# taz.de -- Die Wahrheit: Die brodelnden Chemiker | |
> Der Wahrheit-Mini-Krimi hoch vier. Die grausigen Morde an Ronald Feist. | |
> Heute Folge 4 und Ende: Die Verdächtigen Heinz und Heidi Bauernfeind. | |
Bild: Seit Tagen schon winden sich die Verdächtigen und gestehen dann doch vol… | |
Was bisher geschah: Noch immer ist die gesamte Nachbarschaft in höchstem | |
Maße verunsichert. Herr Ronald Feist, der Mann, der jede Woche Zettel im | |
Hausflur aufhängt, auf denen er vermerkt, welcher Mieter die Treppe zu spät | |
gewischt hat; der Mann, der überall Falschparker fotografiert; der Mann, | |
der jeden Samstag um acht Uhr den Hinterhof mit einem Hochdruckreiniger | |
schrubbt; der Mann, der, noch bevor der Bote klingeln kann, immer genau | |
dann an der Haustür steht, wenn für irgendwen ein Päckchen ankommt, und | |
dieses freundlich in Empfang nimmt und es erst mal untersucht, bevor er es | |
dem Empfänger aushändigt; dieser allseits beliebte Mann ist noch immer | |
unauffindbar. Die Polizei hatte bereits drei dringend Verdächtige | |
festgenommen und verhört. | |
Der erfahrene Kommissar Friedemann Brandtstätter und seine junge Kollegin | |
Kassandra Birnbaum werden nicht ruhen, ehe sie diesen Fall aufgeklärt | |
haben. Sie statten dem Ehepaar Heidi und Heinz Bauernfeind aus dem vierten | |
Stock einen Besuch ab, von denen Herr Feist gern kundtut, dass es sich „bei | |
denen“ um Messis oder Mietnomaden handle, weil sie ihn noch nie in ihre | |
sicherlich verdreckte Wohnung vorgelassen hätten, und wenn man genau | |
hinhöre, so drängen durch die Eingangstür manchmal klirrende Geräusche. | |
Die Bauernfeinds, beide an die 60, lassen die Ermittler bereitwillig ein. | |
Frau Bauernfeind ist eine kleine, rundliche Person mit einem roten Gesicht | |
und einem Haarnetz. Ihr Gatte ist groß und kräftig mit beginnender Glatze | |
und einem winzigen Bauchansatz. Auch ihn ziert ein Haarnetz. | |
„Sie kommen natürlich wegen Herrn Feist, das hat sich ja herumgesprochen. | |
Sie dürfen sich hier gerne umsehen, aber wir gestehen auch so“, eröffnet | |
die Frau das Gespräch. Die Wohnung ist klinisch rein, hier könnte man auf | |
dem Fußboden Herztransplantationen durchführen. | |
## Abstellkammer mit Chemielabor | |
Stolz stößt Herr Bauernfeind eine verborgene Tür auf: „Das ist unsere | |
Abstellkammer mit dem geheimen Chemielabor. Mit dieser Ausrüstung …“ – er | |
deutet auf die vielen funkelnden Reagenzgläser, Glasröhren, Bunsenbrenner | |
und Messingtöpfe – „… haben wir früher Crystal Meth für einen | |
kolumbianischen Drogenbaron gekocht. In den letzten Wochen aber haben wir | |
hier eine weitaus tödlichere Chemikalie entwickelt, die wir in den | |
Benzintank von Feists Laubbläser geschüttet haben. Kaum hat er das | |
höllische Teil um sieben Uhr in der Früh angeschmissen, fraßen sich die | |
ätzenden Abgase in Feists Lungen und …“ | |
Laut erklingt die „Tatort“-Titelmelodie. Brandtstätter kramt nach seinem | |
Mobiltelefon und nimmt ab. „Aha. Wie seltsam. Alles klar.“ Er blickt | |
Birnbaum mit einem Blick an, der ihr durch Mark und Bein fährt. „Wir sind | |
hier fertig“, sagt er. Die Bauernfeinds rufen ihnen verzweifelt nach: „Es | |
wäre unfassbar schmerzhaft gewesen … Von innen gleichzeitig verbrannt und | |
verwest … Wir hatten es wirklich vor …“ Doch die beiden Ermittler hören … | |
nicht mehr. | |
Eine Stunde später sitzen die Kommissare im Verhörraum des Dezernats. Der | |
vermisste Herr Ronald Feist (72) ist bei einer Routinekontrolle in einer | |
städtischen Badeanstalt dabei beobachtet worden, wie er vom Fünfmeterbrett | |
aus – das zur Zeit seines Aufgreifens gesperrt war – mit einem | |
Richtmikrofon und einem Feldstecher die Wohnung von Rupert Jahn (57) im | |
fünften Stock observierte. Offensichtlich hatte Feist sich auf dem | |
Sprungturm schon vor mehreren Tagen eingerichtet. Viele Plastikflaschen und | |
Verpackungen von Minisalamis, ein Schlafsack, eine Axt, ein paar | |
Reisigbündel und ein Feuerstein, eine fast leere Pizzaschachtel, ein paar | |
Bierdosen, ein CB-Funkgerät und eine Bärenfalle zeugen von einem längeren | |
Aufenthalt. | |
Bademeister Bruno Kohler (28) will nichts bemerkt haben: „Der Fünfer ist | |
gesperrt, da geh ich dann doch nicht da hoch.“ | |
Feist gibt sich jovial. Sein sonnengegerbtes Gesicht sieht aus wie aus | |
preiswertem Kunstleder gemacht, seine haarigen Beine unter der Capri-Hose | |
verströmen einen eigenartigen Geruch. Ungeniert strahlt er Brandtstätter | |
und Birnbaum an. | |
## Staubige Kartons mit Kabeln | |
„Ich musste doch wissen, was der Jahn aus dem fünften Stock in seiner | |
Wohnung verbirgt. Und wissen Sie, was ich entdeckt habe? Da stehen | |
Farbeimer drin. Und staubige Kartons mit Kabeln! Das werde ich alles | |
melden! Dieser Jahn ist brandgefährlich! Ich habe sogar eine Dartscheibe | |
gesehen, verstehen Sie: Dartscheibe! Das muss ich nach ganz oben melden! | |
Und wissen Sie, was ich noch gesehen habe? Holzlatten! Der Mann gehört | |
sofort in Gewahrsam.“ | |
Feist lehnt sich selbstgefällig in seinem Verhörstuhl zurück. Dann bellt er | |
die Ermittler plötzlich mit angsteinflößender Lautstärke an: „Und sonst? | |
Alles Klärchen? Muss ja, was? Hö, hö, muss ja, was?“ | |
Birnbaum blickt aus dem Fenster. Dicke Regentropfen klopfen an die Scheibe. | |
Sie sieht einen Krankenwagen über die Auffahrt rollen. Wenige Minuten | |
später geleiten breitschultrige Männer in weißen Kitteln Herrn Roland Feist | |
mit sanfter Gewalt in ein hübsches Sanatorium, wo er nun für immer wohnen | |
darf. Aus der Ferne ertönt noch einmal der Ruf: „Das werde ich alles | |
melden!“ | |
Brandstätter räuspert sich und legt seiner Kollegin die Hand auf den Kopf. | |
„Das war gute Arbeit, Birnbaum. Darf ich Sie zu einem Getränk einladen?“ | |
Kassandra Birnbaum errötet … | |
10 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Corinna Stegemann | |
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