. Dennoch zwei Einwände: Er
bedient sich zuweilen einer den Kitsch streifenden Metaphorik. Turbulent
verlaufende Reichstagsdebatten verwandeln die „Herzkammer des deutschen
Parlamentarismus“ für ihn in einen „Dampfkessel der politischen
Leidenschaft“. Hier und in anderen Sätzen stellte der Stil der guten
Absicht ein Bein.
Gravierender als solche Schnitzer ist eine Idée fixe, in der der Autor
befangen ist. Zwar räumt er ein, dass historische Analogien „in mancher
Hinsicht zufällig“ – und oft nur falsch – sind. Dennoch kommt er zur
absurden These, „die Verschwörer gegen die Republik von Weimar“ hätten �…
gleichen Ressentiments, Motive und Ziele wie die Rechtsterroristen unserer
Tage“.
Das mag in Einzelfällen zutreffen, ist aber längst kein zureichender Grund,
für „den“ Rechtsterrorismus“ einen ganz großen Kessel bereitzustellen, …
den mit jedem Kapitelanfang Zitate von Götz Kubitschek, Alexander
Gauland, Marine Le Pen, Uwe Böhnhardt/Uwe Mundlos vom NSU, Björn Höcke oder
Andres Breivik eingerührt werden, die belegen sollen, mit diesen Namen
setze sich fort, was mit den mörderischen Landsknechten Ehrharts und von
Killingers begonnen habe. Nur im Dunkeln ist alles gleich schwarz –
historische Aufklärung geht anders.
18 Nov 2020
## LINKS
[1] /100-Jahre-Kapp-Putsch/!5667657
[2] /Arte-Dokudrama-zu-Olympia-1936/!5319291
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Freikorps
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Anschläge
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