| # taz.de -- Tocotronic-Songs als Comicstrips: Nach dem Faible für Fix und Foxi | |
| > Die Graphic-Novel-Sammlung „Sie wollen uns erzählen“ versammelt zehn | |
| > Comicstrips. Sie illustrieren legendäre Songs der Hamburger Band | |
| > Tocotronic. | |
| Bild: Ausschnitt aus dem Panel von Philip Waechter | |
| Dass ich dem Wink eines Mitstudenten von der HAW (Hochschule für angewandte | |
| Wissenschaften in Hamburg) damals nicht gefolgt war, ist bedauerlich. Sein | |
| guter Freund und unser gemeinsamer Kommilitone, Arne Zank, würde auftreten | |
| mit seiner neuen Band, das sei sicher toll und täte sich lohnen. Es muss im | |
| Sommer 1993 gewesen sein. Ich lehnte ab, denn an dem Abend spielte meine | |
| damalige Hamburger Lieblingsband, [1][Die Braut haut ins Auge], die ich | |
| keinesfalls verpassen wollte. So versäumte ich das Debütkonzert einer der | |
| heute bedeutendsten deutschsprachigen Indierocker. | |
| Tocotronic, ursprünglich bestehend aus den drei Studenten Dirk von Lowtzow, | |
| Jan Müller und Arne Zank, wäre vielleicht meine Zweitlieblingsband | |
| geworden. 1996 waren sie bereits die Darlings von Indie-Deutschland, in den | |
| Charts platziert und im Pop-Feuilleton rezipiert. | |
| Und das mit einer Haltung bewusster Uncoolness und einem Hang, in ihren | |
| Songs Unsagbares zu verhandeln – mit einem Sound, der zwar aus dem | |
| [2][Punk] kam, aber wie eine Verschnaufpause von dessen Unreflektiertheit | |
| wirkte. Damit konnte sich so manches verlorene Geschöpf in der neu | |
| eröffneten Hamburger Schule identifizieren. | |
| ## Anhaltendes Vertrauen | |
| In den folgenden 27 Jahren hatten Toco-Sympathisanten viel Gelegenheit, die | |
| Liebe zu ihrer Band zu überprüfen, einige Stilwechsel, die Aufstockung um | |
| einen zweiten Gitarristen, den Major-Label-Vertrag und wachsende Erfolge im | |
| Mainstream hinzunehmen. Gründe, ihrer Glaubwürdigkeit und Kunst zu | |
| vertrauen, gab es immer. Im April 2020, just, als sich die Welt in einen | |
| pandemiebedingten Lockdown begab, kam eine Single namens „Hoffnung“. | |
| Geigen-getragen, düster, und gegen Schluss eine Nuance heller zum Fade-out | |
| nach der Textzeile: „Und wenn ich dich nicht bei mir hätte, hätte ich | |
| umsonst gelebt.“ Im August manifestierten [3][Tocotronic] dann ihre | |
| Existenz mit einem Best-of-Album, pandemiegemäß ohne Live-Präsentation. Auf | |
| der üppigen Werkschau „Sag alles ab – the Best of 1994–2020“ sind 52 L… | |
| von Tocotronic versammelt, darunter das erste je aufgenommene Stück, | |
| Live-Mitschnitte und Demos. | |
| Wie eine Ergänzung dazu kommt nun eine Comicsammlung daher. Schlanker, aber | |
| nur, was den physischen Umfang betrifft. Der Band „Sie wollen uns erzählen“ | |
| basiert auf der Idee eines treuen Tocotronic-Fans. Michael Büsselberg, der | |
| Herausgeber, war schon lange der Meinung, dass Comics und die Musik von | |
| Tocotronic zusammengehören. Inspiriert durch einen bande dessinée über den | |
| französischen Chansonnier [4][Jacques Dutronc], den er vor acht Jahren sah, | |
| wollte Büsselberg etwas Ähnliches auf Deutsch versuchen. Den Verlag hatte | |
| er schon im Kopf, passende KünstlerInnen fand er auf Vernissagen und | |
| mithilfe des ambitionierten Verlegers Jonas Engelmann. | |
| ## Querschnitt durch die Bandgeschichte | |
| Je ein Tocotronic-Song pro Bildgeschichte, unterschiedliche UrheberInnen | |
| und Stile, so ist das Konzept. Und die Idee geht auf: Zehn Interpretationen | |
| von ZeichnerInnen der hiesigen Comicszene stellen nun sowohl einen | |
| Querschnitt durch die Bandgeschichte von Tocotronic, als auch einen | |
| Einblick in den Stand der neunten Kunst vor. Sänger Dirk von Lowtzow | |
| kommentiert eingangs anekdotisch den jeweiligen Song, dann erläutern die | |
| Zeichner:innen ihre persönlichen Zugänge. | |
| Den Anfang macht der sogenannte „schnellste Künstler Deutschlands“, der | |
| Berliner Maler Jim Avignon. In symbolartigen Bildern erstellt er ein | |
| fünfseitiges Panel zum Song „Digital ist besser“. Womit wirklich Uhren | |
| gemeint waren, wie von Lowtzow erläutert. Dann folgen Beiträge von Anna | |
| Haifisch, Sascha Hommer, Moni Port, Philip Waechter, Julia Bernhard, Eva | |
| Feuchter, Tine Fetz, Katja Kengel/Piwi und Jan Schmelcher. | |
| Sie sind so vielfältig wie die Songs aus den verschiedenen Schaffensphasen | |
| von Tocotronic. Hier eine stur treibende Gitarre und getragener Gesang mit | |
| dunkler Stimme bei [5][„Warte auf mich auf dem Grund des Swimmingpools“] – | |
| da eine strenge „Ligne Claire“ in der von Tieren durchsetzten Umsetzung von | |
| Julia Bernhard; hier tösender Rock bei „Electric Guitars“, da gestischer | |
| Pinselstrich von Philip Waechter. | |
| ## Überflutende Krakelgewitter | |
| Anna Haifischs Interpretation von „Kapitulation“ lässt eine ihrer dürren, | |
| vom Leben gebeutelten Gestalten unter schwarzen, das Bild überflutenden | |
| Krakel-Flüssen untergehen. Eine konzentrierte zeichnerische Zusammenfassung | |
| der Bandgeschichte rundet das Ganze ab, erstellt von Schlagzeuger Arne | |
| Zank, der in Hamburg gerade Illustration studierte, als die Band | |
| erfolgreich wurde und einer Comic-Neigungsgruppe namens 313 angehörte. Zank | |
| war Mitherausgeber der Serie „Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll“ im Magazin | |
| Unangenehm. | |
| Comicaffin sind Tocotronic schon immer gewesen, ersichtlich etwa an Zanks | |
| Blog [6][„zankwiestreit“], den er immer wieder mit Comics bestückt. Jan | |
| Müller liebt Donald Duck und zeichnet gelegentlich selbst, und alle Tocos | |
| hatten ein von den Fans manchmal belächeltes Faible für Rolf Kaukas „Fix | |
| und Foxi“. Immer mal wieder, etwa um 1996 zur Veröffentlichung von „Wir | |
| kommen, um uns zu beschweren“, kursierten Band-Gimmicks mit im Kauka-Stil | |
| selbstgezeichneten Tierfiguren. | |
| 5 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hamburger-Musikerin-Peta-Devlin/!5045615/ | |
| [2] /Wozu-es-Punk-gibt/!5322328/ | |
| [3] /Neues-Album-von-Tocotronic/!5075058/ | |
| [4] https://www.youtube.com/watch?v=abZirUDx2Ps | |
| [5] https://www.youtube.com/watch?v=_Hif8dBq2HM | |
| [6] https://www.zankwiestreit.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Imke Staats | |
| ## TAGS | |
| Tocotronic | |
| Graphic Novel | |
| Deutscher Comic | |
| Hamburger Schule | |
| Deutscher Comic | |
| Comic | |
| Buch | |
| Deutscher Comic | |
| Comic | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neuer Comic von Anna Haifisch: Musikdrama zum Durchblättern | |
| Mit „Ode an die Feder“ ist der dritte Teil der Graphic-Novel-Serie um den | |
| Künstler „The Artist“ erschienen. Er ist famos gezeichnet – und mit Stil. | |
| Tocotronic-Musiker Arne Zank über Buch: „Eine Art mentale Jogginghose“ | |
| Tocotronic-Drummer Arne Zank kann auch zeichnen. Seine alte Cartoon-Serie | |
| „Die Vögel“ hat er nun in Buchform veröffentlicht. | |
| Coffee-Table-Buch von Maler Jim Avignon: Was bei Alien-Kontakt zu tun ist | |
| Das Bändchen „Welt und Wirklichkeit“ des Berliner Universalkünstlers Jim | |
| Avignon vermittelt nicht nur Wissen, sondern auch nützliche Tipps. | |
| Comic „Altglas Tagtraum Blaues Huhn“: Schatz in der Schublade | |
| Torben Siebert hat einen wunderbaren Comic gezeichnet, den vielleicht nie | |
| jemand lesen wird. Das liegt auch am fehlenden Nachwuchskonzept der | |
| Branche. | |
| Graphic Novel über Tänzerin Isadora Duncan: Frühstück im Museum | |
| In ihrer Graphic Novel „Isadora“ erzählen Julie Birmant und Clément | |
| Oubrerie vom Weg einer jungen Tänzerin, die sexuelle Erfahrungen sammelt. | |
| Tocotronic zur Corona-Krise: Verlässlich antiautoritär | |
| „Hoffnung“ – die Band Tocotronic veröffentlicht zu Ostern einen neuen So… | |
| Über Vereinzelung, Seltsamkeiten – aber auch gegen falsche Imperative. |