# taz.de -- Pressefreiheit auf Kuba: Staat kriminalisiert Journalismus | |
> In Kuba ist eine Vorladung von Behörden ein repressiver Akt. Sich dem | |
> Druck zu entziehen ist schwer, wie unser Autor aus eigener Erfahrung | |
> weiß. | |
Bild: Straßenszene in der kubanischen Stadt Trinidad | |
Am 11. Februar wurde mir an meiner Haustür eine Mitteilung der Ausländer- | |
und Einwanderungsbehörde des kubanischen Innenministeriums übergeben. Ein | |
uniformierter Beamter von etwa 35 Jahren, korpulent und mit Kindergesicht, | |
reichte mir einen Zettel, mit dem ich informiert wurde, dass ich mich am | |
Donnerstag, den 13. Februar um 9 Uhr im Büro der Behörde einzufinden hätte. | |
Laut der mit Unterschrift und Siegel versehenen Mitteilung drohte mir eine | |
Strafe nach § 5/88 des Strafgesetzbuches, wenn ich nicht erschiene. | |
Mit dem Zettel in der Hand ging ich ins Haus zurück und zeigte ihn diskret | |
meiner Frau. Meine Eltern, bei denen wir wohnen, sind Mitglieder der | |
Kommunistischen Partei. Sie wissen, dass ich vom Filmemachen und Schreiben | |
lebe, aber sie haben keine Ahnung, dass sich die politische Polizei für | |
mich interessieren könnte. Mein Vater, 84, ist gesund, meine Mutter, 74 – | |
die er pflegte – litt unter fortgeschrittener Demenz und nahm wenig von der | |
Welt wahr, die sie umgab. Vor wenigen Tagen ist sie gestorben. | |
Ich erinnerte mich, dass diese Vorladungen meist fehlerhaft sind, und las | |
sie noch einmal. Ich fand den Fehler: Sie war nicht von der zuständigen | |
Behörde ausgestellt und unterschrieben worden. Der gleiche Paragraf, der | |
auf dem Zettel zitiert wurde, bestimmt auch, dass eine Vorladung für | |
ungültig erklärt werden kann, wenn sie nicht von einem Ermittlungsrichter, | |
Staatsanwalt oder Gericht ausgestellt wurde. Diese Vorladung hier war von | |
einem Hauptmann der Migrationsbehörde unterschrieben. Es stand auch nicht | |
darauf, was der Grund für die Vorladung war. | |
Eine Rechtsanwältin, die mich in solchen Fällen vom Exil aus berät, hat mir | |
erklärt, dass ich eine regelwidrige Vorladung sofort nach Erhalt für | |
ungültig erklären muss. Ich eilte zur Haustür zurück – aber der Beamte war | |
bereits gegangen. | |
Der kubanische Staat kriminalisiert den unabhängigen Journalismus über das | |
„Gesetz zum Schutz der Nationalen Unabhängigkeit und der Wirtschaft Kubas“. | |
Dessen Zweck ist es, „Tatbestände festzustellen und zu sanktionieren, die | |
dazu dienen, die Ziele des Helms-Burton-Gesetzes, der Blockade und des | |
Wirtschaftskriegs gegen den sozialistischen Staat und die Unabhängigkeit | |
Kubas zu unterstützen, zu ermöglichen oder ihnen zuzuarbeiten.“ Damit wird | |
jeder zum Delinquenten, der „auf irgendeine Weise mit Radio- oder | |
Fernsehsendern, Zeitschriften oder ausländischen Medien zusammenarbeitet“. | |
Gleichzeitig aber existieren die unabhängigen Medien, und einige, wie El | |
Estornudo, wurden ohne irgendeine finanzielle Hilfe gegründet, einfach aus | |
Berufung und Rebellion derjenigen, die das machen wollten. Diese | |
unabhängigen kubanischen Medien dürfen innerhalb des Landes keinerlei | |
Geschäft betreiben. So sind sie gezwungen, im Ausland nach Geldgebern zu | |
suchen, was der kubanische Staat wiederum ganz nach Belieben als | |
ausländische Einmischung anprangern kann. Es geht dabei um die Inhalte, die | |
da außerhalb der Kontrolle und der Zensur der Staatsorgane veröffentlicht | |
werden. | |
Der kubanische Staat verfolgt die unabhängigen Journalisten oder hält sie | |
unauffällig an der Leine, und das Unbehagen, was das auslöst, wird wiederum | |
vom, sagen wir, „Imperium“ kritisiert, und so wird weiter Öl ins Feuer | |
gegossen. | |
Daher nahm ich an, dass es gar nicht die Einwanderungsbehörde war, die mich | |
vorlud. Nicht nur, weil ich die Geschichten der Festnahmen, Verhöre und | |
Bedrohungen gegen Journalisten anderer Medien kannte, von denen jede Woche | |
in den digitalen Medien zu lesen ist. Sondern auch, weil zwei Freundinnen | |
genau zu der gleichen Adresse bestellt worden waren wie ich, um dort von | |
Beamten der Staatssicherheit verhört zu werden. | |
Drei Monate zuvor, am 14. November 2019, hatte ich eine Vorladung der | |
Migrationsbehörde erhalten, und ich war nicht hingegangen. Darauf war nur | |
die Adresse dieses Büros angegeben. Ich ging einerseits nicht hin, weil | |
auch diese Vorladung nicht den Regeln entsprach, aber auch, weil an dem Tag | |
mein zweiter Sohn geboren wurde und ich der Einzige war, der meiner Frau | |
beistehen konnte. Vor allem aber wegen des psychischen Drucks, den solche | |
Gespräche hinterlassen. | |
Im Juli 2019 war ich einer genauso regelwidrigen Vorladung auf eine | |
Polizeistation in der Stadt gefolgt. Man hatte mich telefonisch informiert, | |
ohne das schon erwähnte Protokoll einzuhalten. Das Verhör begann damit, | |
dass die beiden Beamten mir sagten, es handele sich um ein informelles | |
Gespräch. Sechs Stunden später verlangten sie von mir die Unterschrift | |
unter zwei offizielle Schreiben. In dem einen wurde festgehalten, dass ich | |
die Zusammenarbeit verweigerte. In dem anderen, dass meine Tätigkeit das | |
Vaterland angreife. Ich habe keins davon unterschrieben. | |
Nach dieser Vorladung befand ich mich einem permanenten Zustand der | |
Paranoia gegenüber meinen Freunden und Angehörigen. Obwohl ich keiner | |
politischen Gruppierung angehöre, warf ich mir selbst Feigheit vor wegen | |
der Selbstzensur, der ich mich unterwarf. Ich war schließlich dabei, | |
Umstände zu akzeptieren, unter denen ich meine Identität verleugnete. Mir | |
selbst fremd zu werden, erschreckte mich. Sie brachten mich dazu, nicht zu | |
schreiben, was ich und wie ich wollte. | |
Auf dem Weg zum Büro der Migrationsbehörde versuchte ich, keine Gedanken | |
oder Argumente zu formulieren. Empfohlen ist, nichts zu sagen, man muss | |
niemanden überzeugen. Aber ich schaffte es nicht, mich zu beruhigen, ganz | |
im Gegenteil, mich überkam eine abstrakte, dunkle Bedrücktheit. Als ich die | |
Gittertür zum Gebäude öffnete, einer alten Bürgerresidenz, die vor der | |
Revolution gebaut worden war, zitterten mir die Hände. Ich vermutete, dass | |
es mich noch verdächtiger machen würde, wenn ich sichtbar nervös eintrat. | |
Ich musste einsilbig antworten, vermeiden, meine Compañeros in | |
Schwierigkeiten zu bringen. Ich wollte auf der Höhe sein. | |
Am Empfang gab es einen Uniformierten, der für das Büro viel zu groß und | |
breit war. Andere leere Büros verteilten sich in einer irgendwie | |
symmetrischen Anordnung auf den Rest des Saales. Der Mann verschwand mit | |
meinem Ausweis und kam mit dem gleichen Beamten wieder, der mir die | |
Benachrichtigung zu Hause übergeben hatte. Er fragte mich, ob ich mein | |
Handy dabeihätte. Ich verneinte. | |
Der Beamte führte mich in ein Büro und erklärte mir, dass sie mich zufällig | |
und stichprobenmäßig vorgeladen hätten. Meine häufigen Reisen hätten seine | |
Aufmerksamkeit geweckt. Er wollte wissen, warum ich gereist sei und worum | |
es bei den Veranstaltungen gegangen sei, an denen ich teilgenommen hatte. | |
Er erwähnte diese Reisen so, als ginge es um einen Impfschutz gegen den | |
politischen Virus, den man sich auf diesen Reisen einfangen kann. | |
Ich schlug ihm vor, Informationen über diese Workshops bei der | |
Staatssicherheit zu erbitten, die schon alles darüber wüssten. Ich | |
versuchte klarzustellen, dass ich nichts mit politischem Aktivismus zu tun | |
habe, und er fragte mich stirnrunzelnd, warum ich so darauf bestand, mich | |
davon abzugrenzen. Er wollte auch wissen, off the record quasi, ob ich den | |
dichten Vollbart trüge, um wie einer der Märtyrer der Revolution | |
auszusehen. Ich sagte, nein, ich ließe den Bart nur stehen, weil ich zum | |
Rasieren zu faul sei. Und dass meine Beziehung zu Fidel, dem Bärtigen, | |
kompliziert sei, dass ein Teil von mir [1][aus Respekt vor meinen Eltern | |
für Fidel fühle, dass ich mich aber mit seiner Hinterlassenschaft überhaupt | |
nicht identifizieren könne]. | |
## Große Unterschiede | |
Das Gespräch dauerte 20 Minuten. Mein Verhalten war nicht cool und hart, | |
wie es sich meine Freunde und ich gewünscht hätten. Ich konnte nicht mit | |
eleganten Einsilbensätzen antworten. Ich weiß nicht, ob ich zu viel geredet | |
habe, obwohl ich eigentlich glaube, dass jedes Detail oder auch gar nichts | |
zu sagen, angesichts der in Kuba geltenden Gesetze, die die | |
Meinungsfreiheit unterdrücken, gegen dich verwendet werden kann. | |
Angesichts der Fehler bei dem Verhör im Juli erklärte ich meine | |
Motivationen. Ich sagte, dass mir persönlich das Schreiben so gefällt, wie | |
es einem Migrationsbeamten persönlich gefällt, Migrationsbeamter zu sein. | |
Ich war nicht exakt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen mir, einem | |
offiziellen Journalisten und einem Migrationsbeamten: Die Person, die ich | |
sein möchte und die in den unabhängigen Medien einen kleinen Spielraum | |
gefunden hat, befolgt keine Befehle. | |
Übersetzt aus dem Spanischen von Bernd Pickert | |
9 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Carlos Melián Moreno | |
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