# taz.de -- Hungerstreik in Kuba: Fanal gegen Repression | |
> In Kuba protestiert das Künstler*innenkollektiv Movimiento San Isidro mit | |
> einem Hungerstreik gegen die Inhaftierung eines jungen Rappers. | |
Bild: Protestaktion in New York für Denis Solis | |
BERLIN taz | Der, um den es eigentlich geht, der oppositionelle Rapper | |
Denis Solís González, sitzt im Gefängnis Valle Grande in Kubas Hauptstadt | |
Havanna. Für seine Befreiung sind mehrere Mitglieder des kubanischen | |
Künstler*innenkollektivs [1][Movimiento San Isidro] seit gut einer | |
Woche im Hungerstreik, zwei von ihnen verweigern inzwischen nicht nur | |
Nahrung, sondern auch Flüssigkeit. | |
Am Morgen des 6. November hatte plötzlich ein uniformierter Polizist mitten | |
in Denis Solís’ Wohnung gestanden, ohne sich vorzustellen, auszuweisen oder | |
irgendwelche Dokumente vorzulegen. Das darf die Polizei auch in Kuba nicht, | |
und Solís bat ihn, zunächst sehr höflich, sein Haus zu verlassen. | |
Es war nicht die erste Begegnung des heute 31-jährigen Rappers mit der | |
kubanischen Staatsmacht. Er hatte Krankenpfleger gelernt, den schlecht | |
bezahlten Beruf jedoch schnell an den Nagel gehangen und verdiente sich den | |
Lebensunterhalt als Fahrradtaxifahrer in Havanna. Die Behörden | |
beschlagnahmten das Fahrradtaxi, und im März 2016 stellte sich Solís auf | |
einen Platz in Havanna mit einem Sandwich-Plakat mit der Aufschrift: „Die | |
Behörden haben mir mein Fahrradtaxi weggenommen, von dem ich lebe. Es | |
reicht!“ Dafür musste er zwei Monate ins gleiche Gefängnis, in dem er auch | |
jetzt einsitzt. | |
Der Vorfall war der Beginn seiner oppositionellen Sozialisation, die sich | |
seither in seinen Aktionen und Texten ausdrückt. Solís entwickelte sich zum | |
scharfen Antikommunisten, und auf seiner Facebookseite fanden sich in den | |
letzten Wochen vorwiegend Unterstützungsbekundungen für den US-Präsidenten | |
Donald Trump. | |
## Verurteilung im Schnellverfahren | |
Als der Polizist an jenem 6. November nicht ging, begann Solís, die | |
Unterhaltung mit dem Handy zu filmen und [2][live auf Facebook] zu | |
übertragen – der Polizist filmte zurück, ging aber nicht. Irgendwann wurde | |
Solís richtig ärgerlich und beschimpfte den Polizisten als „penco en | |
uniforme“, in etwa „Feigling in Uniform“, nur im kubanischen Straßenslang | |
etwas unhöflicher. | |
Kurze Zeit später wurde Solís verhaftet und in einem Schnellverfahren wegen | |
Beamtenbeleidigung zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Schnellverfahren | |
sind ohnehin rechtsstaatlich bedenklich – in diesem Fall ist der Vorwurf | |
der Beamtenbeleidigung aber auch haltlos, denn auch Kubas Strafgesetzbuch | |
sieht den Tatbestand nur dann gegeben, wenn ein Polizist in Ausübung seiner | |
Tätigkeit beleidigt wird. Die aber war in diesem Fall per se illegal. | |
Doch das sind letztlich Spitzfindigkeiten, denn im Kern geht es um eine | |
immer schärfere Auseinandersetzung des kubanischen Staates mit unabhängigen | |
oder oppositionellen Künstler*innen, Journalist*innen, | |
Andersdenkenden. | |
Das Movimiento San Isidro gründete sich 2018, um gegen die Verfolgung | |
unbequemer Kunst durch die kubanische Staatssicherheit und die Politische | |
Polizei zu protestieren – seitdem sind etliche seiner Mitglieder immer | |
wieder belästigt, bedroht, festgenommen, verhört oder sogar für mehrere | |
Monate eingesperrt worden. | |
## #freedenis: Solidaritätsbekundungen im Ausland | |
Erste Proteste gegen Solís’ Inhaftierung wurden von der Polizei | |
unterbunden. Am Tag nach seiner Festnahme, als noch niemand wusste, wo er | |
eigentlich war, demonstrierte die Gruppe vor der örtlichen Polizeistation – | |
alle wurden festgenommen und erst gegen Mitternacht an verschiedenen | |
Stellen der Stadt wieder freigelassen. Eine Aktion des geflüsterten | |
Gedichtelesens an verschiedenen Orten in Havanna zum Stadtgeburtstag führte | |
ebenfalls zu Festnahmen. | |
Seit dem 18. November versammelt sich die Gruppe in einem Haus in Havannas | |
Altstadt und begann den Hungerstreik. Der gesundheitliche Zustand der | |
beiden auch durststreikenden Aktivisten verschlechtert sich offenbar | |
täglich. In sozialen Netzwerken und in vielen Ländern der Welt, darunter | |
den USA und Spanien, gab es inzwischen Solidaritätsaktionen. | |
Der junge, meist in den USA lebende kubanische Journalist und | |
Schriftsteller Carlos Manuel Álvarez, Mitgründer des unabhängigen | |
Online-Mediums [3][El Estornudo], Kolumnist der [4][Washington Post] und | |
gelegentlicher [5][taz-Autor], kehrte am Dienstag nach Kuba zurück und | |
schaffte es, trotz mannigfaltiger Polizeiabsperrungen, in das Haus zu | |
gelangen. Er ist mit einigen der Künstler*innen seit Jahren befreundet. | |
Am Mittwoch meldeten sich er und die anderen Protestierenden mit einem | |
[6][Livestream aus dem Haus]. | |
Ihre Forderung: Dialog mit den kubanischen Behörden, Freilassung von Denis | |
Solís. Doch für den kubanischen Staats- und Parteiapparat handelt es sich | |
bei der Gruppe nicht um Künstler*innen, sondern um „Terroristen“ im Dienste | |
der USA. Das machten staatliche Medien inzwischen in mehreren | |
[7][Beiträgen] deutlich. Ein Einlenken scheint undenkbar. | |
Der Hungerstreik von San Isidro birgt die Gefahr, zu einem tödlichen Fanal | |
zu werden. | |
25 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/Mov_sanisidro | |
[2] https://www.facebook.com/100017269035041/videos/790464094872551/ | |
[3] https://revistaelestornudo.com/ | |
[4] https://www.washingtonpost.com/opinions/2020/11/22/group-cuban-artists-is-d… | |
[5] /Essay-zum-Tod-des-Revolutionsfuehrers/!5360786 | |
[6] https://www.facebook.com/101986484610295/videos/812380869545153 | |
[7] http://www.cubadebate.cu/noticias/2020/11/24/toda-la-verdad-en-san-isidro-v… | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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