Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- NDR-Reihe „Nordlichter“: Das Beste kommt zum Sendeschluss
> „Bonnie & Bonnie“, „Big Dating“ und zwei Kurzfilme: Zu nachtschlafend…
> Zeit sendet der NDR die neue Staffel seines Förderprogramms
> „Nordlichter“.
Bild: Ein Gangsterpärchen aus Hamburg-Wilhelmsburg: Kiki und Yara wird es in i…
Der Filmtitel ist fast schon eine Inhaltsangabe: „Bonnie & Bonnie“ ist eine
Anspielung auf den Mythos des Gangsterpärchens Bonnie und Clyde – doch hier
sind die einander liebenden Outlaws beide Frauen. Die 17-jährige Albanerin
Yara wächst mit ihrer muslimischen Familie in Hamburg-Wilhelmsburg auf.
Doch statt Kopftuch trägt sie bauchfrei, sie ist eine moderne junge Frau,
die mit ihrer Clique abhängt und sich so langweilt, wie es die meisten
Jugendlichen im Multikulti-Problemstadtteil eben tun. Also machen sie
„Pranks“, auf deutsch Streiche, die sie mit dem Smartphone aufnehmen und
ins Netz stellen.
Einmal gerät Yara dabei an die Falsche: Statt sich zu erschrecken, hält ihr
das vermeintliche Opfer, eine junge, großgewachsene Frau, ein Messer an die
Kehle. „Meet Cude“ nennt man solch eine erste, romantische Begegnung in
Kinofilmen, denn Yara und Kiki verlieben sich natürlich in diesem Moment
ineinander.
Und da ist dann auch schon Schluss mit dem liberalen Denken in Yaras
Familie. Dass Yaras Bruder dazu ebenfalls in Kiki verknallt ist, macht die
Geschichte noch komplizierter. Schnell wird entschieden, dass Yara den
langweiligen Nachbarsjungen heiraten soll – und ebenso schnell sind „Yara &
Kiki“ (was als Filmtitel nicht halb so cool klingt) auf der Flucht. Bald
haben sie Autodiebstähle, Raub und schwere Körperverletzung auf dem
gemeinschaftlichen Kerbholz.
„Warum erzählt ein muslimisch aufgezogener Atheist eine lesbische
Liebesgeschichte zwischen einer Muslima und einer tätowierten Powerfrau?“,
fragt der Regisseur Ali Hakim in seinem Regie-Statement. Weil er von der
„ersten Liebe als der reinsten Form der Liebe“ fasziniert ist, lautet seine
Antwort. Dass er auf diesem Weg auch eine Möglichkeit gefunden hat, eine
Gangsterballade in Wilhelmsburg zu inszenieren, dürfte wohl auch eine Rolle
gespielt haben.
Das Drehbuch schrieb die Hamburger Autorin Maike Rasch, und so bleiben uns
rein männliche Projektionen über lesbische Frauen erspart. Auch bei den
wenigen Liebesszenen spürt man nichts von einem voyeuristisch männlichen
Blick. Stattdessen gelingt es Hakim, neben der spannenden Romanze ein
authentisches Soziogram in Wilhelmsburg lebender Jugendlicher zu zeichnen.
Eine Räuberpistole wird „Bonnie & Bonnie“ erst in der letzten halben
Stunde, und da merkt man leider schnell, dass Hakim kein Actionregisseur
ist.
Auch die beiden sympathischen und bis dahin angenehm natürlich spielenden
Hauptdarstellerinnen Emma Drogunova und Sarah Mahita sind hinter dem Steuer
eines Fluchtautos oder mit einer Pistole in der Hand längst nicht mehr so
glaubwürdig wie beim Streit mit den homophoben Machos des Viertels oder
beim übermütigen Sektklau im Nobelrestaurant. Abgesehen von dieser
Einschränkung inszenierte Ali Hakim „Bonnie & Bonnie“ jedoch schnell, frech
und mit ganz eigenem Witz. Im letzten Jahr lief der Spielfilm dann auch auf
vielen queeren Filmfestivals.
„Bonnie & Bonnie“ ist eine von insgesamt vier Produktionen, die der NDR
zusammen mit den norddeutschen Filmförderanstalten über sein
Nachwuchs-Förderprogramm „Nordlichter“ finanzierte. Neben „Bonnie & Bonn…
als einzigem Langfilm gehören zu der neuen Ernte die Miniserie „Big Dating“
sowie zwei Kurzfilme.
Das Förderprogramm „Nordlichter“ gibt es seit 2014, und in den früheren
Ausgaben wurden fast ausschließlich Langfilme von etwa 90 Minuten Länge
produziert, die in die Programmformate des NDR passten. Nun wurden zum
ersten Mal auch Kurzfilme produziert. Dabei steht der 25 Minuten lange Film
„Kippa“ von Lukas Nathrath auch in einer weiteren Tradition der Hamburger
Talentförderung, denn er ist ein Abschlussfilm der Hamburg Media School,
von denen in den vergangenen Jahren viele in Hollywood mit
„Studentenoscars“ ausgezeichnet wurden. Gewinner wie „Die Rote Jacke“ u…
„Watu Wote“ waren wie maßgeschneidert für diesen Wettbewerb, und auch
„Kippa“ ist nach dem gleichen Strickmuster produziert.
Der Kontext ist ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema, vor dessen
Hintergrund eine bewegende Geschichte erzählt wird, in der die Filmfiguren
nicht zu Opfern der Verhältnisse werden, sondern selbst die Initiative
ergreifen. In „Kippa“ ist das Thema Antisemitismus im heutigen Deutschland.
Der Jugendliche Oskar ist weder religiös noch politisch interessiert, doch
als in seiner Schule bekannt wird, dass er Jude ist, wird er von
Mitschülern beleidigt und drangsaliert. Als seine Eltern sich darüber in
der Schule beschweren, wird schnell klar, dass von Lehrer und Schulleiter
keine Hilfe zu erwarten ist. Und so wehrt Oskar sich selbst. Lukas Nathrath
wurde durch die wahre Geschichte eines jüdischen Jugendlichen inspiriert,
der 2017 seine Gesamtschule in Berlin verlassen musste, weil er von seinen
Mitschülern körperlich angegriffen wurde.
Es gelingt dem jungen Regisseur, die Ungerechtigkeit spürbar zu machen, die
dem jungen Juden widerfährt, indem er konsequent aus dessen Perspektive
erzählt. Den Oscar hat der Film zwar nicht bekommen, dafür aber bislang 20
andere Auszeichnungen, darunter den Europäische Civis-Medienpreis.
Tarek Roehlingers 38 Minuten langer Kurzspielfilm „Fünf nach Zwölf“ erzä…
von der Liebe zwischen Vater und Sohn. Sebastián ist schon längst kein
Jugendlicher mehr, doch er lebt noch bei seiner spanischen Mutter Maria und
kann weder für sich noch für sie sorgen. Sein Leben ist ein Chaos mit
Plastiktüten voller Mahnungen und unbezahlter Rechnungen, weil er kaum die
Energie aufbringt, mittags aus dem Bett zu kommen.
Als der Gerichtsvollzieher mit der Kündigung der Wohnung droht, hilft
widerwillig Sebastiáns Vater Manuél, indem er seinem Sohn einen Job im
Hamburger Hafen besorgt. Sebastían rappelt sich auf und bemüht sich. Doch
solange das Verhältnis zwischen den beiden nicht geklärt ist, kann er nicht
erwachsen werden.
„Fünf vor Zwölf“ spielt unter Männern und zeigt, wie Versagungsängste u…
enttäuschtes Verlangen nach Anerkennung eine Persönlichkeit deformieren
können. Roehlinger trifft genau den Ton, der unter ihnen herrscht und ihre
Sprachlosigkeit ausdrückt: Eine ehrliche Aussprache ist da nur schwer
betrunkenen in der Kneipe möglich. Nebenbei wird hier auch ein
realistisches Bild von der Arbeitswelt im Hamburger Hafen gezeichnet.
Welchen Wert der NDR seiner eigenen Talentschmiede beimisst, kann man daran
erkennen, dass die Filme in der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember
nacheinander weg von 23.15 Uhr bis 1.50 Uhr ausgestrahlt werden. Zur
Primetime um 21.00 Uhr läuft dagegen „Der große Urlaubscheck: Norwegen im
Winter“. Man darf dem Publikum nicht zu viel zumuten. In „Bonnie & Bonnie“
und „Fünf nach Zwölf“ wird in einigen Szenen sogar Albanisch und Spanisch
mit Untertiteln gesprochen. Und das mögen die Programmmacher*innen
überhaupt nicht. Das jüngere Zielpublikum kann sich die drei Filme dann ja
in der ARD-Mediathek ansehen.
5 Dec 2020
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
NDR
Queer
Deutscher Film
Antisemitismus
Hamburg-Wilhelmsburg
Hamburg
Medien
Unterhaltungsfernsehen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Programmreform beim NDR: Sparen wie nie zuvor
Der NDR muss sparen. Lieb gewonnene Sendungen sollen wegfallen. Das wirft
viele Fragen auf, die die Hamburgische Bürgerschaft allerdings nicht
stellt.
Mystery-Reihe beim NDR: Innere Unruhe, äußerer Schrecken
Hexenjagd, Moor und Realitätsvernebelung: Die Mystery-Filme, die der NDR in
seiner „Nordlichter“-Reihe zeigt, passen gut zum ungemütlichen Zeitgeist.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.