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# taz.de -- Graphic Novel über Tänzerin Isadora Duncan: Frühstück im Museum
> In ihrer Graphic Novel „Isadora“ erzählen Julie Birmant und Clément
> Oubrerie vom Weg einer jungen Tänzerin, die sexuelle Erfahrungen sammelt.
Bild: Isadora tanzt für Loïe Fuller
Erotik ist kompliziert. „Plötzlich sah ich, was mir fehlte. Ich kannte die
Qualen des sich vor Begierde verzehrenden Körpers nicht“, denkt eine junge
Amerikanerin, knapp 23, als sie zum ersten Mal die Skulpturen von Auguste
Rodin sieht. Es ist das Jahr 1900, in Paris, und für eine junge Künstlerin
ist es auch in der Pariser Boheme nicht leicht, Männer Avancen zu machen.
In der Graphic Novel „Isadora“ erzählen die Szenaristin Julie Birmant und
der Zeichner Clément Oubrerie in einigen erheiternden Episoden von den
vergeblichen Bemühungen der noch ihren Weg suchenden Tänzerin, sexuelle
Erfahrungen zu sammeln. Der eine Verehrer bleibt lieber platonisch, der
nächste schreckt vor ihrer Jungfräulichkeit zurück, ein weiterer
überschüttet sie lieber mit Dichtungen, nächtelang, in lauter kleinen
dunklen Bildchen.
Der Bildhauer Auguste Rodin selbst, vor dem sie schließlich tanzt und
dessen begeisterte Skizzen von ihr berühmt geworden sind, bietet sich zwar
als Liebhaber an, ist ihr dann aber doch zu alt und zu unheimlich. Erotik
ist kompliziert, Emanzipation um 1900 generell ein Wagnis, beides zusammen
eine fast unlösbare Aufgabe.
[1][Isadora Duncan (1877–1927) ist eine Legende]. Ihr Aufbruch im Tanz,
barfuß und in einer Tunika, markierte den Beginn einer Befreiung des
Körpers aus Konventionen. Anfangs ist es eine Enttäuschung beim Lesen von
„Isadora“, dass ihre Ästhetik der Vereinfachung, der schlanken Linien und
der sparsam gesetzten Gesten nicht in die Bildsprache von Clément Oubrerie
Eingang gefunden hat.
## „Isadora“ hat viele Tabus gebrochen
Wie man sie von Fotografien oder Zeichnungen in Erinnerung hat, erkennt man
sie nicht wieder in dem kulleräugigen, stupsnasigen Mädchen, das ruhelos
durch London, Paris, Berlin, Griechenland und die USA streunt.
Aber „Isadora“ ist eben kein Dokument der Verehrung eines Denkmals, und das
ist gut. Sie hat in ihrem Leben viele Tabus gebrochen, nicht zuletzt auch
durch ihren Männerverschleiß. Wie erzählt man davon, ohne immer die
Bewertung durch die Nachwelt mitzusprechen? Birmant und Oubrerie versuchen
es mit vielen schalkhaften Anekdoten. Da geht es zum Beispiel um die
Antike, für Isadora Duncan ein wichtiger Bezugspunkt für ihre
Bewegungssprache und ihre Zivilisationskritik.
Im zweiten Kapitel des Buches beginnt ihre Bildungsreise, mit ihrer Mutter,
Schwester Elisabeth und Bruder Raymond kommt sie aus den USA in London an,
1899, mittellos und ohne Kontakte. Sie schlafen im Freien, nehmen das
tapfer als Abenteuer, und entdecken das billigste Frühstück im British
Museum. Anschließend besuchen Isadora und Raymond die Skulpturen der Antike
und da passiert es dann: Sie spielen Theater für und vor den steinernen
Göttern.
Einige Kapitel und 4 Jahre später versucht Raymond, schwärmerischer noch
als seine Schwester, mit der Familie auf Griechenland ein Reenactement der
Antike zu leben: Ziegen melken, Wolle weben, zwischen den Säulen alter
Tempel unbekleidet „den Verfall der Zivilisation“ abzustreifen. Nicht ohne
Kichern betrachtet man diese Aussteiger. Isadora zweifelt als erste am Sinn
dieses Versuchs. Sie flieht nach Bayreuth, ausgerechnet, in ein neues,
nicht minder groteskes Milieu.
## Zwischen Berühmtheiten wie Rodin und Loïe Fuller
Über mehrere Stationen verfolgt die Graphic Novel Isadora Duncans Anfänge
in Europa, ihre Kontakte zu Berühmtheiten wie Rodin und [2][der Tänzerin
Loïe Fuller,] in deren ausschließlich weiblichen Ensemble sie fast einem
Mord aus Eifersucht zum Opfer fällt. Manchmal nur tanzt Isadoras Figur dann
doch aus der Reihe der kleinen Bilderfolgen, wächst über ein ganzes Blatt
und gleich wird der Rhythmus vielschichtiger.
Gerahmt wird diese Erzählung von wachsender Selbstsicherheit von zwei
Kapiteln, die zwanzig Jahre später von Isadora Duncans Ehe mit dem viel
jüngeren russischen Dichter Sergei Jessenin erzählen. Es sind bittere
Bilder von zwei verzweifelten Künstlerseelen und einer schwer zu
verstehenden Liebe. Er tourt mit ihr nach Berlin und New York, wird von
russischen Migranten als Bolschewik verprügelt, vermisst seine Heimat und
trinkt.
Wenn er sein Gedicht einer Hündin rezitiert, deren Wurf erschlagen wurde,
denkt sie an ihre bei einem Unfall ertrunkenen Kinder. Vielleicht ist es
die Erfahrung von Schmerz, die sie verbindet. Mit ihm erlebt sie auch ihren
Niedergang, als eine Tournee durch die USA abgesagt wird. Männliche
Zuschauer erregten sich über ihre nackten Brüste.
Julie Birmant, die als Regisseurin auch fürs Fernsehen arbeitet, und
Clément Oubrerie haben ihre Bilderzählung fast wie ein filmreifes Biopic
angelegt. Ein Stationendrama mit Witz und Action. Auf den ersten Seiten
folgt man einer aufgeregten Reporterstimme, eine Fokker aus Moskau landet
in Berlin, die berühmte Diva und ihren verrückten Dichter an Bord.
Sehr viele Personen treten auf, darunter berühmte; an der Last, ein
gesellschaftliches Panorama der Zeit abzubilden, trägt die Graphic Novel
etwas schwer. Sepiabraun, lavierendes Grau und zarte Blautöne bilden dabei
eine Farbpalette, die immer schon von etwas Wehmut durchzogen ist.
16 Nov 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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