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# taz.de -- Die Wahrheit: Hurra! Die Impfstoffe sind da!
> Jetzt im großen Wahrheit-Test: die brisanten Varianten sämtlicher bislang
> entwickelter Seren gegen den überaus zähen Corona-Erreger.
Ins tiefe Tal der turmhohen zweiten Coronawelle dringt ein zarter
Lichtstrahl. Er stammt aus Laboren rund um den Globus, in denen
Wissenschaftler an Impfstoffen gegen Covid-19 forschen. Doch welches Mittel
hat immunologisch die Nase vorn und welches Präparat passt am besten zu
Fischgerichten? Um die Spreu vom vakzinären Weizen zu trennen, ist die
Wahrheit-Redaktion zur Schluck-und Piek-Verkostung angetreten.
Die Ouvertüre der Immunisierungs-Oper besorgte Russland, dessen
Vektorimpfstoff „Sputnik V“ bereits im August Premiere feierte. Schon zuvor
hatten russische Wissenschaftler die Welt mit revolutionären
Lifestyle-Produkten überrascht. Gewagte Kompositionen wie das Nervengift
Nowitschok, das ausreisenden Oppositionellen mittlerweile als Must-have
gilt, haben Moskowiter Laboren den Ruf einer kämpfenden Avantgarde
eingebracht, die wenig Rücksicht auf Tragekomfort und Kundenwünsche nimmt.
Doch eben dieser kompromisslose Aplomb findet weltweit immer mehr Freunde
und Nachahmer. Entweder man liebt den Stil des postsowjetischen
Autoritarismus oder man stirbt daran.
„Sputnik V“ aus dem staatlichen Gamaleja-Institut kommt aktuell so edgy und
vintage daher, wie man es von Produkten mit FSB-Gütesiegel gewohnt ist. Die
Stalinorgel unter den Vakzinen wird in einer Sto-Gramm-Phiole geliefert,
die etwas schwer in der Hand liegt, aber gekonnt den Shabby Chic des
russischen Raumfahrtprogramms zitiert. Die Degustation bestätigt diesen
Eindruck.
## Imperiale Größe
Gleich seinem nostalgischen Namen evoziert „Sputnik V“ Bilder von
Sowjetmacht und imperialer Größe. Allerdings auch von toten Hunden. In der
Kopfnote dominieren herbe Noten von Tundramoosen und
Kommunalka-Gemeinschaftstoiletten, der samtweiche Körper überzeugt mit
schwermütigen Molltönen, ohne die schwerindustrielle Basisnote zu
übertönen, die sich mit einen Hauch Stalinismus und hypermaskulinem
Muschik-Moschus zu einem verstörend robusten Grundakkord verbindet.
Die Zutatenliste ist top secret, doch schmecken wir als erfahrene
Vakzin-Sommeliers neben der rAd26-Komponente mit ihren abgewandelten
Adenoviren auch Sauerrahm und rote Bete heraus, ohne die auch modernste
russische Giftküche nicht auskommen mag. Der supergeheime Grundstoff
erweist sich jedoch als gewöhnlicher Kartoffelschnaps. Na sdorowje!
## Nebenwirkung mit Vollrausch
Der Beipackzettel verspricht nicht nur Wirksamkeit gegen das Virus,
„Sputnik V“ heilt auch Homosexualität sowie Fall- und Nesselsucht. Die
Nebenwirkungen sind mit denen eines Terpentin-Vollrauschs vergleichbar.
Noch Wochen nach der Einnahme von „Sputnik V“ fühlten wir uns wie ins All
geschossen, dafür wuchsen uns hübsche Pelzmützen. Fazit: Eine aufregende
Kreszenz für unerschrockene Connaisseure.
Wesentlich verbraucherfreundlicher kommt ein Impfstoff daher, den die
sympathische Mainzer Biotech-Boutique Biontech mit dem sympathischen
Pharmariesen Pfizer entwickelt hat. Zigtausende Probanden haben den
Anti-Corona-Drops mit dem sperrigen Namen „BNT162b2“ bereits gelutscht,
ohne nennenswert Schaden zu nehmen. Neben Schüttelfrost, Gelenk- und
Kopfschmerzen wurden bloß rasant steigende Fieberkurven an der Börse
beobachtet. Pfizer verspricht eine Wirksamkeit von fast 300 Prozent für
Aktionäre, für Patienten liegt sie derzeit bei 95 Prozent.
„BNT162b2“ wird in der 0,75-Liter-Einwegspritze geliefert und vom Kenner
intramuskulär in die Arschbacke degustiert. Im Vergleich mit dem
temperamentvollen Russen nimmt sich das Massen-Cuvée aus der Mainzer
Flachlage „An der Goldgrube“ blass aus, deswegen erhöhen wir die Dosis
vorsichtig um das Achtzehnfache. Abgesehen von den belebenden Nadelstichen
möpselt der Verschnitt aus Lipid-Nanopartikeln mit modifizierter mRNA recht
fad in der Blutbahn. Erst als wir beherzter nachspritzen, überzeugt uns die
stechenden Herznote, die sich vom schnellen Klopfen zum beschwingten Galopp
steigert. Das macht Spaß, da ist Musik drin!
Auch die Kopfnote lässt sich durch Selbstmedikation ausbauen: Als die
Ampulle zur Neige geht, fühlen wir uns dank Boten-RNA dem Coronavirus
endlich mystisch verbunden. Nach einer weiteren Magnumflasche wabern wir
selbst als schleimige Doppelmembran mit keulenförmigen Ausstülpungen durch
die Gegend. Fazit: Ein harmloser Impfspaß für die ganze Familie.
## Schutzwirkung mit Geschmack
Eine Woche nach Biontech trumpfte US-Konkurrent Moderna auf: 94,5 Prozent
Schutzwirkung bei 30.000 Teilnehmern in der Phase-3-Verkostung. Damit hat
deren Präparat „mRNA-1273“ den Rivalen beinah überflügelt. Einen festlic…
Barrique darf man von den Amerikanern dennoch nicht erwarten. Für den
europäischen Geschmack dürfte das Produkt außerdem zu süß ausfallen.
Zwar gefallen die Rauchakzente von Hickory und Sykamore, doch erschweren
die allzu massiv gesetzten Kontrapunkte Marshmallow und Corn Syrup das
Zirkulationserlebnis in den Arterien. Als störend dürften ferner die
dominanten Röstzwiebelaromen und die mittelschwere Paranoia empfunden
werden, die Probanden noch Tage nach der Einnahme ausdünsten. Allerdings
treten diese Phänomene nur auf, wenn man bei der Dosierung Ounces mit
Gallonen verwechselt. Ein Anfängerfehler, wie wir zugeben müssen. Fazit:
Solides Immun-Fastfood zum saftigen Preis (32 bis 37 Dollar pro Dosis).
Über die Nebenwirkungen können wir erst Auskunft geben, wenn wir sie durch
den Dschungel gejagt und zur Strecke gebracht haben.
Bereits sternhagelvollgeimpft machen wir uns auf, um im Asia-Shop die
letzte Charge zu testen. Den asiatischen und arabischen Markt wollen die
Konglomerate Sinopharm und Sinovac aufrollen, die in China, Bahrain und
den Emiraten bereits subkutan tätig sind. Die Immunologen aus Fernost
ersparten sich allzu langwierige Prüfungen, indem sie die Vakzine per
Notfallzulassung direkt in die Bevölkerung piekten. Die Führung vertraut
dem Volk, nur uns verweichlichten Westlern wird solche Robustheit mal
wieder nicht zugetraut.
Im Regal finden wir noch eine angebrochene Packung Sino-Vakzin. Optisch
kaum von getrockneten Fischköpfen, Schweineohren oder Teerpappe zu
unterscheiden, überrascht der China-Impfstoff durch crunchige Textur und
belebende Schärfe. Man kann ihn rauchen, spritzen oder streicheln. Die
Nebenwirkungen sind schwer zu beschreiben. Am ehesten ähneln sie einem
Herrn mittleren Alters, der uns mit dem Besen aus seinem Laden jagt.
Wir entschließen uns deswegen, den Impfstoff draußen an die Fledermäuse zu
verfüttern. Wir selbst sind nach dem anstrengenden Impfmarathon längst
immun, das bestätigen unsere drei Antikörper. Sie heißen Heinz, Frau Quitte
und Dr. Korritke.
21 Nov 2020
## AUTOREN
Christian Bartel
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