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# taz.de -- Giftpflanzen: So toxisch, so schön
> Eine Krimiautorin schreibt nebenberuflich über Giftpflanzen – und lernt
> dabei, dass man Gift an den unglaublichsten Orten finden kann.
Bild: Hübsch. Aber giftig: der Rhododendron
Der Rhododendron
Er steht wie ein Dealer in düsteren Ecken rum, auf alten Friedhöfen, in
großen Parks. Ausbreitungsdrang hat er auch, manche nennen es
Killerinstinkt: In einigen Ländern gilt er als Ärgernis und Gefahr.
Außerdem produziert der Rhododendron einen merkwürdigen Wirkstoff, der sich
im Nektar konzentriert, sodass sein sortenreiner Honig tatsächlich zu einem
Rauschmittel oder tödlichen Gift werden kann.
Dieser Honig wird heute noch an der Schwarzmeerküste und in Nepal geerntet
und ist vermutlich eine der ältesten Drogen der Welt. Seine Wirkung ist
leicht euphorisierend (kann am Zucker liegen) und einschläfernd, außerdem
erzeugt er Übelkeit. Der vermutlich früheste bekannte Tollhonig-Konsument
war der Titan Kronos, der laut der Sage genau diese Symptome zeigte, als er
von seinem Sohn Zeus mit Honig betäubt und dazu gebracht wurde, die zuvor
von ihm verschlungenen Kinder Hestia, Demeter, Hera, Hades und Poseidon
wieder auszuspucken.
Nun ist die Drogenkarriere eher Nebensache in Kronos’ Leben, eigentlich war
er Herrscher über das goldene Zeitalter. Und das war auch ohne Rauschmittel
eine entspannte Ära. Leben in Frieden,wenig Besitz, Flusspferde im Fluss,
Schlafen unterm Sternenhimmel … So eine Zeit gab es wirklich mal in Europa,
das war die letzte Warmzeit vor der unseren. Und wie der Zufall so will,
wuchsen damals hier besonders viele Rhododendren. Die haben sich nämlich
genau da über ganz Europa bis nach Lappland ausgebreitet. Möglicherweise
ist unsere ganze antike Gartenparadiesmystik eine sehr alte Erinnerung an
dieses Leben. Oder doch nur ein Wunschbild aus einem Honigrausch. Wer weiß
das schon.
Das Schönste am Rhododendron ist jedenfalls für mich, dass er im Frühjahr
gar nicht anders kann, als in Farbe zu explodieren. Sein ganzer Ernst, alle
Melancholie nützen ihm nichts, wenn die Blüte kommt und er plötzlich
grellbunt dasteht. Das ist hinreißend. Zwar fällt er danach schnell in
seine graugrüne Friedhofslethargie zurück, aber er hat eben doch Stil und
Kraft. Vielleicht weil er nicht nur den Rausch, sondern auch das echte
Paradies kennt.
Die Stechpalme
Was ist stärker: Sinn oder Gewohnheit? Religion oder Ort? Fest oder
Festtagsdeko? Die Antwort ist gar nicht so einfach. Es gibt viele Belege
dafür, dass neue Kirchen über versunkenen Heiligtümern gebaut werden und
dass Feste stets an Tagen stattfinden, die eine lange Feiertradition haben.
Das Datum ist oft stabiler als der Anlass. Tatsächlich gibt es sogar
Festschmuck, der Religionswechsel übersteht. Ein solcher ist die
Stechpalme.
Die Stechpalme ist eine Burg. Sie ist kompakt gebaut und wird für einen
Strauch sehr alt, etwa 300 Jahre. Rundherum trägt sie harte, stachelige
Blätter und giftige Beeren, außerdem verbreitet sie sich über Sprosse und
kann schnell undurchdringliche Gebüsche bilden. Doch ihre ganze Bewehrung,
ihr Wuchs, ihr dichtes immer grünes Laub, ja sogar das Gift ihrer Beeren
dient nur dem Schutz.
Was schützt sie? Nichts Geringeres als den Frühling. Stechpalmen sind
Winterquartiere nicht nur für viele Vogelarten, sondern auch für
Zitronenfalter, die Frühlingsboten schlechthin. Außerdem reifen die
glänzenden Stechpalmenbeeren erst nach ein paar Nachtfrösten. Sie sind
tödlich für alle – außer für Vögel. So können die sich mit wertvollem
Futter über die kalte Zeit retten. Und charmanterweise besitzen die Blätter
der Stechpalme nur im unteren Bereich Stacheln, bis in die Höhe, in die
ihre Fressfeinde reichen. Die Blätter darüber sind glatt, dort oben kann
sie sein, wie sie wirklich ist: freundlich.
Und da das alles so ist, da diese Pflanze eine große Stärke, ja Magie
ausstrahlt, wurde sie schon im alten Rom als Festschmuck für die
Saturnalien genutzt. Diese fanden im Dezember statt und waren das
wichtigste Fest. Alle Römer nahmen teil, beschenkten sich, feierten und
schmückten ihre Häuser. Aus dieser Tradition ging unsere Weihnachtskultur
hervor, und auch heute noch sind Stechpalmenzweige ein Symbol für das
Winterfest. Woraus wir eventuell lernen sollten, dass es müßig ist, sich
wegen Religionen zu kloppen. Am Ende ist das Solideste an der ganzen Sache
vielleicht wirklich die Tischdekoration.
Das Tränende Herz
Als ich klein war, verriet mir mein Opa ein Geheimnis. Er zeigte mir, dass
in den Blüten der Tränenden Herzen zwei köstliche Tropfen Nektar sitzen,
die man einfach ablecken kann. Diesen Nektar findet man, wenn man die die
beiden oberen rosa Blütenblätter vorsichtig zurückzieht, sodass die weiße
Innenkonstruktion der Blüte herausgeschoben wird. Und dort am Blütenboden,
wo alles zusammengewachsen ist, sitzt in zwei Zwickeln jeweils ein süßer,
glänzender Tropfen.
Natürlich ernten auch Insekten diesen Saft, weswegen man ihn nur in jungen
Blüten findet. Am besten nimmt man diejenigen, bei denen die Enden der rosa
Blütenblätter noch nicht ganz nach oben umgebogen sind, sondern gerade so
zur Seite abstehen. Dann ist die Blüte reif. Die süßen Tropfen in den
Tränenden Herzen sind eine meiner schönsten Erinnerungen an meinen
Großvater. Er zeigte mir noch viel eindrucksvollere Naturphänomene, aber
nichts war für mich als kleines Kind so wundervoll, anschaulich und
schmeckbar wie das Tränende Herz.
Als ich dann begann, an einem Kinderblumenbuch zu arbeiten, plante ich, die
Pflanze zum Star in meinem Buch zu machen. Doch leider ist das Tränende
Herz giftig. Natürlich ist es kein starkes Gift, das jeden dahinrafft, der
mal an einer Blüte leckt, und es steckt auch nicht im Nektar. Sowieso sind
die allermeisten Frühlingsblumen mehr oder minder giftig, und wir hantieren
außerdem ständig mit Pflanzen, die insgesamt weit gefährlicher sind. An
Kartoffelbeeren sind schon Menschen gestorben, auch Tomaten und Bohnen sind
in bestimmten Entwicklungsstadien und Mengen lebensbedrohlich.
Trotzdem. Ein Gewächs, das zur Giftpflanze des Jahres 2017 gekürt wurde,
kann man nicht einfach fremden Kindern zum Ablecken empfehlen. Das geht
nicht. Das muss privates Wissen bleiben, ein Geheimnis nur zwischen mir und
meinen Söhnen. Und Ihnen, jetzt.
Ich hab Sie hiermit gewarnt: Das Tränende Herz ist giftig. Ob Sie diese
Tropfen suchen und ablecken, bleibt ganz Ihnen überlassen. Ich kann Ihnen
nur sagen: Sie sind lecker …
14 Nov 2020
## AUTOREN
Monika Geier
## TAGS
Pflanzen
Gift
Garten
Natur
Friedhof
Psychiatrie
Mord
Krimi
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