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# taz.de -- Biochemiker über Sicherheit von Corona-Impfstoffen: „Die Daten m…
> Das Paul-Ehrlich-Institut prüft, ob Covid-19-Impfstoffe wirken und sicher
> sind. Präsident Klaus Cichutek beteuert: Dafür tue man alles Erdenkliche.
Bild: Die derzeit wohl heißbegehrteste Spritze der Welt
taz am wochenende: Herr Cichutek, normalerweise dauert es Jahre, bis ein
Impfstoff entwickelt ist. Jetzt sind es Monate. Das Bauchgefühl sagt einem,
dass da doch irgendwo Abstriche gemacht werden müssen, etwa bei der
Sicherheit. Kann man das ausschließen?
Klaus Cichutek: Ich kann Sie beruhigen. Wir handeln nicht nach Bauchgefühl,
sondern mit dem Kopf. Unsere Expertinnen und Experten haben jahrzehntelange
Erfahrung bei präventiven Humanimpfstoffen. Das war die Grundlage für
unseren Rat vom Frühjahr dieses Jahres, wie die Entwicklung beschleunigt
werden kann. Wir haben bei Herstellung und Qualität von
Covid-19-Impfstoffen exakt die gleiche Vorgehensweise wie bei anderen
Humanimpfstoffen. Bei klinischen Studien haben wir das gleiche Setting.
Und wie ging dann alles so schnell?
Wir haben zwar gesagt, dass bestimmte unabdingbare, nicht klinische
Untersuchungen durchgeführt werden müssen, bevor eine Erprobung am Menschen
stattfindet. Aber andere, unkritische Untersuchungen, die sonst vorher
stattfinden, konnten jetzt auch parallel zu den klinischen Tests gemacht
werden. Das hat sich bewährt. Bei den klinischen Prüfungen der
Covid-19-Impfstoffe sind sogar mehr Probanden dabei als sonst üblich. Und
es wurden Phasen bei klinischen Studien kombiniert, zum Teil unter einer
Zwischenbegutachtung durch das [1][Paul-Ehrlich-Institut] oder andere
Arzneimittelbehörden.
In Europa könnte es bald eine vorläufige Zulassung geben. Bis dahin kann
aber nur ein Teil der Daten aus den klinischen Studien ausgewertet werden.
Fehlen so nicht relevante Daten zur Sicherheit der Impfstoffe?
Nein. Auch eine vorläufige Zulassung, so sie denn zum Tragen kommt, legt
zugrunde, dass ein ausreichender Datensatz vorhanden ist. Qualität,
Sicherheit und Wirksamkeit können wir damit beurteilen. Die Datenbasis wird
sehr groß sein, es gibt ja zwischen 30.000 und 60.000 Probanden bei den
Tests.
In den USA und auch hier kursiert die Zahl: Wenn die Daten zur
Impfstoffsicherheit bei 3.000 Proband*innen ausgewertet sind, kann eine
vorläufige Zulassung erfolgen.
Das stimmt so nicht. Die Zahl stammt zwar von uns, kann aber nicht auf die
Covid-19-Impfstoffe bezogen werden. Sie gibt lediglich wieder: Wenn 3.000
Menschen geimpft wurden, dann kann man seltene Risiken für Nebenwirkungen
mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 1.000 erkennen. Das ist die
Mindestanforderung, die wir haben. Das wird aber nur bei bereits bekannten
Impfstoffen angewendet, die neu kombiniert werden – etwa in den bekannten
Mehrfachimpfstoffen.
Wie viele Daten zur Sicherheit brauchen Sie denn?
Ob eine Zulassung beantragt werden kann, entscheidet ein Prozess. Die Daten
müssen bei der neuen Taskforce der [2][Europäischen Arzneimittelagentur
EMA] vorgelegt werden. Berichterstatter, Ko-Berichterstatter und der
Ausschuss für Humanarzneimittel, in dem auch das Paul-Ehrlich-Institut und
Arzneimittelbehörden der anderen EU-Mitgliedstaaten vertreten sind,
bewerten sie. Die Daten müssen absolut valide sein. Ob sie ausreichen,
können wir noch nicht sagen, das beurteilen wir individuell für jeden
Impfstoff. Wie es aussieht, werden wir aber eine Datenbasis von mehreren
10.000 Proband*innen haben. Da können dann Risiken mit einer
Wahrscheinlichkeit von mindestens 1 zu 1.000 und niedriger erkannt werden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine noch nicht erkannte Nebenwirkung
auftritt, liegt bei deutlich unter 0,1 Prozent.
Fühlen sich die Zulassungsbehörden wegen der öffentlichen Erwartungshaltung
unter Druck gesetzt?
Das kann man ausschließen. Der Ausschuss für Humanmedizin bei der EMA, der
CHMP, ist ein wissenschaftlicher Ausschuss, der nicht unter politischem
Druck steht. Da sitzen Vertreterinnen und Vertreter aus allen europäischen
Mitgliedstaaten, und hinter denen stehen große Teams in den jeweiligen
Instituten. Wir stellen dort sicher, dass die Impfstoffe eine hohe Qualität
aufweisen und unbedenklich sind. Sie müssen sich vor Augen führen, dass in
einer Phase-III-Studie randomisiert und doppelt verblindet wird. Das
bedeutet, dass die Geimpften und die Impfenden beide nicht wissen, wer ein
Placebo und wer einen Impfstoff bekommt. Die Firmen wissen das auch nicht.
Die Auswertung ist rein wissenschaftlich und unterliegt keinem öffentlichen
Einfluss.
Impfstoffe auf Basis von mRNA, wie die von Biontech oder Moderna, sind noch
nie massenhaft eingesetzt worden. Braucht es da nicht besondere Vorsicht?
Diese Vorkehrungen haben wir getroffen. Die klinischen Prüfungen sind
besonders groß angelegt, in allen drei Phasen. Und wir haben auch
nichtklinische Studien auferlegt, die diese Impfstoffe am Tier untersuchen,
mit erhöhter Wirkstoffmenge. Da werden dann alle Organe und physiologischen
Parameter untersucht, die irgendwelche Schäden anzeigen können. Auch in den
klinischen Studien gibt es begleitende Untersuchungen, um solche Schäden zu
erkennen. Bei mRNA-Impfstoffen gibt es bereits Erkenntnisse in der
Krebs-Immuntherapie. Die dritte Vorsichtsmaßnahme werden aktive
Pharmakovigilanzstudien sein, die wir gerade planen.
Pharmakovigilanz?
Nebenwirkungsbeobachtungen. Die beruhen darauf, dass wir Verdachtsfälle von
Impfkomplikationen direkt über unsere Internetseite entgegennehmen. Alle
können sich dort melden, wenn sie einen Zusammenhang mit der Impfung
vermuten, diese Meldungen werden dann von der Abteilung
Arzneimittelsicherheit bewertet. Ärzt*innen, Apotheker*innen und die
Unternehmen sind zu den Meldungen ohnehin verpflichtet. Eine
Verdachtsfallmeldung bedeutet nicht automatisch, dass die Reaktion von der
Impfung verursacht wurde.
Bei der letzten Pandemie gab es den Schweingrippeimpfstoff Pandemrix, bei
dem Fälle von Narkolepsie aufgetreten sind – wenn auch in geringem Umfang.
Das war bei den Studien nicht aufgefallen. Kann das jetzt auch passieren?
So etwas ist nie völlig auszuschließen, es gibt in keinem Bereich unseres
Lebens hundertprozentige Sicherheit. Impfstoffe gehören aber zu den am
besten getesteten und sichersten Arzneimitteln und schützen uns etwa vor
Meningokokken, Pneumokokken und Influenza. Die Narkolepsiefälle waren nicht
vorhersehbar, ein neues Phänomen. Es gibt Hinweise, dass eine bestimmte
genetische Disposition das Auftreten begünstigte. Und um die extreme
Seltenheit vor Augen zu führen, so tragisch das für die Einzelnen auch ist:
Wir reden hier davon, dass die Krankheit normalerweise bei 1 von 100.000
Personen pro Jahr neu auftritt (Inzidenz), nach den Impfungen waren es 4
bis 6 Fälle pro 100.000.
Es könnte sein, dass Impfgegner Videos mit echten oder vermeintlichen
Nebenwirkungen ins Netz stellen. Wie kann man das verhindern?
Man muss Transparenz üben in Bezug auf die Nebenwirkungen, die sich gezeigt
haben. Wir verlassen uns da nicht auf irgendwelche Videos im Netz. Es gibt
Daten, die wir bewerten werden. Die bisher beobachteten Nebenwirkungen bei
Covid-19-Impfstoffen waren die, die wir von Influenza-Impfstoffen kennen.
Sie sind vorübergehend: Kopfschmerzen, Unwohlsein, Fieber, Schmerz an der
Einstichstelle. Wir beurteilen die Schwere, Dauer und Häufigkeit und setzen
sie in Bezug zum Nutzen der Impfung. Wir als Institut haben von Anfang an
auch die theoretischen besonderen Risiken bei Covid-19-Impfstoffen
angesprochen.
Und die wären?
Eine Imbalance der Antikörpererzeugung oder eine bestimmte Polarisierung
des Immunsystems. Wir haben deshalb Untersuchungen an Tieren veranlasst.
Auch in den klinischen Studien haben wir entsprechende Untersuchungen
auferlegt. Bisher ist keines dieser Risiken zutage getreten. Wir haben aber
weitreichende Vorsichtsmaßnahmen getroffen: bestimmte Konformationen des
Antigens oder Impfstoffplattformen, die das nicht begünstigen.
Was bedeutet eine Polarisierung des Immunsystems?
Es gibt verschiedene Immunantworten. Wir wünschen uns eine TH1-Antwort. Aus
Tierversuchen hatten wir vermutet, dass es eine TH2-Antwort gibt, die das
Immunsystem schädigen kann. Das ist aber bisher nicht aufgetreten.
Sind wir in Europa langsamer mit der Zulassung als in den USA?
Nein. Inzwischen gibt es drei gestartete Rolling-Review-Verfahren durch
Einreichung von Teildaten bei der Europäischen Arzneimittelagentur. Die
Kriterien, die wir bei der Zulassung anlegen, sind ähnlich wie in den USA.
Zwischen uns findet kein Wettbewerb um die schnellste Zulassung statt. Im
Gegenteil, wir verabreden uns untereinander, momentan gibt es zweiwöchige
Telefonkonferenzen mit allen global agierenden Arzneimittelbehörden. Das
Paul-Ehrlich-Institut arbeitet in mehreren Gremien der WHO, in denen Fragen
zu Covid-19-Impfstoffen behandelt werden. Wir handeln also global
abgestimmt und hoffen, dass mehrere Impfstoffe in allen Regionen der Welt
zugelassen werden, damit auch genug produziert werden kann. Denn ein
Hersteller allein wird [3][den weltweiten Bedarf] nicht decken können.
21 Nov 2020
## LINKS
[1] https://www.pei.de/DE/home/home-node.html
[2] https://europa.eu/european-union/about-eu/agencies/ema_de
[3] /Impfstoff-zunaechst-nur-fuer-reiche-Laender/!5729876
## AUTOREN
Ingo Arzt
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