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# taz.de -- Jubel in New York City über Wahlergebnis: Freudentänze in Harlem
> New York City atmet auf. In der Hochburg der Demokratischen Partei feiern
> die Menschen den Wahlsieg von Joe Biden und Kamala Harris.
Bild: Ausgelassene Stimmung unter Verkleideten in New York City
New York taz | Als das Hupkonzert auf dem Malcolm X Boulevard in Harlem
beginnt, ist Donald Trump auf dem Golfplatz. In Harlem kommen Topfdeckel-
und Pfeifenkonzerte aus geöffneten Fenstern. Bürgersteige füllen sich mit
tanzenden und klatschenden Menschen. Ein junger Mann mit feucht glänzenden
Augen stammelt immer wieder den Satz: [1][„Es ist Joe Biden“]. Eine Frau
schreit aus einem Auto, das im Schritttempo rollt: „Kamala-Kamala-Kamala“.
An der Ecke zur 125. Straße umarmt eine Afroamerikanerin einen fremden,
weißen Mann, der ein Black Lives Matter T-Shirt trägt. Ihr Freund muss ein
Selfie von den beiden machen.
„Hit the Road, Don“, singen zwei Dutzend rosa gekleidete Erwachsene.
Ursprünglich wollten sie mit ihrem Aktivisten-Chor zum Columbus Circle
kommen, um an einer Demonstration für eine faire Auswertung der
[2][Präsidentschaftswahlen] teilzunehmen. „Protect the result“ (Schützt d…
Ergebnis) stand auf den Aufrufen von Gewerkschaften, Bürgerrechtsgruppen,
Klimaaktivisten und Mitgliedern der Demokratichen Partei.
„Schreibt Euch die Telefonnummer eines Anwalts auf den Unterarm“ hatten die
Organisatoren empfohlen und vorab Anleitungen zur „De-Eskalation“
verschickt. Quer durch die USA waren für diesem Samstagmittag Hunderte
solcher Demonstrationen angekündigt. Sie sollten Don(ald) Trump davon
abhalten, das Wahlergebnis zu manipulieren.
Die Veröffentlichung des Wahlsiegs, die am späten Vormittag von der
Nachrichtenagentur AP und von sämtlichen großen TV-Sendern, inklusive
FoxNews, kommt, ändert den Charakter und die Größe der Demonstrationen.
Quer durch das Land strömen Menschen auf die Straßen, von denen viele wegen
der Pandemie seit Monaten allein waren und keine Absicht hatten, gegen
Trumps Wahlmanipulationen zu demonstrieren. Es fühlt sich an wie eine
kollektive Befreiung.
## Autofahrer werfen sich im Stau Kusshände zu
„Wir haben es geschafft!“, schreibt ein junger Mann auf dem Bahnsteig der
U-Bahnstation auf ein Stück Karton. Auf seinem ursprünglichen Transparent
für diesen Samstag stand: „Respektiert meine Stimme“. Das hat er auf den
Müll geworfen.
Am Columbus Circle stoßen der Central Park, eines von Trumps Luxus-Hotels
und die neuen Hochhäuser von der 58. Straße aufeinander. Es ist eine der
teuersten Wohngegenden Manhattans. An diesem Samstag ist der Platz voll
ineinander verkeilter Autos, Fahrräder und Menschen. Nichts bewegt sich.
Und doch zeigt niemand Wut. Autofahrer werfen sich gegenseitig Kusshände
zu. Fußgänger deuten Umarmungen in der Luft an. Ein Tag mit hohem
Gänsehautfaktor.
„Die sind heute überall“, sagt ein Polizist über die Demonstrationen. Er
weiß von keiner geplanten Demonstrationsroute. Nur, dass auf mindestens
drei großen Plätzen in Manhattan und weiteren in den anderen Stadtbezirken
Menschen zusammenströmen. Tausende New Yorker Polizisten gehören
Gewerkschaften an, die zu Trumps Wiederwahl aufgerufen hatten. Bei den
Demonstrationen der letzten Wochen und Monate haben die Polizisten oft
brutal zugeschlagen. Aber an diesem Samstagnachmittag sind sie höflich. Sie
tragen Maske, nicht Kampfuniform.
## Trumps Bashing als „garstige Frau“ wird zum Loblied
Auf dem Dach eines schwarzen Allradantriebs tanzt eine junge Frau. Auf
ihrem T-Shirt steht: „nasty woman“ – garstige Frau. Der Wagen ist umzinge…
von Frauen, die sie anspornen und fotografieren. Vor vier Jahren hat Trump
seine Gegenspielerin Hillary Clinton eine „garstige Frau“ genannt. Mit
demselben Adjektiv hat er seither andere kluge, erfolgreiche und
selbstbewusste Frauen bedacht.
Seit diesem Samstag steht fest, dass eine von ihnen im Januar den Platz
seines Vizepräsidenten einnehmen wird. Nach dem fundamentalistischen Mike
Pence aus Indiana, der aus Prinzip mit keiner anderen Frau als seiner
„eigenen“ essengeht, wird künftig die Kalifornierin [3][Kamala Harris] die
zweitwichtigste Person in den USA.
Der Unterschied zwischen den beiden könnte kaum größer sein. Nicht nur,
weil sie die erste Frau und die erste dunkelhäutige Person in dem Amt und
die erste Immigrantentochter der ersten Generation ist, sondern auch, weil
sie schon als Kind Offenheit gegenüber anderen Religionen und Welten erlebt
hat. Mit ihrer Mutter besuchte sie hinduistische Tempel, mit ihrem Vater
afroamerikanische Kirchen, ihr Mann stammt aus einer jüdischen Familie.
Am Columbus Circle taucht Harris' Name häufiger auf als der von Biden.
„Kamala 2024“ rufen manche. In dem Jahr finden die nächsten
Präsidentschaftswahlen statt. Biden wird sein Amt im Januar als 78-Jähriger
antreten. Sollte ihm während seiner Amtszeit etwas zustoßen, wäre Harris
automatisch seine Nachrückerin.
Die drei Freundinnen, die zusammen zum Columbus Circle gekommen sind, waren
zehn Jahre jung, als Trump gewählt wurde. Vier Jahre danach haben sie zu
seinem Abschied „Fuck you, Trump“ auf ein Schild geschrieben, das sie
gemeinsam durch die Menge tragen. „Er ist ein Faschist und ein Rassist“,
sagt Coco. Sie war von Anfang an „angewidert von ihm“. Ihre Freundin Ruby
erklärt: „Wir sind New Yorkerinnen. Hier stehen überall Türme mit seinem
Namen herum. Wir wussten, wer er war und wofür er stand“.
## Klima und Corona werden als Prioritäten gesehen
Von dem künftigen Präsidenten erwarten die drei als erstes, dass er gegen
den Klimawandel aktiv wird und dass er endlich einen Plan aufstellt, um
gegen die Pandemie vorzugehen. „Schön wäre auch, wenn er uns von Amy Coney
Barrett befreien würde“, witzelt Lily. Sie weiß, dass Oberste Richterinnen
auf Lebenszeit ernannt werden.
Für Armando war dies die Woche von zwei großen Premieren. Er hat nie zuvor
in seinem Leben gewählt „Ich komme aus dem Ghetto in Harlem“, begründet e…
Und er war auch noch nie bei einer Demonstration. An diesem Samstag sitzt
er in seiner schwarzen Lederjacke auf seiner Harley Davidson, filmt alles,
was er auf dem Columbus Circle sieht und schickt es live an seine Tochter.
Dass Trumps Regierung an der Südgrenze Kinder von ihren Eltern getrennt hat
und der Präsident erwogen hat, Puerto Rico, die Insel von der Armandos
Familie stammt, zu verkaufen, hat ihn zu einem Wähler und Demonstranten
gemacht. Vom nächsten Präsidenten erwartet er, dass er entschlossen gegen
die Pandemie vorgeht: „Das Virus tötet uns. Wir Hispanics und Blacks
sterben“.
In der Menschenmenge am Columbus Circle, die sich später ein paar Blocks
weiter südlich zum Times Square verlagert, kommt fast alles vor, was Trump
in den zurückliegenden Jahren getan hat. Die Jungen empören sich besonders
über seine nicht vorhandene Klimapolitik, die Älteren prangern seinen
Rassismus und seine Angriffe auf die Demokratie an.
Manche gratulieren „Joe“ zur Wahl. Und sagten sofort danach: „Die harte
Arbeit beginnt jetzt erst“. Ihre Aufgabenlisten für Biden und Harris sind
lang. Sie reichen von einer anderen Nahostpolitik bis hin zu höheren Löhnen
und zu Papieren für Millionen von Undokumentierten.
Der künftige Ex-Präsident will es noch nicht glauben. Am späten Nachmittag
wütet er in den Sozialen Medien, als wären die Wahlen noch nicht
entschieden. Er ruft seine Anhänger zum „Kämpfen“ gegen Demokraten und
Journalisten auf, weil die angeblich Wahlergebnisse stehlen. Aber in dem
Freudentaumel in New York ist er für viele schon ein Mann hinter Gittern.
Ein Demonstrant, der sich in eine orangefarbene Gefangenenkluft und eine
Trump-Maske gehüllt hat, winkt auf der fünften Avenue wie zum Abschied.
Hinter ihm steht der Turm, in dem Trump wohnte, bevor er ins Weiße Haus
umzog.
## „Die Republikaner lecken ihre Wunden“
Der Straßenverkehr ist gesperrt. Tiffany, Bulgari und die anderen
Luxusläden auf beiden Seiten der Straße haben ihre Schaufenster mit
Spanplatten vernagelt. Zwei Blocks entfernt bietet ein fliegender Händler
rote Schirmmützen an. Statt „Make America Great Again“, steht darauf nur:
„Adios“. Aus einem Megafon kommt der spöttische Ruf: „One Term Tower“.
Trump hat oft erklärt, dass er Verlierer verachtet. Jetzt ist er selbst
einer. Er ist der erste Präsident seit 1992, der nach nur einer Amtszeit
aus dem Weißen Haus verjagt wird.
New York City ist eine Hochburg der Demokratischen Partei. Aber auch an
kleineren Orten feiern an diesem Samstag Menschen. In Sunbury, im
konservativen Central Pennsylvania tanzen am späten Vormittag Menschen auf
der Straße.
Hingegen sind die Republikaner, die in den zurückliegenden Monaten mit
Trump-Fahnen und Demonstrationen das Straßenbild beherrscht haben, kaum zu
sehen. „Sie lecken ihre Wunden“, vermutet Greg Snyder, der Vorsitzende der
Demokratischen Partei im Northumberland County.
Pennsylvania mit seinen 20 Wahlleuten, die im Dezember im Electoral College
den Präsidenten wählen werden, hat den Ausschlag für Biden gegeben. „Wir
haben die Demokratie gerettet“, sagt Greg Snyder, „Amerika ist zurück“.
Dave Robinson kommt schon am Samstag Mittag zum Columbus Circle gekommen.
Mit Messer und einer Gabel trommelt er Jazz-Rhythmen auf einen metallenen
Pfosten. Er ist allein in der Menge. Glücklich über das Ende von Trump.
Völlig auf die Musik konzentriert. Stunden später stößt die Sängerin Ellen
Martin zu ihm. Die beiden kennen sich nicht. Sie übernimmt das Messer, die
Gabel und den Metallpfosten. Robinson packt sein Saxofon aus.
Um die beiden herum, in den Abgasen des Staus und dem Geruch von
Hamburger-Imibissen und im Lärm von Gehupe und Geschrei, tanzen Menschen in
den Herbstabend. „Dies ist eine gute Stadt“, sagt Robinson, „mit vielen
guten Menschen“. Martin nickt. Sie hofft auf bessere Zeiten mit Biden. Wenn
es nach ihr geht, wird er das Viele, das Trump zerstört hat, reparieren.
8 Nov 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Dorothea Hahn
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